Ursache für schwere Hepatitiden bei Kindern entschlüsselt?

In Leber und Blut der meisten Patienten konnten die kompletten Genome des adenoassoziierten Virus 2 (AAV2) nachgewiesen werden. Ebenso wurden zwei Helferviren und eine HLA-Assoziation, die die Krankheitsanfälligkeit erhöht, identifiziert.

Kind Bauch

Hintergrund

Anfang April dieses Jahres machten britische Behörden die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf eine ungewöhnliche Häufung von schweren Hepatitiserkrankungen bei Kindern aufmerksam. Seit Mai wurden nunmehr 1010 Fälle aus 35 Ländern gemeldet. 46 Kinder benötigten eine Lebertransplantation, 22 starben an einem Leberversagen [1]. Erstaunlicherweise waren die Entzündungen nicht auf einen der fünf typischen Hepatitisviren A–E zurückzuführen. Jetzt scheint die Ursache entschlüsselt worden zu sein. Zwei Forscherteams präsentieren eine Erklärung, die auf eine virale Doppelinfektion und eine bestimmte genetische Disposition als Ursache der Hepatitiden hindeuten [2,4].

Das anfangs vermutete Adenovirus 41 (AdV41) sowie das kurzzeitig unter Verdacht stehende SARS-CoV-2 wurden als alleinige Ursache verworfen. Die Frage, ob eine indirekte Beziehung zur COVID-19-Pandemie und/oder einer AdV41-Beteiligung bei der Krankheitsentstehung eine Rolle spielt, ist noch nicht abschließend geklärt.

AAV2 plus Helferviren

Einer aktuellen Studie zufolge könnte das adenoassoziierte Virus 2 (AAV2) ein ursächlicher Faktor der schweren Hepatitiden bei Kindern sein. In einem auf dem Preprint-Server „MedRxiv“ erschienenen Artikel wurden die Ergebnisse einer Untersuchung von Forschenden an der Universität Glasgow publiziert, die Plasma/Serum-Proben und Leberbiopsien von neun erkrankten Kindern und 58 Kontrollpersonen mithilfe von Next-Generation-Sequenzierungsmethoden und Echtzeit-PCR analysierten. Das Team um Dr. Emma Thomson vom „Glasgow Centre for Virus Research“ fand in allen neun Plasmaproben und in allen vier untersuchten Leberbiopsien AAV2-DNA, jedoch in keiner der Kontrollproben – auch nicht bei Kindern mit einer anderen Infektion durch humane Adenoviren (HAdV) oder solchen, die wegen einer Hepatitis anderer Genese in Behandlung waren.

Nach derzeitigem Kenntnisstand kann AAV2 allein keine Zellen infizieren. Um sich replizieren zu können, benötigt der Erreger Hilfe. Zu den bekannten Helferviren zählen HAdV und das humane Herpesvirus 6B (HHV6B), dem Erreger der Roseola infantum (Drei-Tage-Fieber). Auch hier wurden die Virologen fündig. So konnten sie bei sechs Kindern eine gleichzeitige Infektion mit HAdV der Spezies C und F und bei drei Kindern eine Infektion mit dem HHV6B nachweisen [2,3].

Genetische Disposition

Londoner Wissenschaftler untermauern die These der schottischen Forscher. Dr. Sofia Morfopoulou vom Institute of Child Health am University College London und Kollegen untersuchten mit der gleichen Technik 28 Kinder mit Hepatitis sowie 136 Kontrollpersonen. Bei fünf Kindern, die sich einer Lebertransplantation unterziehen mussten, fanden sich in den explantierten Leberorganen hohe Konzentrationen von AAV2. AAV2 war ebenso in zehn von elf Plasmaproben nicht transplantierter Fälle enthalten [4,5].

Genetische Disposition

Neben der viralen Komponente entdeckte das Glasgower Team eine weitere Besonderheit. So waren acht der neun pädiatrischen Patienten (89 Prozent) Träger des HLA-DRB1*04:01-Allels der Klasse II, eine besondere Variante eines Immunabwehr-Gens. Normalerweise wird dieses Allel nur bei 15,6 Prozent der schottischen Blutspender gefunden.

Es ist also denkbar, dass diese genetische Disposition die Anfälligkeit für eine schwere Hepatitis erhöht. Dr. Angela Rasmussen, Virologin bei der Vaccine and Infectious Disease Organization (VIDO) an der staatlichen Universität of Saskatchewan in Kanada, schlussfolgert im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin STAT, dass – wenn die Ergebnisse stimmen – für eine Erkrankung eine Kombination von drei Komponenten nötig ist: das adenoassoziierte Virus 2, ein Helfervirus und eine bestimmte genetische Veranlagung [6]. Beide Untersuchungen müssen noch abschließend begutachtet werden.

Autor:
Stand:
28.07.2022
Quelle:
  1. Weltgesundheitsorganisation (WHO), News: Severe acute hepatitis of unknown aetiology in children – Multi-country; 12. Juli 2022.
  2. Ho, A. et al. (2022): Adeno-associated virus 2 infection in children with non-A-E hepatitis. medRxiv 2022 Jul; DOI: 10.1101/2022.07.19.22277425.
  3. University of Glasgow, Pressemitteilung: Hepatitis cases in children linked to adeno-associated virus AAV2; 25. Juli 2022.
  4. Morfopoulou, S. et al. (2022): Genomic investigations of acute hepatitis of unknown aetiology in children. Preprint 2022 Jul.
  5. Great Ormond Street Hospital for Children (GOSH), Pressemitteilung: Investigating the rise in hepatitis in children; 25. Juli 2022.
  6. Branswell, H. (2022): New studies offer theory on cause of unusual hepatitis cases in kids. STAT; 25. Juli 2022.
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