
Low Carb ist eine in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit und der Wissenschaft gerückte Ernährungsform. Dabei werden möglichst wenig Kohlenhydrate (= Carbohydrates, kurz Carb) konsumiert und die Ernährung wird auf anderen Nahrungsbestandteilen aufgebaut. Das hat Auswirkungen auf den Stoffwechsel. Nach und nach passt er sich an die neue Situation an. Wie lange der Anpassungsprozess von einer Ernährung mit vielen Kohlenhydraten zu einer Low-Carb-Diät dauert, ist allerdings noch weitestgehend unklar.
Kohlenhydratkonsum beeinflusst Diabetesdiagnostik
Auch in der Diabetesdiagnostik spielen High und Low Carb Ernährungsformen eine Rolle. Vor einem oralen Glukosetoleranztest (oGTT) wird beispielsweise empfohlen, mindestens drei Tage lang ≥150 g Kohlenhydrate täglich zu konsumieren. Am Testtag werden die Teilnehmenden aufgefordert, nüchtern zu kommen und 75 g Glukose in Wasser innerhalb von fünf Minuten zu trinken. Anschließend wird zum Zeitpunkt 0 nach der Glukoseeinnahme und nach zwei Stunden der Blutzucker gemessen. Ist die Plasmaglukose nach zwei Stunden zu hoch, wird ein Diabetes angenommen.
Die Drei-Tage-Regel beim oGTT ist jedoch nicht unumstritten, denn sie fußt nicht auf einer soliden und nachweisbaren wissenschaftlichen Begründung. Vielmehr ist nicht bekannt, welche Auswirkungen diese drei Tage mit verändertem Kohlenhydratkonsum auf den Stoffwechsel haben. Es wäre sogar möglich, dass sich die kurzfristige Ernährungsumstellung negativ auf den Test auswirkt und die Ergebnisse verfälscht.
Ein amerikanisches Forschungsteam hat sich deshalb nun genauer mit dem Thema auseinandergesetzt und eine klinische Studie durchgeführt. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Prolonged glycemic adaptation following Transition from a low- to high-carbohydrate diet: a randomized controlled feeding trial“ im Journal »Diabetes Care« veröffentlicht.
Zielsetzung
Es ist unklar, inwieweit die Empfehlung, vor einem oGTT drei Tage mindestens 150 g an Kohlenhydraten pro Tag zu konsumieren, wissenschaftlich sinnvoll ist. Deshalb wollte das amerikanische Forschungsteam die Frage untersuchen, inwieweit sich der Blutzucker und die Glykämie bei Menschen verändern, wenn sie eine Very-Low-Carb (VLC)-Diät gewohnt sind und für zehn Wochen eine von drei isoenergetischen Diäten erhalten.
Methodik
Die Studie wurde als randomisiert-kontrollierte Ernährungsstudie von Mai 2018 bis Mai 2020 durchgeführt. Sie musste aufgrund der COVID-19-Pandemie vorzeitig abgebrochen werden.
In die Studie aufgenommen wurden Teilnehmende zwischen 18 und 50 Jahren. Sie mussten einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 27 kg/m² vorweisen und durften weder kardiovaskuläre Vorerkrankungen noch eine Diabetes-Form haben.
Die Studie war unterteilt in drei Phasen: die Einführungsphase, die Run-in Phase und die Interventionsphase. In der Einführungsphase ernährten sich alle Teilnehmenden nach ihren eigenen Gewohnheiten. Während dieser Zeit wurden Daten zum Gewicht vor dem Abnehmen erhoben.
Anschließend folge eine 14- bis 15-wöchige Run-in Phase. In dieser Zeit wurde die Energieaufnahme für alle Teilnehmenden so reduziert, dass sie ca. 15% (+/- 3%) ihres Körpergewichts abnehmen würden. Als Ernährungsform wurde eine VLC (Very Low Carb)-Diät gewählt. Bei dieser VLC-Diät wurde der Energiegewinn der Teilnehmenden aus unterschiedlichen Quellen bestritten: 7,5% Kohlenhydrate, 67,5% Fett und 25% Proteine. Zusätzlich wurde die gesamte Energieaufnahme auf 60% der eigentlich benötigten Menge reduziert, um einen Gewichtsverlust zu provozieren. Sobald das Zielgewicht erreicht wurde, wurde die Energieaufnahme bei der Ernährung so angepasst, dass das Gewicht gehalten werden konnte.
Auf die Run-in Phase folgte die Interventionsphase. In dieser 13-wöchigen Studienzeit wurden die Teilnehmenden gemeinsam untergebracht und bei ihrer Nahrungsaufnahme überwacht. In den ersten drei Wochen erhielten sie eine eukalorische VLC-Diät. Danach wurden sie randomisiert einer von drei Ernährungsformen zugeteilt: der VLC, der HC-Starch oder der HC-Sugar-Diät. Teilnehmende der VLC-Gruppe erhielten 5% Kohlenhydrate, 18% Proteine und 77% Fett als Nahrungsgrundlage. In der HC-Starch-Gruppe bekamen die Teilnehmenden Nahrung mit 57% Kohlenhydraten mit einem hohen Stärkeanteil, 25% Fett und 20% raffinierte Körner; in der HC-Sugar-Gruppe waren es 57% Kohlenhydrate vor allem mit Zucker, 25% Fett und 20% Zucker.
Für den Nüchternblutzucker und oGTT wurden nach einer jeweils 12-stündigen nächtlichen Fastenphase Blutproben entnommen. Gemessen wurde zum Zeitpunkt -10, -5, 0, 10, 20, 30, 60, 90 und 120 Minuten nach der Dextrosegabe (75 g). Die Werte von Interesse waren Blutzucker, bzw. Glukose, Insulin und der HbA1c. Zusätzlich wurde über den gesamten Interventionszeitraum kontinuierlich der Blutzucker mittels kontinuierlichem Glukosemonitoring-Sensor (CGM = Continuous Glucose Monitoring) gemessen und alle 15 Minuten gespeichert.
Ergebnisse
In die randomisierte Phase der Studie wurden 77 Teilnehmende eingeschlossen. Von diesen waren am Ende der Studie zu 64 Teilnehmenden CGM-Daten und zu 41 Personen Daten vom oGTT vorhanden. In beiden High-Carb-Gruppen hielt die Stoffwechselanpassung mehr als eine Woche an.
Nüchternblutzucker und 2h-Glukose
Bereits nach der ersten Woche waren bei den drei verschiedenen Ernährungsgruppen Unterschiede feststellbar. Während in der HC-Starch- und der HC-Sugar-Gruppe die Glukosespiegel nach einer Woche bereits sanken (p<0,05), blieben sie in der VLC-Gruppe über den gesamten Beobachtungszeitraum gleich (p>0,05).
In den Wochen zwei bis fünf änderte sich das Bild: Während sich in der Gruppe mit der Ernährung HC-Starch der Nüchternblutzucker und die 2h-Glukose signifikant veränderten (Nüchternblutzucker -0,10 mmol/L pro Woche, 95%-Konfidenzintervall [KI] -0,17 bis -0,04, p=0,001; 2h-Glukose -0,10 mmol/L pro Woche, 95%-KI -0,19 bis -0,01, p=0,04), konnte in der HC-Sugar-Gruppe keine signifikante Veränderung gemessen werden (0,04 mmol/L pro Woche, 95%-KI -0,03 bis 0,11).
In den Wochen sechs bis neun wiederum gab es in der HC-Starch-Gruppe nur noch bei der 2h-Glukose einen signifikanten Unterschied. Hier sanken die Werte um durchschnittlich -0,07 mmol/L und Woche (95%-KI -0,12 bis -0,01). Der Nüchternblutzucker blieb durchschnittlich in etwa gleich (-0,0 mmol/L pro Woche, 95%-KI -0,05 bis 0,04). Interessanterweise sanken in diesem Zeitraum aber der Nüchternblutzucker und die 2h-Glukose in der HC-Sugar-Gruppe signifikant mit -0,09 mmol/L pro Woche (95%-KI -0,14 bis -0,04) beim Nüchternblutzucker und -0,09 mmol/L und Woche (95%-KI -0,15 bis -0,03) bei der 2h-Glukose. Auch zwischen den beiden Gruppen HC-Starch und HC-Sugar war der Unterschied signifikant.
HbA1c und oGTT
Bei den Teilnehmenden handelte es sich durchweg um Menschen mit einem erhöhten BMI (durchschnittlich 34,0 kg/m²) zu Beginn der Einführungsphase, aber weitestgehend normalen HbA1c- und Nüchternglukosewerten. Diese Werte änderten sich etwas im Laufe der Studie: Am Ende lagen weiterhin fast alle Teilnehmenden innerhalb der normalen Werte, aber eine Person in der HC-Starch- und vier Teilnehmende in der HC-Sugar-Gruppe wiesen einen abnormalen Nüchternblutzucker auf.
Anders sah es beim 2h-Glukose-Wert auf. Dieser war bereits bei der Hälfte der Teilnehmenden zu Beginn der Studie auffällig. Am Ende der Studie waren es jedoch weniger Teilnehmende in der HC-Starch- und der HC-Sugar-Gruppe. In absoluten Zahlen: In der VLC-Gruppe blieb die Zahl der Teilnehmenden mit auffälliger Glukosetoleranz im oGTT mit 10 (von 16) gleich, während sie in den Kohlenhydratgruppen von 17 auf 9 sank.
Fazit
Die Daten zeigen, dass die physiologische Anpassung von einer Low- zu einer High-Carb-Ernährung meist innerhalb einer Woche beginnt. Sie hält jedoch mehrere Wochen bis Monate danach an. Das stellt die empfohlene dreitägige Phase mit mindestens 150 g Kohlenhydraten pro Tag als Vorbereitung auf einen oGTT infrage. Diese drei Tage könnten zu ungenauen Ergebnissen und falsch-positiven Tests führen, wenn Betroffene sich normalerweise Low-Carb ernähren. Das würde zu fehlerhaften Diabetesdiagnosen führen. Nun braucht es weitere Studien, um diesen Effekt weiter zu untersuchen und gegebenenfalls langfristig die Empfehlungen für orale Glukosetoleranztests anzupassen.