
Dem Diabetes mellitus Typ 1 (T1DM) liegen bekanntermaßen Autoimmunreaktionen zugrunde. Bereits vor dem Auftreten einer manifesten Erkrankung geben Autoantikörper gegen Inselzellen des Pankreas (Inselautoimmunität, IA) einen Hinweis auf einen möglichen T1DM. Bei der Entstehung eines Typ-1-Diabetes spielen insbesondere genetische Faktoren eine große Rolle. Aber auch Umweltfaktoren haben einen nicht unerheblichen Einfluss, entweder als Auslöser oder Promotoren der Autoimmunreaktion. Dazu zählen auch zahlreiche Nahrungsbestandteile, die sich vermutlich auf die Reifung der Darmmikrobiota, der Immunantwort sowie der Prävention von oxidativem Stress auswirken. Die Evidenzlage hierzu ist allerdings trotz jahrelanger Forschung gering. In einer Metaanalyse wurden nun erstmals die vorhandenen Studienergebnisse zusammengetragen und nach Alter der Kinder unterschieden. Die Arbeit wurde im Journal »The Lancet« publiziert.
Zielsetzung
Ziel der systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse war die Auswertung der aktuellen Datenlagen zum Zusammenhang zwischen Ernährung und dem Auftreten einer Inselautoimmunität sowie Typ-1-Diabetes unter Berücksichtigung des Alters der Studienpopulationen.
Methodik
Die Studienautoren führten eine Literaturrecherche nach den PRISMA-Richtlinen in Medline, Embase und der Chochrane Library durch. Betrachtet wurden Fall-Kontroll-, Kohorten- sowie randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) in einem Zeitraum von Beginn an bis zum 15. Oktober 2020. Kongressbeiträge, Leitartikel, Interviews, Briefe und Tierstudien wurden ausgeschlossen. Einschlusskriterien waren eine IA oder T1D als Endergebnis, eine beliebige Ernährungsexposition sowie Hazard-, Risk- oder Odds-Ratios als Maß für den Zusammenhang.
Die zusammengefassten Relativen Risiken (RR) und 95%-Konfidenzintervalle (CI) wurden mit Random Effects-Modellen geschätzt. Zudem erfolgte eine systematische Beurteilung des Bias-Risikos. Der Evidenzgrad wurde mit dem GRADE-Modell (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluations) bewertet. Pränatale und postnatale Expositionen wurden getrennt analysiert.
Ergebnisse
Von den 5.935 gescreenten Studien konnten 96 (42 Kohortenstudien, 54 Fall-Kontroll-Studien) für die Analyse verwendet werden. Davon wurden 46 mit einem moderaten und 50 mit einem hohen Verzerrungs-Risiko bewertet. Es konnten gepoolte Schätzungen für 26 Ernährungsfaktoren erstellt werden.
Stillen und Säuglingsnahrung
Das Stillen über einen längeren Zeitraum sowie ausschließliches Stillen waren mit einem geringeren Risiko für Typ-1-Diabetes assoziiert. Die stärkste Risikoreduktion wurde für mindestens 6 bis 12 Monate gegenüber weniger als 6 bis 12 Monaten beliebigen Stillens beobachtet (RR 0,39; 95%-CI 0,26-0,58).
Es konnte eine Tendenz für einen umgekehrten Zusammenhang zwischen der späten Einführung von Säuglingsnahrung und T1DM gefunden werden. Zwischen der Einführung von fester Nahrung und Typ-1-Diabetes wurde keine Assoziation gefunden, wobei die Studienlage sehr heterogen war.
Zwischen einer Inselautoimmunität und dem Stillen bzw. der Einführung von Säuglingsnahrung wurde keine Assoziation festgestellt.
Kuhmilch
Die späte Einführung von Kuhmilch (≥2-3 vs. <2-3 Monate) war mit einem geringeren T1DM-Risiko assoziiert (RR 0,69; 95%-CI 0,59-0,81). Ein erhöhter Verzehr von Kuhmilchprodukten in der Kindheit hingegen mit einer Risikoerhöhung (RR 1,81; 95%-CI 1,12-2,91). Ein Zusammenhang mit einer IA wurde nur für eine hohe Aufnahme von Kuhmilchprodukten gefunden (RR 1,25; 95%-CI 1,06-1,47). Hierbei war die Heterogenität der Studien gering.
Fleisch und Ei
Positive Assoziationen in Bezug auf T1DM wurden in homogenen Studien sowohl für die Aufnahme von Fleisch (RR 1,78; 95%-CI 1,09-2,90), Eiweiß (RR 2,52; 95%-CI 1,56-4,08) und Nitrit (RR 2,26; 95%-CI 1,63-3,12) in der Kindheit beobachtet. Das Alter scheint dabei keine Rolle zu spielen. Die IA wurde nur in Bezug auf das Alter bei der Einführung von Fleisch und die fetale Exposition gegenüber Fleisch und Ei untersucht, wobei sich kein Hinweis auf einen Zusammenhang ergab.
Fisch und Omega-3-Fettsäuren
Im Zusammenhang mit der erhöhten Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren in der Kindheit konnten zwar ein verringertes T1DM- und IA-Risiko detektiert werden (RR 0,69; 95%-CI 0,30-1,62 bzw. RR 0,75; 95%-CI 0,33-1,66), allerdings war die Assoziation nicht signifikant und die Studienlage stark heterogen. Es wurde kein Zusammenhang zu Fischkonsum und T1DM in der Kindheit gefunden.
Es zeigten sich jedoch Hinweise auf ein verringertes Risiko für IA bei den Nachkommen im Zusammenhang mit dem mütterlichen Fischkonsum während der Schwangerschaft (RR 0,57; 95%-CI 0,32-1,04), aber keine Daten über einen möglichen Zusammenhang mit T1DM.
Obst und Gemüse
Es wurde eine Assoziation für ein geringeres T1DM-Risiko in Abhängigkeit vom Alter bei der Einführung von Obst (RR 0,47; 95%-CI 0,25-0,86), Gemüse (RR 0,73; 95%-CI 0,33-1,63) sowie der Einführung von Fruchtsäften in der Kindheit (RR 0,62; 95%-CI 0,08-4,79) beobachtet. Dies galt ebenso für die erhöhte Aufnahme von Vitamin C und Vitamin A in der Kindheit über die Nahrung oder Supplemente. Zwischen einer IA und fetaler Exposition von Obst und Gemüse konnte hingegen kein Zusammenhang gefunden werden.
Getreide, Gluten und Ballaststoffe
Eine spätere Einführung von Gluten (3-6 vs. <3-5 Monate) war mit einem geringeren T1DM-Risiko verbunden (RR 0,36; 95%-CI 0,17-0,75), mit einer ähnlichen Tendenz für die Einführung von Getreide. Für eine IA wurden keine Assoziationen beobachtet, allerdings war die Studienlage sehr heterogen. Der Glutenkonsum in der Kindheit zeigte eine Tendenz zu einer positiven Assoziation sowohl mit T1DM als auch mit IA, allerdings mit einer erheblichen Heterogenität der Daten.
Kohlenhydrate und Zucker
Es wurden bei homogener Studienlage positive Assoziationen zwischen T1DM und der Aufnahme von Kohlenhydraten, Zucker und zuckergesüßten Getränken in der Kindheit gefunden, die für Kohlenhydrate am stärksten ausgeprägt war (RR 1,94; 95%-CI 1,35-2,81. Diese Faktoren konnten für eine IA allerdings nicht analysiert werden.
Vitamin D
Das Risiko einer Progression von IA zu T1DM konnte nur im Zusammenhang mit den Plasmaspiegeln von 25-Hydroxyvitamin D in der Kindheit bewertet werden, da es keine adäquaten Studien zu den übrigen Expositionen gab.
Die Vitamin-D-Supplementierung im Säuglingsalter stand in einem umgekehrten Zusammenhang mit T1DM. Allerdings war die Heterogenität zwischen den Studien groß, und die Ursachen konnten nicht ermittelt werden. Weder die pränatale Exposition noch die Serum- oder Plasmaspiegel von 25-Hydroxyvitamin D im Säuglings- oder Kindesalter waren mit T1DM assoziiert (Abb. 2). In Bezug auf die Progression von IA zu T1DM wurde kein Hinweis auf einen inversen Zusammenhang gefunden (RR 0,97; 95%-CI 0,85-1,09).
Evidenz
Die Evidenz der Studienergebnisse wurde anhand des GRADE-Modells von „sehr gering" über "gering" und "mäßig" bis "hoch" (RCTs) bewertet. Die Evidenz für ein verringertes Risiko im Zusammenhang mit längerem Stillen und späterer Einführung von Gluten war hoch sowie mäßig für ein erhöhtes Risiko im Zusammenhang mit höherem Kuhmilchkonsum und einem verringerten Risiko bei ausschließlichem Stillen und späterer Einführung von Kuhmilch und Obst. Für die übrigen Ernährungsfaktoren war die Evidenz gering.