Genetik ANCA-assoziierter Vaskulitiden - Pathogenese, Klinik und Prognose

ANCA-assoziierte Vaskulitiden (AAV) unterscheiden sich bzgl. dem Vorkommen und des Typs von ANCA. Genetische Assoziationsstudien wurden nun in einer Übersichtsarbeit zusammengefasst und erlauben ggf. eine Erweiterung der Klassifikation von AAV.

Genom Sequenzierung

Zu den Vaskulitiden, die mit Anti-Neutrophilen zytoplasmatischen Antikörpern (ANCA) assoziiert sind, gehören Granulomatose mit Polyangiitis (GPA, ehemals Morbus Wegener), mikroskopische Polyangiitis (MPA) und eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA). Diese ANCA-assoziierten Vaskulitiden (AAV) haben ein pauciimmunes Erscheinungsbild, betreffen vorrangig die kleinen Blutgefäße und zeichnen sich häufig aus durch das Zirkulieren von ANCA, die sich entweder gegen das zytoplasmatische Enzym Proteinase-3 (PR3-ANCA, auch c-ANCA) oder das perinukleäre Enzym Myeloperoxidase (MPO-ANCA, auch p-ANCA) richten.

Die Häufigkeit von PR3-ANCA und MPO-ANCA unterscheidet sich je nach AAV. Bei ca. 70% der Patienten mit GPA finden sich PR3-ANCA, während man bei Patienten mit MPA stattdessen hauptsächlich MPO-ANCA findet. Bei Patienten mit EGPA findet man nur zu 30-40% ANCA, die sich fast ausschließlich gegen MPO richten.
Die drei Formen der AAV besitzen außerdem Ähnlichkeiten in den Organen, in denen sie sich manifestieren. Andererseits unterscheiden sie sich auch teilweise hinsichtlich ihrer klinischen Erscheinungsbilder. So manifestiert sich z. B. GPA nasal mit einer verkrusteten Rhinitis und Sattelnase, während MPA zu einer serösen Rhinitis führen kann. EGPA hingegen kann Nasenpolypen und eine Rhinitis auslösen.

Ätiologie von AAV

Wie genau die Toleranz für körpereigene MPO und PR3 verloren geht und wie daraus AAV entstehen, ist nicht vollständig verstanden. Neuerkrankungen und Rezidive von AAV können durch Umweltfaktoren ausgelöst werden, z. B. durch den Kontakt mit bestimmten Medikamenten, Impfungen, Pathogenen und Schadstoffen.
MPA und MPO-ANCA-positive Fälle sind häufiger in Südeuropa und Ostasien, während GPA und PR3-ANCA-positive Fälle häufiger in Nordeuropa und Amerika vorkommen. Dies weist darauf hin, dass AAV auch abhängig von genetischen Faktoren ist.

Die genetische Prädisposition für AAV scheint polygen zu sein und ist daher relativ schwierig zu untersuchen. Genom-weite Assoziationsstudien (GWAS) konnten in den letzten Jahren nicht nur bereits bekannte genetische Assoziationen bestätigen, sondern durch ihre systematische Methodik weitere Risiko-Loci für AAV ermitteln. In einem Review von 2022 wurde das bisherige Wissen zur genetischen Grundlage von AAV zusammengefasst.

Genetische Assoziationen mit GPA und MP

HLA-Region

Die Humane-Leukozytenantigene-(HLA)-Region kodiert für antigenpräsentierende Moleküle und stellt den größten genetischen Risikofaktor für AAV dar. Polymorphismen im HLA-DPB1-Locus scheinen ANCA-spezifisch zu sein, da die Varianten stärker mit PR3-ANCA-positiven Patienten assoziiert sind als mit allen Patienten mit GPA. Außerdem sind mehrere klassische HLA-Allele, u. a. DRB1*0901, DRB1*1302, DQA1*0302 und DQB1*0303, assoziiert mit MPA und MPO-ANCA-positiven AAV in ostasiatischen Populationen.

PRTN3

Proteinase-3 wird auf der Zelloberfläche von einigen zirkulierenden Neutrophilen exprimiert und durch das Gen PRTN3 kodiert. Da der Anteil an PR3-exprimierenden Neutrophilen zeitlich konstant ist in einem Individuum und zwischen monozygotischen Zwillingen korreliert, scheint die Expression von PR3 genetisch reguliert zu sein. Viele Studien haben beobachtet, dass PRTN3-Varianten mit GPA und besonders mit PR3-ANCA-positiven Fällen assoziiert sind. Einige der Varianten führen zu einer erhöhten Expression von PR3 in Neutrophilen. Dies bestärkt die Hypothese, dass eine genetisch regulierte erhöhte Expression von PR3 zu dem Toleranzverlust gegenüber PR3 führt.

SERPINA1

Serinproteasen wie PR3 werden durch α1-Antitrypsin inhibiert. SERPINA1 kodiert für α1-Antitrypsin und mehrere Studien haben eine Assoziation gefunden zwischen GPA bzw. insbesondere PR3-ANCA-positiven Fällen und zwei Allelen von SERPINA1, die zu einer verminderten Expression von α1-Antitrypsin führen. Eine geringere Inhibition von PR3 könnte demnach wie auch eine erhöhte Expression von PR3 zu PR3-ANCA führen.

PTPN22

Das Gen PTPN22 kodiert für eine lymphoide Tyrosinphosphatase, die negativ regulierend auf die T-Zell-Aktivierung wirkt. Die genetische Variante Arg620Trp ist nicht nur mit GPA und MPA assoziiert, sondern auch mit anderen Autoimmunerkrankungen wie z. B. Großgefäßvaskulitiden.

CTLA4

Ein weiterer negativer Regulator der T-Zell-Aktivierung wird durch CTLA4 kodiert. Mehrere Varianten von CTLA4 sind mit AAV assoziiert. Eine Variante, die den Transport von CTLA4 zur Zelloberfläche betrifft, ist assoziiert mit GPA.

BACH2

Eine neuere Studie beschreibt ein Polymorphismus im Gen BACH2, der mit MPO-ANCA-positiver AAV assoziiert zu sein scheint. Diese Variante führt zu einer verminderten Expression von BACH2 und könnte über eine veränderte Endothelzellfunktion zur Entstehung von Vaskulitis beitragen. BACH2 ist ein häufiger genetischer Risikofaktor für Autoimmunerkrankungen. Ein anderes Allel an diesem Locus ist assoziiert mit EGPA.

Genetische Assoziationen mit EGPA

Der HLA-Locus ist auch mit MPO-ANCA-positiver EGPA assoziiert, nicht aber mit ANCA-negativer EGPA. Ein Allel scheint auch protektiv zu wirken.

Eine Variante des Gens für das Zelloberflächenglykoprotein GPA33 ist assoziiert mit ANCA-negativer EGPA und scheint die Expression von GPA33 im Lungengewebe zu beeinflussen.
Gene wie TSLP, IRF1/IL5, GATA3, LPP/BCL6, CDK6, BIM und BACH2 kodieren für Proteine, die die Immunantwort von Typ2-T-Helferzellen und eosinophile Entzündung kontrollieren. Varianten dieser Gene sind nicht nur mit EGPA assoziiert, sondern viele auch mit Asthma bronchiale, einem weiteren zentralen Bestandteil des klinischen Erscheinungsbildes von EGPA. Bis auf IRF1/IL5 sind Varianten der anderen Gene mit ANCA-negativer und MPO-ANCA-positiver EGPA assoziiert.

Rolle der Genetik bei der Pathogenese

Die gefundenen genetischen Assoziationen mit AAV sind hauptsächlich in der Modulation der Immunantwort oder der Aktivität von PR3 involviert und weisen damit auf mögliche Schritte der Pathogenese hin. Der genetische Hintergrund unterscheidet sich stärker nach Typ bzw. Vorkommen der ANCA als nach der klassischen Einteilung in GPA, MPA und EGPA. Möglicherweise sollten AAV daher eher nach ihrer Genetik bzw. ihrem ANCA-Status eingeteilt werden.

Hierbei sollte beachtet werden, dass einige Risiko-Allele, wie z. B. die von PTPN22, nicht nur mit GPA und MPA assoziiert sind, sondern auch mit anderen Autoimmunerkrankungen. So zeigt sich, dass Verwandte ersten Grades von Patienten mit GPA ein erhöhtes Risiko für ein weites Spektrum von Autoimmunerkrankungen haben. Andere Risiko-Allele scheinen relativ spezifisch für bestimmte Subgruppen von AAV zu sein, wie z. B. die von BACH2 für MPO-ANCA-positive Vaskulitis.

Die stärksten Assoziationen zeigen sich mit Allelen der HLA-Klasse-II-Antigen-Region. HLA-DP ist stark mit PR3-ANCA und HLA-DQ ist stark mit MPO-ANCA assoziiert. Dies suggeriert, dass zwei verschiedene Autoimmunsignalwege zu dem Entstehen von verschiedenen ANCA-Typen und verwandten Erkrankungen führen kann.

Auch die starke Assoziation von Allelen von PRTN3 und SERPINA1 mit PR3-ANCA-positiven Fällen eröffnet einen Einblick in die mögliche Pathogenese von PR3-ANCA-positiver AAV. Es scheint plausibel, dass eine erhöhte Expression oder verminderte Inhibition von der möglicherweise gewebsschädigenden Proteinase-3 zu PR3-ANCA führen kann.

Andererseits konnten ähnliche Assoziationen von MPO-ANCA-positiver AAV nicht für Varianten von MPO gefunden werden. Dies könnte an einem biologischen Unterschied im Vergleich zur Pathogenese von PR3-ANCA-positiver AAV liegen oder an den vergleichsweise kleinen Studien zu MPO-ANCA-positiver AAV mit ggf. fehlender statistischer Power. Daher werden zukünftig größere unabhängige Studien zu MPO-ANCA-positiver AAV benötigt.

Rolle der Genetik bei Klinik und Prognose

Relativ wenig Studien haben die Assoziationen von genetischen Varianten und der Krankheitsschwere bzw. Prognose von AAV untersucht. In einer Studie wurde eine starke Assoziation zwischen Trägern des Z-Allels von SERPINA1 mit einer größeren Anzahl an betroffenen Organen und höherer Mortalität (39% vs. 16%) als in Nicht-Trägern gefunden.

Auch einige HLA-Allele sind mit einem schlechterem Ansprechen auf die Therapie, höheren Rezidivraten oder höherer Mortalität assoziiert. Eines dieser Allele ist mit einer erhöhten Rezidivrate assoziiert, aber nur in PR3-ANCA-positiven Patienten und nicht in MPO-ANCA-positiven Patienten. Es wurde gezeigt, dass das Produkt dieses Allels mit hoher Affinität ein spezifisches PR3-Peptidepitop bindet und dass autoreaktive T-Zellen mit höherer Frequenz das von dieser HLA-Variante präsentierte Epitop erkennen.

Klassifikation der AAV nach Serologie

Die verschiedenen genetischen Hintergründe von PR3-ANCA-positiven und MPO-ANCA-positiven Patienten mit GPA oder MPA scheinen auch mit der klinischen Präsentation und der Prognose zu korrelieren. So sind PR3-ANCA mit granulomatösen Läsionen, jüngerem Alter bei Manifestation und einem höheren Rezidivrisiko assoziiert. MPO-ANCA hingegen sind mit kardiovaskulären Ereignissen, fortgeschrittenen Nierenläsionen und chronischer Nierenkrankheit assoziiert. Dies resultiert in einer insgesamt schlechteren Prognose.

Auch bei EGPA existieren Unterschiede in der klinischen Präsentation je nach ANCA-Status, jedoch sind diese nicht besonders stark ausgeprägt. ANCA-negative EGPA manifestiert sich zwar selten als ausgeprägte Vaskulitis, sollte jedoch von den anderen AAV nicht als komplett andere Entität klassifiziert werden, da sie sich in der klinisch-pathologischen Erscheinung auch relevant mit MPO-ANCA-positiver EGPA überschneidet.

Fazit

Derzeit werden MPA, GPA und EGPA im Rahmen der revidierten International-Chapel-Hill-Consensus-Conference-Nomenklatur zusammen als AAV klassifiziert und nach klinisch-pathologischen Aspekten wie granulomatöser Inflammation beschrieben.

Aufgrund der teilweise unterschiedlichen genetischen Prädisposition, klinischen Präsentation und Prognose könnten die AAV auch nach Vorkommen bzw. Typ der ANCA sinnvoll klassifiziert werden. Dies wird auch unterstützt durch die Unterschiede in der Pathogenese, Klinik und Prognose bei verschiedenen genetischen Hintergründen. Jedoch präsentieren sich nach Serologie eingeteilte Patientengruppen klinisch teils sehr verschieden und mit größeren Überlappungen mit anderen Gruppen. Daher könnte zukünftig die klinisch-pathologische Einteilung durch den serologischen Status ergänzt werden, um z. B. die Unterscheidung von PR3-ANCA-positiver und MPO-ANCA-positiver GPA zu ermöglichen.

Autor:
Stand:
15.11.2022
Quelle:

Trivioli et al. (2022): Genetics of ANCA-associated vasculitis: role in pathogenesis, classification and management. Nature Reviews Rheumatology, DOI: 10.1038/s41584-022-00819-y

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