Screeningkosten für präsymptomatischen T1DM bei Kindern

Präsymptomatischer Typ 1 Diabetes ist ohne Laboruntersuchung kaum erkennbar. Er birgt jedoch ein hohes Risiko für diabetische Ketoazidosen und lebenslange Komplikationen. Deshalb werden Screeningprogramme für Kinder diskutiert, um die Früherkennung zu verbessern.

Wirtschaftlichkeit

Diabetes mellitus Typ 1 ist die Folge einer chronischen Autoimmunerkrankung. Dabei attackiert der Körper seine eigenen beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse. Diese Zellen produzieren Insulin und sind unersetzlich für einen funktionierenden Glukosestoffwechsel. Fallen die beta-Zellen aus, muss lebenslang Insulin substituiert werden.

Hohe Kosten durch unerkannten Diabetes

Weltweit steigen die Inzidenzraten für Typ 1 Diabetes mellitus (T1DM). Die Prävalenz liegt allein bei den unter 20-Jährigen bei 0,4% (2019), Tendenz steigend. Klinisch auffällig werden die betroffenen Kinder und Jugendlichen häufig, weil sie eine diabetische Ketoazidose entwickeln. Diese lebensgefährliche Komplikation ist nicht selten das Resultat einer verzögerten Diabetesdiagnose. In den letzten zwei Dekaden waren diabetische Ketoazidosen immer häufiger der Grund für die Erstdiagnose. In Deutschland liegt die Häufigkeit mittlerweile bei mehr als 20%, in den USA sogar bei mehr als 45%.

Das hat Konsequenzen für die Gesundheit der Betroffenen und für das Gesundheitssystem: Die Patienten haben ein höheres Risiko für Komplikationen, einen früheren Tod und eine geringere Lebensqualität. Gleichzeitig steigen die Gesundheitskosten. Die jährlichen Kosten pro diabetischer Ketoazidose liegen bei zusätzlichen 7.612 $ in den USA und  3.605 € in Deutschland. Allein die medizinischen Kosten für eine Person mit einem T1DM liegen bereits bei 6.288 $ in den USA und 3.745 € in Deutschland. Deshalb ist es nicht nur aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll, das Risiko für diabetische Ketoazidosen zu senken und einen T1DM frühzeitig zu erkennen.

T1DM-Screening langfristig lohnenswert?

Ob sich ein flächendeckendes T1DM-Screening jedoch lohnt, ist umstritten. Im präsymptomatischen Stadium galt es bisher überwiegend als nicht kosteneffizient, wie verschiedene Studien in der Vergangenheit nahelegten. Um sich wirtschaftlich zu lohnen, müsste die Prävention weniger als 1 $ kosten. Kostenanalysen lassen jedoch häufig die langfristigen positiven Effekte von Screenings wie eine verbesserte Blutzuckerkontrolle und geringere Patientenmortalität außer Acht.

Im Rahmen der 2015 in Bayern initiierten groß angelegten Fr1da-Studie ist nun auch dieses Thema genauer untersucht worden. Die Fr1da-Studie ist das aktuell größte Programm zum öffentlichen Gesundheitsscreening auf präsymptomatischen T1DM weltweit. Mehr als 90.000 Kinder konnten eingeschlossen werden. Die Daten zur Kostenanalyse wurden im Journal »Diabetes Care« veröffentlicht.

Zielsetzung

Ziel der Studie war es, zu evaluieren, welche Kosten mit einem flächendeckenden Screening auf einen präsymptomatischen Typ-1-Diabetes bei Kindern verbunden werden. Die Studie war Teil der groß angelegten Fr1da-Studie in Bayern, an der 90.632 Kinder teilnahmen.

Methodik

Für die Fr1da-Studie wurden Kinder in Bayern zwischen 1,75 und 5,99 Jahren rekrutiert. Der Rekrutierungszeitraum lag zwischen dem Februar 2015 und Mai 2019, das mediane Alter der Kinder bei 3,1 Jahren (Interquartilenabstand 2,1-4,7; 47% Mädchen). Den Kindern wurde ein Screeningangebot gemacht, bei dem ihr Blut auf Antikörper gegen Inselzellen untersucht wurde. Dafür wurde den Kindern in niedergelassenen Kinderarztpraxen Kapillarblut entnommen und an das Studienkoordinationszentrum verschickt, wo es im Labor analysiert wurde.

Probenanalyse

Mittels ELISA wurden die Proben auf die Präsenz von Autoantikörpern gegen Glutamat-Decarboxylase (GADA), Insulinoma-Associated Antigen-2 (IA-2A) und Zink Transporter 8 (ZnT8A) untersucht. War der ELISA-Test positiv, wurde ein Radiobinding Assay (RBA) durchgeführt. Ab zwei verschiedenen Antikörpern gegen Inselzellen im RBA, forderte das Studienkoordinationszentrum eine venöse Blutprobe der betroffenen Kinder nach und führte einen Bestätigungs-RBA durch. Waren sowohl der Screeningtest als auch der Bestätigungstest positiv auf mindestens zwei Autoantikörper, galt die Diagnose eines präsymptomatischen T1DM als bestätigt.

Der behandelnde Kinderarzt oder Kinderärztin gab die Information an die betroffene Familie weiter und stellte den Kontakt zum Fr1da-Studienkoordinationszentrum her. Anschließend erfolgte ein metabolisches Staging mittels HbA1c-Bestimmung und oralem Glukosetoleranztest (oGTT) sowie eine Schulung der betroffenen Familie in lokalen Diabeteszentren.

Kostenkalkulation

Um zu ermitteln, wie viel ein flächendeckendes Screeningprogramm pro Kind tatsächlich kosten würde, wurden die direkten Kosten ermittelt. Dafür wurden verschiedene Daten zur benötigten Zeit und den Ressourcen verwendet. Als Grundlage dienten unter anderem die Preise oder Erstattungsbeträge im deutschen Gesundheitssystem.

Der Zeitaufwand in den niedergelassenen Praxen wurde mittels Fragebogen erhoben. Von den erhobenen Zeitdaten wurden 75% der Zeit als Grundwert angenommen, um eine Überschätzung des Aufwandes herauszufiltern.

Pro gescreentem Kind wurden Kosten für Ärzte, Pflegekräfte, Laborpersonal, Wissenschaft, Materialkosten für Schulungen der Familien über die Fr1da-Studie, Blutprobengewinnung und -analyse, Ergebnisweitergabe, Staging und Schulung von präsymptomatischen T1DM-Kindern in lokalen Diabeteszentren ermittelt.

Alle Daten wurden unterteilt in drei Kostenkategorien:

  1. Kosten für die Probengewinnung
  2. Kosten für die Probenanalyse und Mitteilung der Ergebnisse
  3. Kosten für Staging und Schulung.

Die Daten wurden mittels Baummodellen analysiert, um alle Abläufe des Prozesses nachzubilden.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 90.632 Kinder für die Studie rekrutiert. Von 90.205 Kindern konnten Proben analysiert und ausgewertet werden.

Kosten für Probengewinnung

Pro Kind erhielt eine pädiatrische Praxis 12,77 € sowie 3,40 € für die Blutabnahme und 0,72 € für die Verpackung der Proben. Durchschnittlich entstand bei den niedergelassenen Pädiatern ein Zeitaufwand von 14 Minuten für die jeweilige Probenentnahme. Zusätzlich ergaben sich für das Studienzentrum Kosten von 0,18 € für Material, 0,23 € für den Versand und 2,57 € für Logistik und Infrastruktur.

Dadurch entstanden Gesamtkosten von 19,96 € allein für die Probengewinnung (95%-Konfidenzintervall [KI] 12,16 bis 30,97). Davon entfielen 16,96 € (95%-KI 9,25 bis 28,05) auf die pädiatrischen Praxen und 2,99 € (95%-KI 2,25 bis 3,68) auf die Studienzentrale und das Labor.

Kosten für Probenanalyse und Ergebnismitteilung

Zusätzlich zu den Kosten für die Probengewinnung entstanden durchschnittliche Kosten von 8,10 € (95%-KI 6,33 bis 11,03) für die Analyse im Labor und die Ergebnismitteilung. Davon entfielen 1,74 € (95%-KI 0,33 bis 4,66) auf die pädiatrischen Praxen und 6,36 € (95%-KI 5,47 bis 7,20) auf das Studienzentrum und das Labor.

Staging und Schulungskosten

Schulungen waren der teuerste Teil der Screeningkosten. Pro Kind und Familie entstanden hier Kosten in Höhe von 33,00 €. Zusätzlich fielen für den oGTT und die Bestimmung des HbA1c 14,17 € und 4,00 € respektive an, sowie 0,11 € Studiengebühren.

Gesamtkosten

Zusammengerechnet entstanden so pro Kind, das in der Fr1da-Studie gescreent wurde, Kosten in Höhe von 28,17 € (95%-KI 19,96 bis 39,63). Auf die pädiatrischen Praxen entfielen im Schnitt 18,70 € (95%-KI 10,82 bis 30,28) und 9,35 € (95%-KI 8,18 bis 10,45) auf das Studienzentrum und Labor sowie 0,11 € auf die lokalen Diabeteskliniken. Bei Kindern mit diagnostiziertem präsymptomatischem T1DM entstanden weitere Kosten von 9,12 € (95%-KI 6,46 bis 12,83).

Wird angenommen, dass die aktuelle Prävalenz für einen präsymptomatischen T1DM bei 0,31% liegt, würde ein flächendeckendes Screening im Rahmen der Standardversorgung in Deutschland geschätzt etwa 21,73 € (95%-KI 16,67 bis 28,19) pro gescreentem Kind kosten und weitere 7,035 € (95%-KI 5,426 bis 9,124) pro diagnostiziertem Fall. Der größere Anteil der Kosten entstünde mit 12,25 € in den medizinischen Praxen. Auf die Labore und die Koordination entfielen 9,34 € sowie 0,14 € auf die lokalen Diabeteszentren.

Fazit

Mit den Studienergebnissen liegen erste Informationen vor, wie viel ein flächendeckendes Screeningprogramm für einen präsymptomatischen T1DM in Deutschland pro Kind kosten würde und wo die jeweiligen Kostenpunkte liegen. Der Hauptkostenpunkt entsteht in den niedergelassenen Kinderarztpraxen, gefolgt von den Laboren. Basierend auf den erhobenen Daten können Kosten-Nutzen-Analysen erstellt werden, die für eine Präventionsstrategie für Diabetes mellitus Typ 1 notwendig sind.

Autor:
Stand:
15.04.2022
Quelle:

Karl F.M. et al. Costs of public health screening of children for presymptomatic type 1 diabetes in Bavaria, Germany. Diabetes Care 2022. DOI: 10.2337/dc21-1648

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