
Schätzungen zufolge ernähren sich 10 % aller Deutschen vegetarisch und mindestens 1 % strikt vegan – darunter auch viele junge Familien mit Kleinkindern. Doch Fleisch und tierische Produkte enthalten viele Nährstoffe, die wichtig für die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder sind. Aus Sicht der Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) kann daher eine ovo-lacto-vegetarische Ernährung – also ohne Fleisch und Fisch, aber mit Eiern und Milchprodukten – als Dauerkost für Kinder und Jugendliche empfohlen werden. Eine rein vegane Kost, bei der komplett auf tierische Lebensmittel verzichtet wird, hält sie jedoch aufgrund der Gefahr eines Nährstoffmangels und der Entwicklung von Nährstoffmangelzuständen für ungeeignet. Grund für diese Einschätzung ist die bislang dünne und unzureichende Datenbasis [1].
VeChi-Youth-Studie: ähnliche Versorgung der Kinder mit Nährstoffen
Aus diesem Grund wurden in den letzten Jahren einige Studien angefertigt, die die Nährstoffversorgung von minderjährigen Vegetariern und Veganern untersucht hatten. Die DGE beispielsweise initiierte im Jahr 2017 die VeChi-Youth-Studie, laut der die meisten der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen sowohl bei omnivoren, vegetarischen als auch veganen Lebensstil ausreichend mit den Hauptnährstoffen sowie den meisten Vitaminen und Mineralstoffen versorgt waren. „Auch bei einer vegetarischen oder rein pflanzlichen Ernährung war bei den meisten Kindern die Versorgung mit Vitamin B12 ausreichend. Bei den vegetarischen Ernährungsformen war zudem die Zufuhr an Ballaststoffen sehr hoch,“ ergänzen die Studienleiter Dr. Ute Alexy (Universität Bonn) und Dr. Markus Keller (Institut für alternative und nachhaltige Ernährung). Kritische Nährstoffe waren bei allen drei Ernährungsformen Vitamin B2, Vitamin D, Jod und Calcium [2].
Vegetarisch, vegan oder doch besser Mischkost?
Des Weiteren werteten Schürmann und Kollegen (pädiatrische Universitätsklinik Bochum; Universität Bonn) im Jahr 2017 für ihren systematischen Review insgesamt 24 Veröffentlichungen von 16 Studien aus, die zwischen 1988 und 2013 publiziert worden waren. Unter anderem aufgrund der kleinen Stichprobe und des Mangels an neueren Studien konnten die Autoren jedoch keine Empfehlung für oder gegen eine vegetarische Ernährung bei Kindern aussprechen [3]. Die dünne Datenlage ist auch der Grund, weswegen medizinische Fachgesellschaften zu unterschiedlichen Empfehlungen kommen.
- Die nordamerikanische Fachgesellschaft beispielsweise empfiehlt eine sorgfältig geplante vegetarische und vegane Ernährung für Menschen jeglichen Alters.
- Laut der pädiatrischen Gesellschaft in Kanada ist eine vegetarische Ernährung aus ernährungsphysiologischer Sicht nur dann sinnvoll, wenn der Speiseplan auch Eier und Milchprodukte enthält (ovo-lacto-vegetarische Ernährung).
- Unter anderem die DGE sowie die Fachgesellschaften aus Spanien oder Belgien lehnen eine vegane Ernährung bei Kindern ab.
Einteilung in vegetarisch und nicht-vegetarisch
Ob eine fleischlose Ernährung in den ersten Lebensjahren die Versorgung mit Eisen und Vitamin D sicherstellt und genügend Nährstoffe für das Wachstum liefert, haben nun auch kanadische Ernährungswissenschaftler um Dr. Laura Elliot (University of Toronto) untersucht. Hierfür werteten sie die Längsschnitt-Kohortenstudie „TARGet Kids!“ aus, welche Kinder zwischen sechs Monaten und acht Jahren begleitete (Durchschnittsalter: 2,2 Jahre). Zu Studienbeginn ernährten sich 248 Kinder von insgesamt 8907 vegetarisch oder vegan., wobei sich die Zahl im weiteren Studienverlauf auf 338 erhöhte. Knapp drei Jahre lang wurden von diesen Kindern diverse Parameter wie der Ferritinwert als Biomarker für die Eisenversorgung, der 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Spiegel und die Blutfettwerte erfasst und Körpergröße, Gewicht und BMI mithilfe von Referenztabellen der Weltgesundheitsorganisation ausgewertet [4].
Knapp doppelt so hohes Risiko für Untergewicht
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich fleischlos ernährende Kinder ähnliche Eisen-, Vitamin-D- Cholesterin- und – wenn sie die empfohlenen zwei Tassen Kuhmilch am Tag tranken – Serumlipidwerte aufwiesen wie die jungen Nicht-Vegetarier. Ein paar Unterschiede gab es allerdings: Kinder, die auf den Konsum von Fleisch verzichteten, waren zum einen etwas kleiner: Für ein dreijähriges Kind entsprach der Größenunterschied jedoch lediglich 0,3 cm und war laut den Autoren damit klinisch nicht relevant. Zum anderen befanden sich unter den Vegetariern mehr untergewichtige Kinder als in der Mischkost-Gruppe. Die Odds Ratio betrug 1,87, was ein um 87 % erhöhtes Risiko bedeutete.
Höheres Risiko für Untergewicht nur Zufall?
Die Studie weist allerdings einige Schwächen auf. Dr. Peter von Philipsborn (Ludwigs-Maximilians-Universität München) erklärt beispielsweise in einer Anfrage des Science Media Center, dass sich zwar bei den Vegetariern mehr untergewichtige Kinder befanden, das durchschnittliche Körpergewicht der beiden Gruppen sei jedoch ähnlich. „Da die Anzahl der Kinder mit Untergewicht in der Studie insgesamt sehr niedrig war, ist der scheinbare Unterschied zwischen den zwei Gruppen daher möglicherweise auf einen Zufallseffekt zurückzuführen. Dies ist insbesondere deshalb möglich, weil in der Studie eine große Zahl an Merkmalen untersucht wurde – und je mehr Merkmale untersucht werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich bei mindestens einem Merkmal rein durch Zufall ein vermeintlicher Unterschied zwischen den untersuchten Gruppen zeigt. Dies wurde von den Autoren in ihren Berechnungen nicht berücksichtigt,“ meint von Philipsborn [5].
Überschätztes Untergewicht?
Zudem verwendeten die Autoren für die Klassifikation der Kinder als untergewichtig eine Methode, die für Kinder europäischer Herkunft entwickelt worden war. Unter den jungen Vegetariern befanden sich jedoch viele Kinder von Einwanderern aus asiatischen Ländern, in denen die vegetarische Ernährungsform weit verbreitet ist (33,8 % versus 19,0 %). Aus diesem Grund kann es sein, dass die Häufigkeit von Untergewicht überschätzt wurde. Weitere Schwächen der Studie waren zudem:
- Fehlende Unterscheidung zwischen vegetarisch und vegan ernährten Kindern. Bekanntlich kann es bei veganer Ernährung unter anderem zu einem Vitamin-B12-Mangel kommen.
- kurze Beobachtungsdauer
- lückenhafte Informationen über die Ernährung der Kinder und ihrer Eltern
Vegetarisch bei Kindern ja, vegan nein
Um die langfristigen Konsequenzen einer vegetarischen Ernährung auf das Wachstum und den Ernährungsstatus zuverlässig einzuschätzen, empfehlen die Wissenschaftler um Elliot daher, größere Kohortenstudien anzufertigen. „Während eine vegetarische Ernährung mit Milchzufuhr für Kleinkinder wahrscheinlich unbedenklich ist, ist eine vegane Ernährung in dieser Altersgruppe bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin als kritisch zu bewerten und sollte nach Möglichkeit nicht empfohlen werden,“ ist Professor Dr. Hans Hauner (Technische Universität München) der Meinung [5].