Baloxavir marboxil
Baloxavirmarboxil ist das erste Medikament einer neuen antiviralen Substanzklasse zur akuten Behandlung der Influenza und zur Postexpositionsprophylaxe. Das Virostatikum greift besonders früh in den Replikationszyklus von Grippeviren ein indem es die CAP-abhängige Endonuklease hemmt.
Baloxavirmarboxil : Übersicht

Anwendung
Baloxavirmarboxil ist für die Behandlung von Patienten ab zwölf Jahren mit unkomplizierter Influenza zugelassen. Grundsätzliche Voraussetzung für die Anwendung ist, dass die Symptome noch nicht länger als 48 Stunden andauern. Das Arzneimittel ist neben ansonsten gesunden Patienten ebenso für Personen indiziert, bei denen ein hohes Risiko für die Entwicklung grippebedingter Komplikationen besteht. Überdies wurde die Zulassung zur Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit einer an Grippe erkrankter Person erteilt
Anwendungsart
Baloxavirmarboxil ist unter dem Handelsnamen Xofluza in Tablettenform (20 und 40 mg) erhältlich und als Einmalgabe vorgesehen.
Wirkmechanismus
Der Wirkstoff bekämpft Grippeviren durch frühes Eingreifen in deren Replikationszyklus. Baloxavirmarboxil ist ein Prodrug, das durch Hydrolyse im menschlichen Körper in seinen aktiven Metaboliten Baloxavir umgewandelt wird. Baloxavir inhibiert die Aktivität der cap-abhängigen Endonuklease (CEN), einem Grippevirus-spezifischem Enzym in der Polymerase-Acidic-Untereinheit des viralen RNA-Polymerase-Komplexes. Dadurch wird die Bildung der für die Proteinbiosynthese notwendigen messenger RNA (mRNA) verhindert und die Replikation der Influenzaviren gestoppt. Baloxavirmarboxil wirkt zielgerichtet gegen Grippeviren (Typ A und B) sowie gegen Oseltamivir-resistente Stämme und Stämme der Vogelgrippe (zum Beispiel H7N9 und H5N1).
Pharmakokinetik
Resorption
- Nach oraler Anwendung wird Baloxavirmarboxil nahezu vollständig in den aktiven Metaboliten Baloxavir umgewandelt.
- Die Plasmakonzentration von Baloxavirmarboxil ist sehr niedrig oder unterhalb der Bestimmungsgrenze (< 0,100 ng/ml).
- Nach oraler Anwendung einer Einmaldosis von 80 mg Baloxavir marboxil beträgt die Zeit bis zum Erreichen der Spitzenplasmakonzentration (Tmax) im Nüchternzustand ca. 4 Stunden.
- Die absolute Bioverfügbarkeit von Baloxavir nach oraler Anwendung von Baloxavirmarboxil wurde nicht untersucht.
Verteilung
- In einer In-vitro-Studie wurde Baloxavir zu 92,9% bis 93,9% an menschliche Serumproteine, hauptsächlich Albumin, gebunden.
- Das scheinbare Verteilungsvolumen von Baloxavir beträgt nach Anwendung einer oralen Einmaldosis während der terminalen Eliminationsphase (Vz/F) ca. 1.180 Liter bei kaukasischen und ca. 647 Liter bei japanischen Probanden.
Biotransformation
- Baloxavir wird primär durch UGT1A3 durch Bildung eines Glucuronids metabolisiert und CYP3A4 leistet durch Bildung eines Sulfoxids nur einen geringen Beitrag.
Elimination
- Die scheinbare terminale Eliminationshalbwertszeit (t1/2,z) von Baloxavir nach Anwendung einer oralen Einmaldosis Baloxavirmarboxil beträgt bei kaukasischen Probanden 79,1 Stunden.
Linearität/Nicht-Linearität
- Nach Anwendung einer oralen Einmaldosis Baloxavirmarboxil zeigt Baloxavir im Dosisbereich von 6 mg bis 80 mg eine lineare Pharmakokinetik.
Dosierung
Die Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht. Patienten zwischen 40 und 80 kg nehmen 40 mg Baloxavirmarboxil, bei über 80 kg Körpergewicht werden 80 mg (2x40mg Tabletten)
empfohlen. Das Arzneimittel sollte innerhalb von 48 Stunden nach dem Auftreten der ersten Symptome eingenommen werden. Die Einnahme kann unabhängig von einer Mahlzeit erfolgen.
Nebenwirkungen
Nach der Markteinführung wurden nach Anwendung von Baloxavirmarboxil Überempfindlichkeitsreaktionen beobachtet, darunter Berichte von Anaphylaxie/anaphylaktischen Reaktionen und weniger schweren Formen von Überempfindlichkeitsreaktionen, wie Urtikaria und Angioneurotisches Ödem. Von diesen Nebenwirkungen wurde nur Urtikaria in klinischen Studien mit einer geschätzten Häufigkeitskategorie von „gelegentlich“ beobachtet.
Wechselwirkungen
Polyvalente Kationen, können die Plasmakonzentrationen von Baloxavir verringern, weshalb der Wirkstoff nicht mit Produkten eingenommen werden darf, die polyvalente Kationen enthalten, dazu gehören:
Es wurden keine Wechselwirkungsstudien mit Influenza-Impfstoffen und Baloxavirmarboxil durchgeführt. In Studien mit natürlich erworbener und experimenteller Influenza beeinträchtigte Baloxavirmarboxil die humorale Antikörperreaktion auf die Influenzainfektion nicht.
Einfluss von Nahrung
- Eine Studie zu Wechselwirkungen mit Nahrung, wies darauf hin, dass die Cmax und die AUC von Baloxavir um 48% bzw. 36% verringert waren, wenn Baloxavirmarboxil zu einer Mahlzeit angewendet wurde. Die Tmax blieb nach Nahrungsaufnahme unverändert.
- In klinischen Studien wurden keine klinisch relevanten Unterschiede in der Wirksamkeit bei Anwendung von Baloxavirmarboxil mit oder ohne Mahlzeiten beobachtet.
Kontraindikation
Baloxavirmarboxil darf nicht angewendet werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff.
Schwangerschaft
Es gibt keine oder nur begrenzte Daten zur Anwendung von Baloxavirmarboxil bei Schwangeren.Tierexperimentelle Studien ergaben keine Hinweise auf direkte oder indirekte gesundheitsschädliche Wirkungen in Bezug auf eine Reproduktionstoxizität. Als Vorsichtsmaßnahme wird empfohlen, die Anwendung von Xofluza während der Schwangerschaft zu vermeiden.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Baloxavirmarboxil oder Baloxavir beim Menschen in die Muttermilch übertreten. Baloxavirmarboxil und dessen Metabolite treten in die Milch von laktierenden Ratten über. Ein Risiko für das Neugeborene/den Säugling kann nicht ausgeschlossen werden. Unter Berücksichtigung des Nutzens des Stillens für das Kind und des Nutzens der Behandlung für die Mutter muss eine Entscheidung getroffen werden, entweder das Stillen abzubrechen oder auf die Behandlung zu verzichten.
Verkehrstüchtigkeit
Baloxavirmarboxil hat keinen oder einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen.
Anwendungshinweise
Baloxavirmarboxil darf nicht mit Produkten eingenommen werden, die polyvalente Kationen enthalten, dazu gehören Laxantien, Antazida oder orale Ergänzungspräparate mit Eisen, Zink, Selen, Calcium oder Magnesium, da diese die Plasmakonzentrationen von Baloxavir verringern.
Alternativen
Zur Behandlung der Influenza kommen therapeutisch auch Neuraminidasehemmer zum Einsatz. Die Neuraminidasehemmer Oseltamivir und Zanamivir blockieren die Aktivität der viralen Neuraminidase und damit die Freisetzung neugebildeter Viren. Sie wirken sowohl gegen Influenza A- als auch Influenza B-Viren. Resistenzbildungen gegen Neuraminidasehemmer treten bisher selten auf, sind abhängig vom viralen (Sub)typ und treten dann im Allgemeinen nur im Rahmen einer unterdosierten oder länger verabreichten Therapie, z.B. im Rahmen einer schweren Erkrankung auf. Die zirkulierenden Influenza A(H1N1)-Viren in der Saison 2007/2008 und 2008/2009 zeigten allerdings eine zunehmende Resistenz gegen Oseltamivir aufgrund der Mutation H275Y im Neuraminidase-Gen, reagierten aber weiterhin suszeptibel gegen Zanamivir. Die bis dahin zirkulierenden H1N1-Viren wurden im Verlauf der Pandemie 2009 allerdings vollständig durch das A(H1N1)pdm09-Virus verdrängt, das gegen Oseltamivir und Zanamivir suszeptibel ist. Die Resistenzlage gegen antivirale Arzneimittel wird weltweit durch die WHO und national durch das NRZ für Influenza kontinuierlich überwacht.
Das schon früher verfügbare Arzneimittel Amantadin aus der Klasse der M2-Membranproteinhemmer wird in der Praxis nicht mehr verwendet. Es kann prinzipiell nur gegen Influenza A-Viren eingesetzt werden. Die zirkulierenden Influenza A-Subtypen A(H1N1)pdm09 und A(H3N2) haben allerdings eine vollständige Resistenz entwickelt. Darüber hinaus ist auch die Verträglichkeit schlechter als die der Neuraminidasehemmer.
Studienlage
Die Zulassung von Xofluza beruht auf Ergebnissen der Phase-III-Studien CAPSTONE-I, CAPSTONE-II und BLOCKSTONE.
CAPSTONE-I
In der dreiarmigen multizentrischen, placebokontrollierten, doppelblinden CAPSTONE-I-Studie mit 1.436 Grippe-Patienten ab zwölf Jahren ohne Begleiterkrankungen wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Baloxavir gegenüber Placebo und der bisherigen Standardtherapie mit Oseltamivir (Tamiflu) verglichen. Die Patienten erhielten in drei Gruppen randomisiert:
- Baloxavir, abhängig vom Körpergewicht in einer einmaligen Dosierung von 40 mg oder 80 mg
- Oseltamivir, zweimal täglich 75 mg für fünf Tage
- Placebo
Eine Verbesserung der Symptome wurde in der Verum-Gruppe nach 53,7 Stunden, in der Oseltamivir-Gruppe nach 53,8 Stunden und in der Placebo-Gruppe nach 80,2 Stunden dokumentiert. Im Vergleich mit Placebo verkürzte Baloxavir die Symptomdauer demnach um einen Tag. Ferner zeigten die Patienten im Baloxavir-Arm weniger unerwünschte Ereignisse als in der Oseltamivir-Gruppe.
CAPSTONE-II
Die multizentrische, randomisierte, doppelblinde CAPSTONE-II-Studie untersuchte Xofluza im Vergleich zu Placebo und Oseltamivir an 2.184 Patienten mit mindestens einem Risikofaktor für schwere influenzaassoziierte Komplikationen, ebenfalls ab einem Alter von zwölf Jahren. Dazu gehörten beispielsweise ältere Menschen über 65 Jahre sowie Patienten mit Asthma, chronischen Lungenerkrankungen, Adipositas oder kardiovaskulären Vorbelastungen. Die Teilnehmer erhielten entweder Xofluza als Einzeldosis (40 mg oder 80 mg, je nach Körpergewicht), Oseltamivir (75 mg zweimal täglich über fünf Tage) oder Placebo. In der Baloxavir-Gruppe wurde ein Abklingen der Beschwerden nach 73,2 Stunden verzeichnet, unter Oseltamivir nach 80 Stunden und im Placebo-Arm nach 102,3 Stunden. Dementsprechend bewies Baloxavir eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Placebo und eine ähnliche Wirksamkeit wie Oseltamivir. Die Sicherheit von Baloxavir war mit der von Placebo vergleichbar.
Blockstone
Bei Blockstone handelt es sich um eine multizentrische, randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Studie, die die postexpositionelle prophylaktische Wirksamkeit von Baloxavir untersuchte. Getestet wurde in der Grippesaison 2018/19 in Japan. An der Studie nahmen nicht-infizierte Kinder und Erwachsene teil, die mit einem influenzainfizierten Haushaltsmitglied in Verbindung standen. Insgesamt wurden 752 Haushaltskontakte von 545 Index-Patienten randomisiert. Die Probanden erhielten eine Einzeldosis Baloxavir oral (dosiert nach Körpergewicht) oder Placebo.
Im Ergebnis wiesen 1,9 Prozent der Baloxavir-Gruppe innerhalb von zehn Tagen einen positiven Influenzabefund (bestätigt mittels RT-PCR-Test) auf, in der Placebogruppe 13,6 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, nach Kontakt mit einem Grippe-Infizierten selbst an Influenza zu erkranken, war mit Baloxavir um 86 Prozent geringer.
Die Inzidenz von unerwünschten Ereignissen lag in beiden Gruppen auf ähnlichem Niveau: bei 22,2 Prozent in der Baloxavir-Gruppe und 20,5 Prozent im Placebo-Arm.
Fazit
Xofluza kann die Dauer der grippebedingten Beschwerden bei gesunden Personen und Patienten mit hohem Risiko für grippebedingte Komplikationen verkürzen. Darüber hinaus überzeugt es mit einer signifikanten postexpositionellen prophylaktischen Wirksamkeit.
- EMA: Fachinformation Xofluza
- RKI: Influenza
- Europäische Arzneimittelagentur (EMA), Zulassungsempfehlung: Xofluza. 12. November 2020.
- Roche, News: Baloxavir marboxil erhält die Zulassungsempfehlung des CHMP zur Behandlung der unkomplizierten Influenza und zur Postexpositionsprophylaxe, 13. November 2020.
- Genentech USA, Produktinformation: Xofluza, Stand November 2020.
- Hayden, F. G. et al.: Baloxavir Marboxil for Uncomplicated Influenza in Adults and Adolescents. N Engl J Med 2018; 379:913-923, DOI: 10.1056/NEJMoa1716197.
- Ison, M. G. et al: Early treatment with baloxavir marboxil in high-risk adolescent and adult outpatients with uncomplicated influenza (CAPSTONE-2): a randomised, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Infect Dis. 2020 Oct;20(10):1204-1214, DOI: 10.1016/S1473-3099(20)30004-9.
- Ikematsu, H. et al.: Baloxavir Marboxil for Prophylaxis against Influenza in Household Contacts. N Engl J Med. 2020 Jul 23;383(4):309-320. DOI: 10.1056/NEJMoa1915341.