
Die Lebenserwartung von Überlebenden einer Krebserkrankung, die mit einer Stammzelltransplantation (SCT) behandelt wurde, liege deutlich unter der ihrer Alters- und Geschlechtsgenossen – unabhängig davon, ob eine autologe oder allogene hämatopoetische Stammzelltransplantation (SCT) durchgeführt wurde, erklärte Prof. Dr. Mutlu Arat, Direktor der Hämatologie am »Florence Nightingale Hastaneleri« in Istanbul (Türkei) anlässlich der virtuellen Jahrestagung der »European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT)« [1, 2]. Zehn Jahre nach allogener SCT erreicht die rezidiv-bedingte Mortalität ein Plateau. Je länger die Nachbeobachtungszeit ist, umso mehr gewinnt die nicht rezidiv-abhängige Mortalität als führende Todesursache an Bedeutung, ohne wirklich ein Plateau zu erreichen. Nach 20 Jahren ist die vom Rezidiv der Grunderkrankung unabhängig Mortalität bei allogener SCT mit 13,9% um ein Vielfaches höher als die rezidiv-abhängige Mortalität mit 2,9% [2]. Wesentliche Todesursachen sind Infektionen (mit oder ohne Graft-versus-Host-Erkrankung, engl. Graft versus Host Disease, GVHD), sekundäre Neoplasien und kardiologische und pulmonale Komplikationen.
SCT-Überlebende brauchen verlässliche Nachsorge
Eine Optimierung der Therapie von der Konditionierung bis zur GVHD-Prophylaxe und -Therapie könnte zukünftig die Morbidität der Überlebenden nach SCT verbessern. Schon jetzt sind ein adäquates Langzeitmonitoring der Patienten sowie die Prävention und das Management der Komplikationen von großer Bedeutung. Viele Patienten wissen allerdings nicht genau Bescheid über die Details ihrer Therapie und das empfohlene Langzeitmonitoring. Zudem sind die Transplantationszentren mit der lebenslangen Nachsorge überfordert. Oftmals ist unklar, wer die Koordination der Kontrollen auf längere Sicht leisten soll. So berichtete eine 20-jährige Patientin aus Deutschland, sie sei umgezogen und werde vom Zentrum nahe ihres aktuellen Wohnorts nicht weiter betreut, sondern immer wieder an das ursprüngliche Transplantationszentrum verwiesen.
Langzeit-Nachsorge muss Hausarzt involvieren
Das sei überall auf der Welt ein Problem, erklärte Prof. Dr. Mutlu Arat. Sinnvoll sei, dass das Transplantationszentrum die Nachsorge initial einleite und koordiniere. Spätestens nach fünf Jahren sei die Langzeitbetreuung aber auch gut über den Hausarzt zu organisieren. Die Primärversorger sehen allerdings in ihrer gesamten Karriere normalerweise nur wenige Patienten nach Transplantation und überblicken daher nicht alle Details. Prof. Dr. Navneet S. Majhail, Direktor des Transplantationszentrums der Cleveland Clinic (Cleveland, Ohio, US) betonte daher, es sei sehr wichtig, die Patienten selbst zu ermächtigen [3].
Survivorship-Versorgungsplan
Er stellte einen »Survivorship care plan« vor, der dem Patienten schriftlich ausgehändigt wird. Der Plan enthält alle Angaben zur Erkrankung, zur Behandlung im Rahmen der Knochenmarktransplantation und zur GVHD-Prophylaxe oder Therapie sowie einen Überblick über die empfohlenen präventiven Maßnahmen und Kontrolluntersuchungen. Eingeschlossen sind auch Hinweise zu psychosozialen Angeboten und Informationen zur Reintegration – ob in die Schule oder in den Beruf. Ob ein solcher Plan das Wissen der Patienten über Expositionen und die empfohlene Nachsorge, Stress und Lebensqualität, Gesundheitsverhalten und Inanspruchnahme von präventiven Gesundheitsangeboten verbessert, untersuchte Majhail mit seiner Arbeitsgruppe in einer randomisiert-kontrollierten Studie [4]. Die Studie schloss Patienten aus dem US-amerikanischen Transplantationsregister »Center for International Blood and Marrow Transplant Research (CIBMTR)« ein, deren Transplantation ein bis fünf Jahre zurücklag. Bei einem ersten Anruf wurden patientenberichtete Endpunkte (engl. patient reported outcomes, PRO) erhoben. Im Interventionsarm erhielten die Patienten einen individuell auf sie abgestimmten Survivorship-Versorgungsplan, im Kontrollarm nicht. Nach sechs Monaten erfolgte erneut eine Erhebung von PRO.
Survivorship-Nachsorgeplan entlastet Patienten
Etwa die Hälfte, der im Median 60 Jahre alten Patienten hatte jeweils eine autologe bzw. eine allogene Stammzelltransplantation erhalten, fast zwei Drittel der allogen transplantierten Patienten hatten trotz Prophylaxe und Akuttherapie eine chronische Graft-versus-Host-Disease (GVHD) entwickelt. Die Belastung durch die Krebserkrankung und die Transplantation war in der Gruppe mit dem Survivorship-Nachsorgeplan signifikant geringer ausgeprägt als ohne und die mentale Lebensqualitätskomponente nach dem Short-Form-12-Lebensqualitätsfragebogen verbesserte sich – ganz ohne zusätzlichen Kontakt mit einem Medizinprofi, um sich den Survivorship-Versorgungsplan noch einmal erklären zu lassen, berichtete Majhail.
Nicht alle SCT-Überlebende machen mit
In der randomisiert-kontrollierten Studie wurden aber auch die Grenzen eines solchen Survivorship-Programms klar: nur 41% der angefragten Pateinten, die eigentlich die Einschlusskriterien erfüllt hätten, waren bereit, an dieser Studie teilzunehmen und weniger als 50% nutzten die zusätzlichen Informationsangebote auf der Webseite der Studie. „Ein Survivorship-Nachsorgeplan ist natürlich nur wirksam, wenn man ihn auch benutzt“, betonte Majhail. Inzwischen laufen Studien zu Internet-basierten Interventionen speziell für Überlebende nach Krebs und SCT, die Depression/Distress aufweisen und Adhärenz zum Versorgungsplan bekunden sowie zum Selbstmanagement von Patienten mit schlechter Adhärenz zu kardiometabolischer Nachsorge und Krebsfrüherkennungsprogrammen. Letztlich würden adaptierbare Survivorship-Versorgungsprogramme für unterschiedliche Situationen benötigt, die mit Technologien wie Internetangeboten und Apps unterstützt werden, ist Majhail überzeugt. Survivalship sei keine Phase – es gehe um den Rest des Lebens.