Typ-1-Diabetes mit Bakterien bekämpfen

Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung. Ließe sich die fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems unterbrechen, könnte die Krankheit verlangsamt oder gestoppt werden. Modifizierte Lactococcus lactis-Bakterien könnten dabei helfen.

Lactococcus

Etwa jeder zehnte bis jeder zwanzigste weltweit hat eine Autoimmunerkrankung. Dazu zählt auch die Stoffwechselstörung Diabetes mellitus Typ 1. Bei dieser Erkrankung werden die Insulin-produzierenden beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse vom Immunsystem angegriffen und zerstört. Dadurch gerät der Glukosestoffwechsel außer Kontrolle. Hyperglykämien treten auf, weil nicht mehr genug Insulin produziert werden kann.

Zwar kann Typ-1-Diabetes heutzutage dank exogenem Insulin meist gut behandelt werden, mittels Spritzen, Pumpen oder Pens kann der körpereigene Insulinrhythmus jedoch nur bedingt nachgebildet werden und das Risiko für Folgeerkrankungen und anderweitige Schäden ist hoch. Deshalb wird viel daran geforscht, Therapien zu entwickeln, die die Erkrankung selbst modifizieren.

Modifizierte Bakterien gegen beta-Zellzerstörung

Eine Möglichkeit, die Erkrankung selbst zu verändern, könnten Lactococcus lactis Bakterien bieten. Speziell modifiziert machen sie es möglich, Autoantigene gegen humanes Proinsulin (hPINS) und menschliches Interleukin-10, ein Toleranz-verstärkendes Zytokin, (hIL-10) bis an die Mukosa des Verdauungstraktes zu bringen. Dort sollen sie regulatorische T-Zellen anregen, die dafür sorgen, dass weniger insulinproduzierende Zellen zerstört werden oder die Zerstörung gänzlich stoppen.

Eine solche Möglichkeit wurde nun mit dem AG019-Kapseln in einer Phase-Ib- und einer Phase-II-IIa-Studie von der Firma Precigen ActoBio getestet. AG019 enthält solch modifizierte Bakterien. Erste Ergebnisse wurden präsentiert beim Federation of Clinical Immunology Societies (FOCIS) 2021 Virtuellen Jahrestreffen. Die endgültigen Ergebnisse werden voraussichtlich im Herbst 2021 erwartet.

Zielsetzung

In Form einer Phase Ib/IIa-Studie sollte die Sicherheit und Verträglichkeit verschiedener Dosen von AG019 überprüft werden - entweder in Kombination mit Teplizumab oder als Monotherapie.

Methodik

Für die Studie wurden multizentrisch Teilnehmende rekrutiert, die einen kürzlich neu aufgetretenen Typ-1-Diabetes hatten. Sie mussten männlich sein oder nicht-schwangere, nicht-stillende weibliche Personen zwischen 18 und 40 oder zwischen 12 und 17 Jahren. Bei allen Teilnehmenden musste mindestens ein beta-Zellautoantikörper nachgewiesen werden, die C-Peptidmessung innerhalb von 4 Stunden nach dem Mixed Meal Tolerance Test (MMTT) >0,2 nmol/L sein, das Körpergewicht mindestens 33 kg und zwischen Erstdiagnose und erster AG019-Dosis durften maximal 150 Tage liegen. Ausgeschlossen wurden unter anderem Menschen mit chronischen, akuten oder akut chronischen Infektionen, anti-CD3-Antikörpertherapie im letzten Jahr und weitere.

Phase-Ib

Die Phase-Ib-Studie, wurde als offen-gelabelte Studie durchgeführt, um Sicherheit und Verträglichkeit von zwei verschiedenen Dosierungen des AG019 in zwei unterschiedlichen Altersgruppen zu untersuchen. Als Altersgruppen wurden für beide Studien die Gruppen 18 bis 40 Jahre und 12 bis 17 Jahre definiert. Die Teilnehmenden wurden in vier sequenzielle Kohorten eingeteilt, die jeweils aus bis zu 6 Teilnehmenden bestanden. Entweder erhielten die Teilnehmenden zwei (niedrige Dosierung) oder sechs (hohe Dosierung) Kapseln pro Tag und gehörten der älteren oder der jüngeren Kohorte an. Die Behandlungsdauer bestand entweder aus einem einzigen Tag oder aus acht Wochen mit täglicher Gabe.

Phase-IIa

Für die Phase-IIa-Studie wurden insgesamt zwei Kohorten mit Teilnehmenden rekrutiert. Die ersten zwei Teilnehmenden wurden aktiv und offen-gelabelt behandelt. Die Teilnehmenden 3 bis 12 wurden randomisiert (4:1) und erhielten doppelt verblindet entweder die medikamentöse Intervention oder ein Placebo. Teplizumab-Infusionen wurden dabei täglich für 12 Tage gegeben mit einer kumulativen Dosis von etwa 17 mg.

Endpunkte

Als primärer Endpunkt wurden Sicherheit und Verträglichkeit der AG019 Behandlung definiert. Beides wurde hinsichtlich auftretender behandlungsbedingter unerwünschter anderer Wirkungen in bis zu 6 Monaten nach Behandlungsbeginn in der Phase-Ib erhoben. Für die Phase-IIa wurden die gleichen primären Endpunkte definiert. Es kam jedoch der Anti-CD3-Antikörper Teplizumab hinzu.

Als Studienobjektiven zählten unter anderem die jeweiligen Dosen von AG019 und AG019 zusammen mit Teplizumab sowie pharmakodynamische und pharmakokinetische Daten. Bei letzterem interessierte das Forscherteam vor allem, ob AG019 möglicherweise im systemischen Kreislauf gefunden werden könnte (safety - systemic exposure), ob das Bakterium L. lactis im Stuhl auftaucht (local exposure) und wie das pharmakokinetische Profil darüber hinaus ist.

Ergebnisse

Die primären Endpunkte wurden in beiden Studienphasen erreicht - sowohl in der Phase-Ib- als auch der Phase-IIa-Studie: AG019 wurde von allen Teilnehmenden gut vertragen und war sowohl für Erwachsene als auch für Jugendliche sicher. Beides konnte für die Monotherapie als auch für die Kombinationstherapie mit Teplizumab bestätigt werden.

Wirksamkeit

In der Phase-Ib-Studie waren bei 56% der Teilnehmenden (5 von 9) die C-Peptidwerte entweder stabil geblieben oder innerhalb der sechs Monate nach der Behandlung angestiegen. Am stärksten sprachen Teilnehmende im Alter von 17 Jahren (58%, 7 von 12) und älter auf die Monotherapie an.

In einer unabhängigen Analyse durch das Immune Tolerance Network (ITN) konnte zusätzlich nachgewiesen werden, dass Präproinsulin-spezifische CD8+ T-Zellen im Kreislauf bei 87% der Patientinnen und Patienten (7 von 8) nach drei Monaten gesunken waren und bei 83% (5 von 6) auch nach sechs Monaten. Auch Präproinsulin-spezifische CD4+ regulatorische T-Zellen wurden verstärkt gefunden bei 75% der erwachsenen Teilnehmenden (3 von 4) nach sechs Monaten und 100% der der erwachsenen Teilnehmenden (4 von 4) nach drei Monaten.

Auch in der Phase-IIa-Studie stabilisierten oder stiegen die C-Peptidwerte sechs Monate nach der Behandlung. In der Kombinationsgruppe mit Teplizumab betraf dies 80% der erwachsenen Patienten (7 von 10) und 100% der Jugendlichen (4 von 4). Es zeigten darüber hinaus 79% aller Patienten (11 von 14) auch nach sechs Monaten noch bessere Werte.

Auf die Präproinsulin-spezifischen CD8+ T-Zellen wirkte sich die Therapie bei 63% der Teilnehmenden (7 von 11) in den ersten drei Monaten und 67% (6 von 9) in den ersten sechs Monaten aus. Bei 40% der Erwachsenen (2 von 5) stieg darüber hinaus auch die Frequenz von Präproinsulin-spezifischen CD4+ regulatorischen T-Zellen.

Verträglichkeit

Berichteten Nebenwirkungen waren überwiegend mild bis in einzelnen Fällen moderat. In Kombination mit Teplizumab traten keine unerwarteten weiteren Nebenwirkungen auf, die nicht gemäß des Sicherheitsprofils des Antikörpers bereits bekannt wären.

Pharmakonkinetische Analyse

Es konnten bei keinem Patienten und keiner Patientin systemisch hPINS, hIL-10 oder AG019-Bakterien im Blut festgestellt werden. Der Wirkstoff wurde nur lokalisiert im Darm abgegeben.

Fazit

Diese beiden Phase-Ib- und Phase-IIa-Studien konnten zeigen, dass es keine Sicherheitsbedenken für AG019 gibt - sowohl in der Monotherapie als auch in der Kombination mit Teplizumab. „Die Stabilisierung des C-Peptids in einem einzigen 8-wöchigen Behandlungszyklus mit AG019 ist in Verbindung mit den synergistischen Effekten, die bei AG019 und Teplizumab beobachtet wurden, vielversprechend. Darin könnte eine Möglichkeit für einen längerfristigen Effekt bei längerer AG019-Behandlung  stecken“, sagt der Professor für Immunbiologie und Medizin Kevan Herold von der Yale University in den USA, der Studienleiter der AG019 Phase-Ib/IIa-Studie.

Autor:
Stand:
18.08.2021
Quelle:
  1. Clinical trials.gov: A study to asses the safety and tolerability of different doses of AG019 administered alone or in combination with Teplizumab to participants with recently diagnosed type 1 Diabetes mellitus (T1D). NCT03751007. 11.02.2021 [zuletzt aufgerufen am 17.08.2021]
  2. Precigen Actobio: Precigen ActoBio announces positive topline results from Phase-Ib/2a study of AG019 ActoBiotics, a novel therapy designed to address the underlying cause of type 1 diabetes. Pressemitteilung. 10.06.2021 [zuletzt aufgerufen am 17.08.2021]
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