
Seit Jahren steigt die weltweite Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1 an. Davon sind auch Kinder und Jugendliche betroffen. Was diesen Effekt verursacht, lässt sich nicht eindeutig sagen. Seit Beginn der COVID-19-Pandemie berichten jedoch vermehrt Kliniken von einem deutlich rascheren Anstieg der Inzidenz. Ob das mit Sars-CoV2-Infektionen selbst zu tun hat oder ein Nebeneffekt der Pandemie ist, lässt sich bisher nicht sagen. Auch der mögliche Anstieg der Inzidenz wird immer wieder kontrovers diskutiert.
Das Rady Children’s Hospital San Diego in Kalifornien, USA, hat ebenfalls beobachtet, dass mehr Kinder und Jugendliche im ersten Pandemiejahr neu mit einem Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert wurden. Da sie das einzige Kinderkrankenhaus in der Region sind, stellte sich einem Forschungsteam der Klinik die Frage, ob es sich bei diesem Effekt um den zu erwartenden Anstieg handelt, den sie seit Jahren generell sehen, oder ob die Zahlen sprunghaft angestiegen sind. Deshalb führten sie eine retrospektive Studie durch und veröffentlichten die Daten im Journal »JAMA Pediatrics«.
Zielsetzung
Das Forschungsteam untersuchte die Frage, ob die Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1 im ersten COVID-19-Jahr tatsächlich signifikant angestiegen ist. Zusätzlich interessierte sie, ob mehr Kinder mit diabetischer Ketoazidose vorgestellt wurden oder häufiger auf die pädiatrische Intensivstation aufgenommen werden mussten.
Methodik
Die Querschnittsstudie basiert auf medizinischen Daten des Rady Children’s Hospital San Diego in Kalifornien, USA. Das Forschungsteam hat hierfür Daten aus dem Datenpool der Klinik verwendet. Untersucht wurden Daten von Patientinnen und Patienten zwischen dem 19. März 2020 und dem 18. März 2021 als COVID-19-Pandemiejahr und dem Zeitraum 19. März 2015 bis 18. März 2020 als Vergleichsjahre.
Eingeschlossen wurden Kinder und Jugendliche jünger als 19 Jahre und mit mindestens einem positiven Antikörpertiter für einen Diabetes mellitus Typ 1. Analysiert wurden Daten zu Alter, Geschlecht, dem HbA1c, Body-Mass-Index (BMI) Z Score, COVID-19-Testergebnissen, diabetischen Ketoazidosen (als Nachweis einer Insulininfusion) und Aufnahme auf die pädiatrische Intensivstation. Alle Daten wurden mithilfe des Statistikprogrammes R ausgewertet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden im COVID-19-Jahr 187 Kinder neu mit einem Diabetes mellitus Typ 1 diagnostiziert. Etwas mehr als die Hälfte der Kinder war weiblich (56,7%). Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Inzidenz um 57% (von 119 Kindern im Vorjahr) an. Teilweise überstieg die Zahl der tatsächlichen Neudiagnosen sogar die gemäß des 95%-Konfidenzintervalls (KI) überhaupt erwartete: Im Juli 2020 waren es beispielsweise 15 Neudiagnosen, während statistisch gesehen nur 10 erwartet wurden (95%-KI der erwarteten Neudiagnosen: 6,79 bis 13,89). Auch im Februar 2021 wurde der Effekt erneut beobachtet, denn erwartet hatte das Team hier 10 Neudiagnosen (95%-KI: 6,88 bis 13,54). Beobachtet wurden jedoch 21.
Die Zahl der beobachteten Ketoazidosen zum Zeitpunkt der Diagnose lag ebenfalls über der erwarteten: In den gesamten fünf Vorjahren zusammen gerechnet lag der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die bei Diagnosestellung eine diabetische Ketoazidose hatten und Insulininfusionen brauchten bei 40,75% (261 von 641). Im COVID-19 Jahr hingegen lag sie bei 49,75% (93 von 187). Mit einem p-Wert von 0,01 ist dieser Anstieg statistisch signifikant. Tatsächlich an COVID-19 erkrankt waren von allen Kindern und Jugendlichen bei Aufnahme in die Klinik nur 2,1% (4 von 187). COVID-19-Antikörper wurde nicht getestet.
Alle weiteren Parameter wie das durchschnittliche Alter, der BMI Z Score, der HbA1c oder die Aufnahmen auf die pädiatrische Intensivstation blieben in etwa gleich.
Fazit
Die Inzidenz von Diabetes mellitus Typ 1 ist im ersten COVID-19-Pandemiejahr angestiegen. Signifikant häufiger hatten die Kinder und Jugendlichen zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine diabetische Ketoazidose. Im relevanten Forschungszeitraum war die Zahl der gesamten Klinikaufnahmen niedriger als in den Vorjahren: Sie sank von 2019 auf 2020 um 19%. Deshalb, so das Forschungsteam, kann der beobachtete Anstieg nicht auf veränderte Zuweisungszahlen zurückgeführt werden. Inwieweit dieser Effekt jedoch kausal auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, kann die Studie nicht beantworten, da nicht auf COVID-19 Antikörper getestet wurde.