Insulinproduzierende Stammzellen als Diabetestherapie

In einer Phase I/II, open-label und fortlaufenden Studie am Menschen gelang es einem nordamerikanischen Forscherteam, pluripotente Stammzellen zu implantieren, die ausreiften und Insulin produzieren. Gut ein Drittel wies nach einigen Monaten messbare C-Peptid-Werte auf.

Stammzelle

Bereits vor 100 Jahren wurden die ersten Diabetikerinnen und Diabetiker mit Insulin behandelt. Damals ein großer Durchbruch, der es ermöglichte, dass Menschen mit einem Typ 1 Diabetes mellitus länger überleben konnten. Heutzutage lässt sich durch Insulinpumpen, kontinuierlich den Blutzucker messende Sensoren (CGM) und erste Loop-Systeme sogar der natürliche Insulinzyklus des Körpers bis zu einem gewissen Grad nachbilden. Das behebt jedoch weiterhin das Problem der zerstörten, insulinproduzierenden Betazellen des Pankreas nicht und behandelt lediglich eines der vielen Symptome, die mit einem Typ 1 Diabetes mellitus einher gehen. So können nicht alle Hypoglykämien verhindert oder ausreichend zuverlässig der natürliche Zyklus der Insulinausschüttung imitiert werden. Selbst bei vorsichtigen Kontrollen sind Langzeitfolgen bei Typ 1 Diabetes mellitus häufig.

Kausale Behandlung des Typ-1-Diabetes

Eine bessere Behandlungsoption für einen Typ 1 Diabetes mellitus wäre es, das Problem selbst zu beheben: den Körper in die Lage zu versetzen, wieder selbst Insulin produzieren zu können und sich selbst zu regulieren. Erste Ansätze dafür gibt es bereits seit vielen Jahren.

Inseltransplantationen

Inseltransplantationen haben die Phase des Proof-of-Concept bereits hinter sich. Zusammen mit einer angepassten Immunsuppression können sie zu einer ausreichenden endogenen und klinisch relevanten Insulinsekretion führen. In einzelnen Fällen hielt das für mehr als 20 Jahre an, auch wenn bei den meisten nach einiger Zeit wieder minimal bis moderate exogene Insulingaben notwendig wurden.

Das Langzeitziel von Inseltransplantationen ist es, schwere Hypoglykämien zu eliminieren und den HbA1c vor allem bei Hochrisikopatientinnen und -patienten dauerhaft zu normalisieren. Es gibt jedoch bisher nicht genug Spenderorgane, um ausreichend viele Transplantate herstellen zu können. Auch ist es schwierig, die Inseln aus den Organen zu entnehmen. Erschwerend kommt hinzu, dass es in einigen Ländern nicht erlaubt ist, Leicheninselzelltransplantate zu verwenden.

Pluripotente Stammzellen als Alternative

Eine Alternative könnten pluripotente Stammzellen bieten. Sie können in jeden Zelltyp differenziert werden, damit auch in endokrine Inselzellen der Bauchspeicheldrüse. Gleichzeitig können genau die richtige Menge an Biomasse hergestellt und hohe klinische Qualitätskontrollen angesetzt werden, die aktuellen Good Manufacturing Practices (GMP) entsprechen. Die Möglichkeiten und Mengen wären dadurch grenzenlos.

In präklinischen Studien wurde dieser Ansatz bereits getestet mit PEC-01 Zellen und unreifen endokrinen Zellen. Sie reiften konstant in die angestrebte und vorgesehene Form funktionaler Inseln aus - inklusive Glucagon-ausschüttender alpha-Zellen und beta-Zellen, die auf Glukosekonzentrationen ansprachen und Insulin dementsprechend ausschütteten. Die Inseln konnten anschließend ohne Off-Target-Effekte in Nager implantiert werden. Der nächste Schritt in der Forschung sind nach in-vivo-Studien die klinischen Studien. Eine solche hat ein kanadisch-amerikanisches Team nun als Proof-of-Concept durchgeführt. Die Daten wurden im Journal »Cell Reports Medicine« veröffentlicht.

Zielsetzung

Ziel der Studie war ein Proof-of-Concept. Dabei sollte untersucht werden, was eine Transplantation von Leicheninselzellen limitiert. Im Fokus stand dabei der potenzielle Nutzen von pluripotenten Stammzellen, um erneuerbare Quellen von Inselzellersatz zu generieren.

Methodik

Die Proof-of-Concept Studie war die erste mit Menschen durchgeführte Phase-I/II-Studie. Klassifiziert war sie als Open-Label Studie und wurde an sieben Zentren in Nordamerika und einem Zentrum in Belgien durchgeführt (NCT03163511).

Ein- und Ausschlusskriterien

Als Einschlusskriterien für die Studie wurde definiert, dass alle Männer und nicht-schwangeren Frauen seit mindestens fünf Jahren an einem Typ 1 Diabetes mellitus litten. Zusätzlich sollten sie eine Hypoglykämie-Wahrnehmungsstörung (Clarke Score 4) und/oder eine glykämische Labilität aufweisen. Sie mussten in eine kontinuierliche Glukosemessung einwilligen, eine stabile Diabetesbehandlung vorweisen und mit einer chirurgischen Implantation einverstanden sein.

Ausgeschlossen wurden Menschen, die in der Vergangenheit bereits Inselzell-, Nieren- und/oder Bauchspeicheldrüsentansplantationen hatten. Ebenso wurden Personen abgewiesen, die in den letzten sechs Monaten vor Studienbeginn sechs oder mehr schwere und unerklärliche Hypoglykämieereignisse hatten, eine unkontrollierte oder unbehandelte Schliddrüsenerkrankung oder adrenale Insuffizienz vorwiesen oder diabetische Komplikationen hatten. Dazu zählten unter anderem schwere Nierenerkrankungen oder -dysfunktionen, proliferative Retinopathien, Fußulzera, Amputationen oder schwere periphere Neuropathien. Ebenso durften während der Screeningperiode keine zirkulierenden C-Peptide im Serum (<0,1 ng/mL) nachweisbar sein.

Studienkohorten

Die Studie war unterteilt in zwei Kohorten. In der ersten Kohorte sollte das Sicherheitsprofil der Produktkandidaten untersucht werden und in der zweiten Kohorte die Produktwirksamkeit. Dafür wurden ihnen PEC-01 Zellen, hergestellt aus CyT49 pluripotenten Stammzellen in Delivery Devices, sogenannten macroencapsulation devices (VC-02, ViaCyte), implantiert. Diese Devices waren fertige Units mit unterschiedlichen Dosen - den Dose-Finding Units und den Sentinel Units. Letztere erlaubten mehrfache Beprobungen durch Explantationen. Alle Units waren so aufgebaut, dass sie theoretisch vom Körper vaskularisiert werden konnten.

Pro Teilnehmenden wurden bis zu vier Dose-Finding Units in das tiefere subkutane Gewebe an der anterioren oder lateralen Bauchwand implantiert und bis zu sechs Sentinel Units am volaren Unterarm oder der Bauchwand. Die Sentinel Units wurden sequenziell zu verschiedenen Zeitpunkten entfernt, um sie histologisch zu untersuchen. Die restlichen Units wurden am Ende der Studienzeit – spätestens nach 24 Monaten – explantiert.

In der zweiten Kohorte blieben die Einheiten länger implantiert, jedoch auch maximal bis zu zwei Jahren, um zu erreichen, dass die Transplantate einwachsen und um ihre Wirksamkeit zu demonstrieren.

Alle Teilnehmenden wurden für die Zeit, in der die Transplantate im Körper waren, immunsupprimiert. Nach Ende der Studie wurde die Immunsuppression beendet.

Endpunkte

Während der Studie wurde mehrfach die C-Peptid-Konzentration im Serum gemessen. Dafür wurden vorab ein Mixed-Meal Tolerance Test (MMTT) bzw. Simplified Meal Challenges durchgeführt und die C-Peptide nach 0 Minuten und 60 bis 90 Minuten gemessen. Diese Werte wurden als primäre Wirksamkeitsendpunkte gewählt. Die primären Endpunkte waren Inzidenzen aller unerwünschten anderen Effekte auf die Teilnehmenden in der ersten Kohorte und Veränderungen im C-Peptid-Gehalt im Vergleich zur Baseline in der zweiten Kohorte.

Ergebnisse

In die zweite Kohorte der Phase-I/II-Studie konnten insgesamt 17 Teilnehmende eingeschlossen werden (neun männlich, acht weiblich).  Die Teilnehmenden waren zwischen 22 und 57 Jahre alt und hatten seit acht bis 52 Jahren einen Typ 1 Diabetes mellitus.

Bei 63% wurden nach drei Monaten bis zu einem Jahr eingewachsene Implantate und Insulinexpression festgestellt. Sechs der 17 Teilnehmenden (35,3%) waren nach sechs Monaten C-Peptid-positiv. Sie galten als Responder. Die Zellantwort war glukoseabhängig. Das heißt, die Teilnehmenden, die nach drei Monaten signifikant mehr Graftzellen, positiv auf Insulin, aufwiesen, hatten auch stärkere glukoseabhängige Antworten. Wurden bei Teilnehmenden einmal nach Implantation C-Peptide im Blut gefunden, so blieb das (bis auf einen Fall) auch die gesamte Zeit über erhalten.

Histologie

Nach drei bis zwölf Monaten hatten fünfzehn der siebzehn Teilnehmenden in mindestens einer entfernten Sentinel Unit detektierbare Engraftments und Insulinexpression in mindestens dreißig der graft-derived Zellen pro histologischer Sektion. Bereits drei Monate nach der Implantation waren diese Zellen in Clustern organisiert, die in Morphologie und Expression hauptsächlich endokrinen Zellen ähnelten. Es waren 66% der Zellen Chromogranin A-gefärbte endokrine Zellen. Nur wenige der Zellen waren Lymphozyten. Auch Blutgefäße waren in die Gewebskapseln und das Lumen der Devices eingesprossen. Darüber hinaus fanden sich auch host-derived Fibroblasten in den Explantaten. Im Lumen selbiger machten sie ca. 40% der host-derived Zellen bei den Respodnern und 26% bei den Nonrespondern aus. In den Regionen, in denen host-derived Fibroblasten dominierten, fanden sich wenige bis gar keine graft-derived Zellen.

Unerwünschte andere Effekte

Während der Studienperiode wurden 297 unerwünschte andere Effekte oder Ereignisse, sogenannte Adverse Events, festgestellt. Davon waren 224 mild, 59 moderat, 10 schwer und vier lebensbedrohlich. Die meisten der Adverse Events hingen vermutlich mit der chirurgischen Implantation bzw. Explantation zusammen (27,9%; absolut 83) oder wurden durch die Immunsuppression verursacht (33,7%, absolut 100). Nur etwa 2% (absolut 6) konnten mit dem Testprodukt verbunden werden.

Von den Adverse Events mit schwerer Intensität (10; 2,4%) waren möglicherweise drei mit den VC-02 verbunden, da die Devices sich vorwölbten. Zwei hingen mit post-operativen Schmerzen zusammen, eine mit einer Schwellung an der Einstichstelle und eine mit einer post-prozeduralen Taubheit.

Fazit

Die Proof-of-Concept Studie zeigt nicht nur, dass sich Zellen der Bauchspeicheldrüse aus Stammzellen züchten lassen. Sie zeigt auch, dass diese sicher in Patientinnen und Patienten mit einem Typ 1 Diabetes mellitus implantiert werden können. Bei einem Teil der Betroffenen beginnen sie dann zu reifen, vaskularisiert zu werden und sich in humane, inselartige Zellen auszudifferenzieren und Insulin zu produzieren. „Die vorläufigen Daten von der noch laufenden first-in-human Phase-I/II-Open-Label-Studie zeigt, dass […] PEC-01, implantiert in Patienten mit Typ 1 Diabetes, zu Inselzellen werden, die Insulin in einer physiologisch regulierten Art freisetzen“, schreibt Dr. A.M James Shapiro von der University of Alberta.

In einem nächsten Schritt soll nun untersucht werden, wie verhindert oder reduziert werden kann, dass körpereigene Fibroblasten in die Units einwandern und die Stammzellen dort eliminieren. Ebenso sollen Wege gefunden werden, wie eine Stammzelltransplantation ohne Immunsuppression möglich sein könnte.

Autor:
Stand:
22.02.2022
Quelle:
  1. Shapiro A.M.J., et al. Insulin expression and C-peptide in type 1 diabetes subjects implanted with stem cell-derived pancreatic endoderm cells in an encapsulation device. Cell Reports Medicine 2021, 2. DOI: 10.1016/j.xcrm.2021.100466
  2. Medxcape: Stem Cell-Derived Pancreatic Cells May Be Alternative to Islet Transplants (20.01.2022)
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