Mehr Ketoazidosen während der COVID-19-Pandemie

Während der ersten zwei Monate der Corona-Pandemie in Deutschland traten bei Kindern und Jugendlichen deutlich mehr Fälle von diabetischer Ketoazidose auf, die meist mit einer verspäteten Diagnose von Diabetes mellitus Typ 1 einhergeht.

Urintest

Hintergrund

Während der Pandemie der COVID-19-Pandemie wurden signifikant weniger Gesundheitsleistungen in Anspruch genommen, was möglicherweise zu einer verzögerten medizinischen Versorgung führt. Die diabetische Ketoazidose ist eine akute lebensbedrohliche Komplikation, die oft mit einer verzögerten Diagnose von Typ-1-Diabetes (T1D) zusammenhängt.

Zielsetzung

Ein Autorenteam um PD Dr. Clemens Kamrath vom Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin am Universitätsklinikum der Justus-Liebig-Universität in Gießen untersuchte die Häufigkeit der diabetischen Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen bei der Diagnose von T1D in Deutschland während der ersten zwei Monate der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu den Vorjahren.

Methodik

Für diese Studie verwendeten die Wissenschaftler Daten aus dem deutschen Register „Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation“ (DPV) zu Kindern und Jugendlichen mit der Diagnosestellung von T1D zwischen dem 13. März 2020, als die meisten Kindergärten und Schulen geschlossen wurden, um die sozialen Kontakte zu reduzieren, und dem 13. Mai 2020. Das DPV-Register deckt landesweit mehr als 90% der pädiatrischen Patienten mit T1D ab. Seit 2018 übertrugen 217 Diabeteszentren (Krankenhäuser und Arztpraxen) Informationen von pädiatrischen Patienten mit neu diagnostiziertem T1D.

Die diabetische Ketoazidose wurde als pH-Wert unter 7,3 und/oder einem Bicarbonatwert unter 15 mmol/l und die schwere diabetische Ketoazidose als pH-Wert unter 7,1 und/oder einem Bicarbonatwert unter 5 mmol/l definiert. Die während des COVID-19-Zeitraums beobachteten Häufigkeiten von diabetischer Ketoazidose und schwerer diabetischer Ketoazidose wurden mit den Häufigkeiten in denselben Zeiträumen in den Jahren 2018 und 2019 verglichen. Dabei wurde eine multivariable logistische Regression verwendet, um Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund zu berücksichtigen. Als bestehender Migrationshintergrund wurde gewertet, wenn der Patient selbst oder mindestens ein Elternteil außerhalb Deutschlands geboren worden war.

Unterschiede wurden als bereinigte relative Risiken (adjusted relative risk [aRR]) mit 95%- Konfidenzintervall (95%-KI) dargestellt. Ein zweiseitiger P-Wert <0,05 wurde als statistisch signifikant angesehen. Die Einwilligung zur Aufnahme von Daten in das DPV-Register war von Patienten oder ihren Eltern durch mündliches oder schriftliches Verfahren mit vorheriger Aufklärung, das von den zuständigen Datenschutzbeauftragten in jedem Zentrum genehmigt war, eingeholt worden. Die Analyse anonymisierter Daten war von der Ethikkommission der Universität Ulm genehmigt.

Ergebnisse

Die Wissenschaftler analysierten Daten von 532 Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostiziertem T1D aus 216 Diabeteszentren. Das Durchschnittsalter der Kohorte betrug 9,9 Jahre (Interquartilbereich 5,8-12,9 Jahre; 61,5% männliche Teilnehmer). Eine diabetische Ketoazidose war bei 238 Patienten (44,7%) und eine schwere Ketoazidose bei 103 Patienten (19,4%) aufgetreten.

Während des COVID-19-Zeitraums im Jahr 2020 war die Häufigkeit der diabetischen Ketoazidose im Vergleich zu den beiden Vorjahren signifikant höher (44,7% im Jahr 2020 gegenüber 24,5% im Jahr 2019; aRR 1,84 [95%-KI, 1,54-2,21]; P <0,001 gegenüber 24,1% im Jahr 2018; aRR 1,85 [95%-KI 1,54-2,24]; P <0,001). Die Inzidenz schwerer diabetischer Ketoazidosen war im Vergleich zu den Vorjahren ebenfalls signifikant höher (19,4% im Jahr 2020 gegenüber 13,9% im Jahr 2019; aRR 1,37 [95%-KI, 1,04-1,81]; P = 0,03 gegenüber 12,3% im Jahr 2018; aRR, 1,55 [95%-KI, 1,15-2,10]; P = 0,004).

Das höchste Risiko für diabetische Ketoazidose während der COVID-19-Pandemie trat bei Kindern unter sechs Jahren auf (51,9% im Jahr 2020 gegenüber 18,4% im Jahr 2019; aRR 2,75 [95%-KI 1,88-4,02]; P <0,001 gegenüber 24,2% im Jahr 2018; aRR 2,12 [95%-KI, 1,48-3,02]; P <0,001), ebenso für schwere diabetische Ketoazidose (24,4% im Jahr 2020 gegenüber 12,2% im Jahr 2019; aRR 1,90 [95%-KI, 1,12-3,23]; P = 0,02 gegenüber 11,7 % im Jahr 2018; aRR 2,06 [95%-KI 1,16-3,65]; P = 0,01).

Fazit

Diese Studiendaten belegen einen signifikanten Anstieg der diabetischen Ketoazidose und der schweren Ketoazidose bei der Diabetesdiagnose bei Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie in Deutschland. „Die Ursachen sind offenbar vielfältig und hängen einerseits mit veränderten medizinischen Leistungen und andererseits mit der Angst vor einer möglichen Ansteckung zusammen“, sagte Kamrath.

Als Einschränkungen der Studie sind zu nennen, dass der individuelle sozioökonomische Status und die Familienanamnese bezüglich Diabetes nicht verfügbar waren. Neben weiteren Untersuchungen zu den möglichen Ursachen für den Anstieg der diabetischen Ketoazidosen während der COVID-19-Pandemie halten die Autoren Maßnahmen zu deren Verringerung, wie zum Beispiel die Aufklärung der Bevölkerung und die Schulung von Ärzten oder das Screening auf β-Zell-Antikörper für erforderlich.

Das deutsche DPV-Register wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD, Fördernummer 82DZD14A02) unterstützt.

Weitere finanzielle Unterstützung leisteten das Deutsche Robert-Koch-Institut (RKI, Diabetesüberwachung) und die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG).

Quelle:
  1. Kamrath et al. (2017) Ketoacidosis in children and adolescents with newly diagnosed type 1 diabetes during the COVID-19 pandemic in Germany. Journal of the American Medical Association, DOI: 10.1001/jama.2020.13445
  2. Justus-Liebig-Universität Gießen, Pressemeldung, 21.07.2020
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