
„Wir haben Therapiefortschritte, die mit enormen Kostensteigerungen verbunden sind“, stellte Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aus Neuwied, fest [1]. CAR-T-Zelltherapien und andere moderne Krebstherapien haben das Potenzial, Patienten in eine Komplettremission zu bringen und das teilweise über Jahre. Auf dieser Basis sei die Akzeptanz der Bevölkerung, teure Therapien zu finanzieren groß, sagte er anlässlich des Deutschen Krebskongresses 2022 in Berlin.
Überproportionaler Kostenanstieg bei Onkologika
Aber man müsse doch zur Kenntnis nehmen, dass Onkologika einen großen Anteil an der immensen Kostensteigerung im Bereich der Arzneimittelausgaben haben, sagte Hecken. Er berichtete, dass der Anteil der Onkologika an den Gesundheitsausgaben für Arzneimittel in der Gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten fünf Jahren von knapp 12% auf über 21% angestiegen ist und sich der entsprechende Anteil für Orphan-Zulassungen – teilweise auch in der Onkologie – fast verdoppelt hat. „In der Summe führen 1,26% aller Verordnungen zu 32,5% der Arzneimittelausgaben“, betonte Hecken.
Bremse im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz
Um die Kostensteigerungen auf Innovationen mit hohem Nutzen zu begrenzen, wurde mit dem am 15.11.2022 in Kraft getretenen Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) auch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) reformiert. Um den Ausgabenanstieg bei patentgeschützten Arzneimitteln zu dämpfen, können anders als bisher auch Arzneimittel mit einem vom G-BA festgestellten geringen Zusatznutzen nur noch auf dem Preisniveau der zweckmäßigen Vergleichstherapie – im Extremfall ein preisgünstiges Generikum – auf den Markt gebracht werden. Einen beträchtlichen oder erheblichen Zusatznutzen konstatierte der G-BA im Jahr 2021 nur in 27 von 146 Verfahren der Frühen Nutzenbewertung [2]. Für alle übrigen Arzneimittel wäre nach der neuen Regelung für pharmazeutische Unternehmen nur noch wenig Anreiz für einen Markteintritt/Marktverbleib des entsprechenden Therapeutikums.
Noch kein Problem bei CAR-T-Zellen
Die ersten Zulassungen von CAR-T-Zelltherapien erfolgten allerdings für den Einsatz in späten Therapielinien und es gibt dann häufig keine zweckmäßige Vergleichstherapie. Insofern befürchtet Hecken aktuell von dieser Seite keine Gefahr für die Finanzierbarkeit der CAR-T-Zelltherapie. In Zukunft sieht er aber den Bedarf, im Nutzenbewertungsverfahren vermehrt auch Surrogatparameter zuzulassen, um die Bewertung des Zusatznutzens auf eine breitere Basis zu stellen. Häufig kann ein Zusatznutzen aufgrund der Forderung nach einem Überlebensvorteil nicht festgestellt werden, weil die dafür erforderlichen Langzeitdaten zum Zeitpunkt der Frühen Nutzungsbewertung noch nicht vorliegen.
Qualitätsanforderungen statt Finanzierungsdiskussion
Für die CAR-T-Zelltherapie plädiert er für eine verantwortliche Umgangsweise, um die gesellschaftliche Akzeptanz für ein derart teures Therapieverfahren zu erhalten. Eine „Gelegenheitsversorgung“ dürfe es nicht geben, betonte er. Er präferiert die ausschließliche Zentrenversorgung, um eine unsachgemäße Therapie oder mangelnde Beherrschung der Nebenwirkungen zu verhindern. Wesentlich sei außerdem die anwendungsbegleitende Generierung von belastbarer Evidenz, um den Nutzen im Alltag bei Therapien, die bei Zulassung noch begrenzte Evidenz aufweisen, belegen zu können. Er schätzt, dass die Zahl der derzeit zugelassenen CAR-T-Zelltherapie-Zentren bereits ausreicht. „Damit sind wir im Vergleich zu anderen Staaten gut bedient“, meint er.
ATMP-Qualitätssicherungs-Richtlinie
Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products, ATMPs) dürfen ausschließlich von Leistungserbringern durchgeführt werden, die Mindestanforderungen erfüllen. Diese Anforderungen haben sich allerdings in der Zeit seit der ersten Durchführung von CAR-T-Zelltherapien in Deutschland bereits verändert. Hecken machte klar, dass hier Flexibilität gefragt sei.
Gegebenenfalls wolle er die Kriterien verschärfen, um die Zahl der CAR-T-Zelltherapie-Zentren zu regulieren. Die „Folterkammer“ der Qualifizierung sei wichtig, um Vergütungssicherheit zu bekommen. Dabei müssten die Qualitätskriterien fortlaufend erfüllt werden. Wenn der Medizinische Dienst bei einer anlassbezogenen Prüfung eine fehlende Dokumentation auch nur eines Details entdecke, könne schon mal die gesamte Vergütung der Therapie infrage gestellt sein.
Datengenerierung zu langsam
Für die Evidenzgenerierung hätte Hecken präferiert, wenn in Europa zentral alle Behandlungsfälle registriert worden wären. Das habe aber Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach nicht mitgetragen. Stattdessen arbeite nun jedes Land in seinem Schrebergarten, meint er. Die Implementierung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung (ABD), die inzwischen bei ATMP vorgeschrieben ist, läuft sehr zäh, berichtete er. Die Endpunkte seien schwierig zu definieren und die Meldung in Registern verlaufe schleppend. Wichtig sei es, alle Behandlungsfälle zu erfassen und über 36 Monate nachzubeobachten.
Projekt INTEGRATE-ATMP
Der Innovationsfond fördert das Projekt „INTEGRATE-ATMP“, in dem harmonisierte und qualitätsgesicherte Instrumente zur Sicherung der bestmöglichen Behandlungsqualität im Verbund mehrerer CAR-T-Zell-Behandlungszentren unter der Führung des Universitätsklinikums Heidelberg zusammenarbeiten. Wichtige Bestandteile des Projekts sind:
- Einführung strukturierter Behandlungspläne für die ambulante Vor- und Nachsorge,
- Aufbau eines krankheitsübergreifenden und für zukünftige ATMP-Zulassungen erweiterbaren ATMOP-Registers und eine
- telemedizinische Kommunikations- und Austauschplattform für Patienten und alle an der Behandlung Beteiligten.
Für die Förderung des Projekts werden bis September 2026 etwa 13,6 Millionen Euro bereitgestellt.