
Hintergrund
Neben der Insulintherapie ist die intravenöse Flüssigkeitsverabreichung eine Schlüsselkomponente bei der Akutbehandlung der diabetischen Ketoazidose (DKA). Kochsalzlösung (0,9% Natriumchlorid) ist die am häufigsten zu diesem Zweck verwendete Flüssigkeit und die in den aktuellen klinischen Praxisleitlinien primär empfohlene Lösung zum Volumenersatz bei DKA.
Die Chloridkonzentration in Kochsalzlösung (154 mmol/l) ist höher als die in menschlichem Plasma (94-111 mmol/l) und kann eine hyperchlorämische metabolische Azidose verursachen, insbesondere wenn die Kochsalzlösung in großen Mengen verabreicht wird. Obwohl die klinischen Effekte der Infusion von Kochsalzlösung noch nicht ganz verstanden sind, deuten immer mehr Befunde darauf hin, dass Kochsalzlösung das Risiko für Nierenschäden erhöhen und die Genesung nach schwerer Krankheit beeinträchtigen kann, möglicherweise aufgrund der Induktion einer metabolischen Azidose.
Balancierte Kristalloidlösungen (Vollelektrolytlösungen), wie Ringerlactat- und Plasma-Lyte A-Lösung, enthalten Chloridkonzentrationen ähnlich denen im menschlichen Plasma und induzieren keine metabolische Azidose. Daher kann die Behandlung einer DKA mit einer balancierten Kristalloidlösung anstelle von Kochsalzlösung zu einer schnelleren Erholung führen. Auch bei der Anwendung von balancierten Kristalloidlösungen zur Behandlung von DKA gibt es theoretische Risiken, wie das Auftreten von Alkalose und Hyperkaliämie.
In der SMART-MED-Studie (Saline Against Lactated Ringers or Plasmalyte in the Emergency Department trial) beobachteten Wissenschaftler bei kritisch kranken Patienten einen signifikant günstigeren Einfluss (Odds Ratio [OR] 0,91) einer Flüssigkeitstherapie mit balancierten Kristalloiden auf den zusammengesetzten primären Endpunkt aus Tod, neu begonnener Nierenersatztherapie oder persistierender Niereninsuffizienz (MAKE30) als mit Kochsalzlösung 0,9% [1].
Bei nicht kritisch kranken Patienten, die auf der Notfallstation eine Flüssigkeitstherapie erhalten hatten, ging in der SaLt-ED-Studie (Isotonic Solutions and Major Adverse Renal Events Trial in the Medical Intensive Care Unit trial) die Gabe von balancierten Kristalloidlösungen mit einer niedrigeren Inzidenz an MAKE30 einher (OR 0,82) als die Gabe von Kochsalzlösung 0,9% (OR 0,82) [2].
Zielsetzung
Wissenschaftler um Dr. Wesley Self vom Department of Emergency Medicine am Vanderbilt University Medical Center in Nashville, Tennessee, in den USA überprüften in einer Subgruppenanalyse der Daten der SaLt-ED- und der SMART-MED-Studie die Hypothese, dass mithilfe einer balancierten Kristalloidlösung bei erwachsenen Patienten eine DKA schneller normalisiert werden kann als mit Kochsalzlösung. Die Ergebnisse wurden aktuell in der Fachzeitschrift JAMA Network Open veröffentlicht [3].
Methodik
Diese Studie war eine Subgruppenanalyse von Daten Erwachsener mit DKA in den beiden Studien SaLt-ED und SMART-MED. Diese Studien wurden zwischen Januar 2016 und März 2017 in einem akademischen medizinischen Zentrum in den USA durchgeführt. Es waren große pragmatische, offene, Cluster-randomisierte klinische Studien mit multiplem Crossover-Design, in denen bei über 29.149 Patienten die Flüssigkeitsersatztherapie mit balancierter Kristalloid- oder mit Kochsalzlösung in der Notaufnahme (emergency department [ED]) und auf der Intensivstation (intensive care unit [ICU]) verglichen wurde.
Die Subgruppenanalyse umfasste Erwachsene, die sich mit DKA, definiert als Plasmaglukose >250 mg/dl, Plasmabicarbonat ≤18 mmol/l und einer Anionenlücke >10 mmol/l in der Notaufnahme vorstellten. Die Patienten mussten in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation eine balancierte Kristalloidlösung (nach Wahl des behandelnden Arztes Ringer-Lactat- oder Plasma-Lyte-A-Lösung) oder Kochsalzlösung zum Flüssigkeitsersatz nach demselben Cluster-randomisierten multiplen Crossover-Schema erhalten haben.
Das primäre Ergebnis war die Zeit zwischen der Vorstellung in der Notaufnahme und der Normalisierung der DKA, definiert durch die Kriterien der American Diabetes Association. Das sekundäre Ergebnis war die Zeit zwischen Beginn und Absetzen der kontinuierlichen Insulininfusion.
Ergebnisse
94 der 172 in dieser Subgruppenanalyse berücksichtigten Erwachsenen hatten eine balancierte Kristalloid-, 78 Patienten eine Kochsalzlösung erhalten. Das mittlere Alter (Interquartilbereich [IQR]) betrug 29 (24-45) Jahre. 90 Patienten (52,3%) waren Frauen. Das mittlere Volumen (IQR) der in der Notaufnahme und auf der Intensivstation verabreichten isotonischen Flüssigkeit betrug 4.478 (3.000-6.372) ml.
Die kumulative Inzidenzanalyse ergab, dass bei den Patienten, die eine balancierte Kristalloidlösung erhalten hatten, die Normalisierung der DKA schneller eintrat (mediane Zeit bis zur Normalisierung 13,0 Stunden; IQR 9,5-18,8 Stunden) als bei Patienten, die Kochsalzlösung erhalten hatten (mediane Zeit bis zur Normalisierung 16,9 Stunden; IQR 11,9-34,5 Stunden). Das adjustiere Risikoverhältnis (adjusted hazard ratio [aHR]) ermittelten die Forscher mit 1,68 (95%-KI 1,18-2,38; P=0,004).
Die kumulative Inzidenzanalyse ergab auch, dass die Insulininfusion bei Patienten, die eine balancierte Kristalloidlösung erhalten hatten, schneller abgesetzt werden konnte (Median 9,8 Stunden; IQR 5,1-17,0 Stunden) als bei Patienten, die Kochsalzlösung erhalten hatten (Median 13,4 Stunden; IQR 11,0-17,9 Stunden). Das aHR betrug 1,45 (95%-KI 1,03-2,03; P=0,03).
Fazit
In der Subgruppenanalyse von Daten von 172 Erwachsenen mit DKA aus zwei Cluster-randomisierten klinischen Studien führte die Behandlung mit balancierten Kristalloidlösungen zu einer signifikant schnelleren Normalisierung der DKA als mit Kochsalzlösung (13,0 vs 16,9 Stunden). Nach Meinung der Forscher könnten daher balancierte Kristalloidlösungen bei der Akutbehandlung von Erwachsenen mit DKA gegenüber Kochsalzlösung bevorzugt eingesetzt werden.
Balancierte Kristalloidlösungen waren mit einer absoluten Reduktion von im Median ungefähr vier Stunden und einer relativen Reduktion der Zeit bis zur Normalisierung der DKA und dem Absetzen der Insulininfusion von 20% bis 30% verbunden.
Aktuelle Leitlinien für die klinische Praxis empfehlen – angesichts mangelnder Vergleiche von Kochsalzlösung mit Kristalloidlösungen in dieser Population - Kochsalzlösung als Flüssigkeit der Wahl für die Volumenexpansion bei DKA. Die Studienautoren sehen die Ergebnisse ihrer Subgruppenanalyse als Beitrag zur Evidenz, dass balancierte Kristalloidlösungen für viele Patienten die bessere Option für den Volumenersatz darstellen und speziell für Patienten mit DKA Vorteile aufweisen können.
Die Studienautoren erwähnen als Einschränkungen der Studie unter anderem das nicht randomisierte, monozentrische Studiendesign, die geringe Stichprobengröße und Unterschiede in den Patientencharakteristika zu Studienbeginn.
Die SaLt-ED- und die SMART-MED-Studie sind unter den Nummern NCT02614040 und NCT02444988 bei ClinicalTrials.gov registriert. Sie wurden von der Vanderbilt University finanziert und vom National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS) und den National Institutes of Health (NIH) unterstützt.