
Hintergrund
Forschende vermuten schon länger einen Zusammenhang zwischen einer Rotaviren (RV)-Infektion und der Entwicklung von Typ-1-Diabetes (T1D) bei Kindern. Rotaviren sind die häufigste Ursache viraler Darminfektionen bei Kindern. Die Erkrankung kann die Produktion von Insulin beeinträchtigen, was nach Ansicht der Forscher mit der Entwicklung von T1D bei Patienten ohne Impfstoff in Verbindung stehen könnte.
Der T1D gehört zu den Autoimmunerkrankungen. Was das Immunsystem veranlasst, die körpereigenen Zellen anzugreifen, ist nicht bekannt. Virusinfektionen gelten als mögliche Auslöser. Die RV-Infektion löst bei Mäusen Apoptose im Pankreas aus. Möglicherweise produziert das Immunsystem Antikörper gegen Peptidbestandteile der Viren, die Ähnlichkeit mit den T-Zell-Epitopen der Autoantigene der insulinproduzierenden Betazellen haben („molekulare Mimikry“), und später auch die Betazellen angreifen.
Zielsetzung
Ein wissenschaftliches Team um Dr. Kirsten Perrett vom Murdoch Children’s Research Institute, Royal Children’s Hospital, School of Population and Global Health der University of Melbourne in Australien untersuchte die Hypothese, dass die RV-Impfung die Inzidenz der T1D-Erkrankung mit der Zeit verringern würde, wenn eine natürliche Infektion mit RV ein ursächlicher Faktor für die Entstehung eines T1D wäre [1].
Methodik
Die Wissenschaftler*innen verglichen anhand öffentlich verfügbarer Daten die Inzidenz von T1D bei australischen Kindern vor und nach der Einführung des oralen RV-Impfstoffs im australischen nationalen Immunisierungsprogramm im Jahr 2007. Demnach erhalten Kinder ab einem Alter von sechs Wochen standardmäßig eine Impfung gegen Rotaviren.
Ergebnisse
Nach der Einführung des Impfprogramms sanken die Neuerkrankungen mit T1D bei Kindern im Alter von vier Jahren und jünger um 14%. Bei den Neuerkrankungen älterer Kinder gab es jedoch keine bedeutenden Veränderungen. „Möglicherweise ist die Impfung gegen RV eine von vielen bis jetzt unbekannten modifizierbaren Faktoren, die gegen die Entwicklung von T1D in der frühen Kindheit eingesetzt werden können", mutmaßt die leitende Studienautorin Perrett.
Fazit
Professor Len Harrison vom Walter und Eliza Hall Institute kommentierte: "Die Studie deutet darauf hin, dass die Verhinderung der RV-Infektion bei australischen Säuglingen durch Impfung auch das Risiko, an T1D zu erkranken, verringern kann. Wir werden diesen Zusammenhang weiter untersuchen, indem wir Gesundheitsdaten von Kleinkindern mit T1D mit denen von Kindern ohne T1D vergleichen. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir noch nicht, ob die Verringerung des T1D ein dauerhafter oder ein vorübergehend Effekt ist und möglicherweise nur für australische Kinder relevant ist [2]."
„Die Studie war kein kontrolliertes Experiment, mit dem nachgewiesen werden sollte, ob oder wie RV T1D verursacht, oder wie eine Impfung dieses Risiko minimieren kann. Die Ergebnisse tragen jedoch zu den Hinweisen bei, die Virusinfektionen mit einer erhöhten Inzidenz von Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie und T1D in Verbindung bringen“, so Dr. Federico Martinon-Torres, Forscher am Hospital Clínico Universitario de Santiago und am Instituto de Investigacion Sanitaria de Santiago in Spanien. "Entzündungsreaktionen gegen RV in frühen Stadien der Immunreifung stehen im Zusammenhang mit Toleranzabbau und Immundysregulation."
"Die Impfung gegen RV sollte jeder Familie mit einem Neugeborenen empfohlen werden, da die Impfung wirksam vor RV-Infektionen und der Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthalts im Falle einer akuten RV-Infektion schützt", sagte Dr. Mikael Knip, Forscher am die Universität Helsinki in Finnland, der nicht an der Studie beteiligt war. "Wenn eine Schutzwirkung des Impfstoffs gegen T1D bestätigt werden kann, bietet dies einen Bonus [3]".
In Deutschland ist die routinemäßige RV-Impfung von unter sechs Monate alten Säuglingen seit Juli 2013 von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlen [4].