Benzylpenicillin

Benzylpenicillin (Penicillin G) ist ein parenteral zu applizierendes Penicillin aus der Gruppe der Betalactam-Antibiotika, die hemmend auf die bakterielle Zellwandsynthese wirken. Es wird bei unterschiedlichen bakteriellen Infektionen eingesetzt.

Benzylpenicillin

Anwendung

Das parenteral zu applizierende Betalactam-Antibiotikum Benzylpenicillin ist indiziert zur Behandlung bakterieller systemischer und/oder lokaler Infektionen, die durch Benzylpenicillin-empfindliche Erreger verursacht werden (insbesondere durch Streptokokken, Pneumokokken, Gonokokken, Meningokokken und Spirochäten).

Die Indikationsgebiete von Benzylpenicillin umfassen:

  • Akute bakterielle Sinusitis
  • Akute bakterielle Otitis media
  • Tonsillitis
  • Ambulant erworbene Pneumonie
  • Akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis
  • Infektionen des gynäkologischen Bereiches
  • Aktinomykose
  • Diphtherie
  • Endokarditis und Endoplastitis
  • Erysipel
  • Gasbrand
  • Meningitis und Hirnabszess
  • Osteomyelitis
  • Peritonitis
  • Septikämien
  • Tetanus
  • Wundinfektionen

Anwendungsart

Benzylpenicillin und dessen Salze sind säurelabil, weshalb das Arzneimittel parenteral appliziert werden muss. Dabei kann es entweder intravenös injiziert oder infundiert oder intramuskulär verabreicht werden. In besonderen Fällen ist auch eine intrathekale Anwendung möglich.

Die Injektions- bzw. Infusionslösungen müssen vor der Applikation stets frisch zubereitet und einer Prüfung auf Klarheit unterzogen werden. Bei Trübungen oder Ausfällungen darf das Arzneimittel nicht appliziert werden.

Das Betalactam-Antibiotikum ist in der Darreichungsform Pulver (in Durchstechflasche) zur Herstellung einer Injektions- bzw. Infusionslösung in unterschiedlichen Dosierungen erhältlich:

  • 1 Million I.E. Benzylpenicillin (0,599 g Benzylpenicillin-Natrium)
  • 5 Millionen I.E. Benzylpenicillin (2,994 g Benzylpenicillin-Natrium)
  • 10 Millionen I.E. Benzylpenicillin (5,988 g Benzylpenicillin-Natrium)

Für Internationale Einheiten (I.E.) und Masseangaben gelten folgende Beziehungen:

  • 1 mg Benzylpenicillin-Natrium entspricht 1.670 I.E. Benzylpenicillin.
  • 1 Million I. E. Benzylpenicillin entsprechen 598,9 mg Benzylpenicillin-Natrium.
  • Im Allgemeinen betrachtet man 600 mg Benzylpenicillin-Natrium als äquivalent zu 1 Million I.E. Benzylpenicillin.

Benzylpenicillin sollte bei schweren Infektionen durch unbekannte Erreger nicht als Monotherapie angewendet werden.

Bei überwiegend durch Staphylokokken verursachten Infektionen wie Osteomyelitis und Wundinfektionen muss heute von Benzylpenicillin-resistenten Staphylokokken ausgegangen werden. Demnach ist eine Resistenzprüfung vor Therapie obligatorisch.

Wirkmechanismus

Benzylpenicillin ist ein Penicillin und demnach der Gruppe der Betalactam-Antibiotika zuzuordnen. Diese wirken hemmend auf die bakterielle Zellwandsynthese, indem sie das Enzym Transpeptidase, das den letzten Schritt der Mureinsynthese (Peptidoglykansynthese) katalysiert, inhibieren. Die Inhibition basiert auf einer strukturellen Analogie der Betalactame zu D-Alanyl-D-Alanin, das für den Aufbau der bakteriellen Zellwand benötigt wird. Unter Öffnung des Betalactam-Rings bindet Benzylpenicllin kovalent an Serin im aktiven Zentrum der Transpeptidase, wodurch diese irreversibel gehemmt wird.

Die an der Mureinsynthese beteiligten Enzyme können Penicilline binden, weshalb sie kollektiv auch als Penicillin-bindende Proteine (PBP) bezeichnet werden.

Im Allgemeinen sind Betalactam-Antibiotika zeitabhängig bakterizid, denn es werden nur proliferierende Keime abgetötet, da bei diesen die Mureinsynthese erfolgt.

Resistenzentwicklungen können die Wirksamkeit und folglich den Einsatz von Antibiotika limitieren. Im Hinblick auf Benzylpenicillin sind Resistenzen auf folgende Mechanismen zurückzuführen:

  • Inaktivierung durch Betalactamasen
  • Reduzierte Affinität von PBPs gegenüber Benzylpenicillin
  • Unzureichende Penetration von Benzylpenicillin durch die äußere Zellwand bei gramnegativen Bakterien und dadurch unzureichende Hemmung der Transpeptidase
  • Effluxpumpen, die Benzylpenicillin aktiv aus der Zelle transportieren
Antibiotika Targets

Pharmakokinetik

Resorption

  • Die Alkalisalze von Benzylpenicillin werden nach intramuskulärer Injektion rasch und nahezu vollständig resorbiert.
  • Die maximalen Plasmakonzentrationen nach intravenöser Injektion von 1 bzw. 5 Millionen I.E. Benzylpenicillin betragen 45 bzw. 234 mg/L.

Verteilung

  • Benzylpenicillin ist gut gewebegängig, weshalb in den meisten Organen und Körperflüssigkeiten therapeutisch wirksame Konzentrationen erreicht werden.
  • Benzylpenicillin diffundiert schlecht in Muskulatur, Knochen, Nervengewebe und Gehirn.
  • Die Liquorgängigkeit ist minimal, bei entzündeten Meningen allerdings deutlich erhöht (bis zu 50% der Serumspiegel im Liquorraum).
  • Benzylpenicillin ist plazentagängig, wodurch im fetalen Kreislauf etwa 10 bis 30% der mütterlichen Plasmakonzentration gefunden werden.
  • Auch im Fruchtwasser werden hohe Konzentrationen erreicht.
  • Der Übergang in die Muttermilch ist gering (2 bis 15% der mütterlichen Plasmawerte).
  • Das Verteilungsvolumen beträgt etwa 0,3 bis 0,4 L/kg, bei Kindern etwa 0,75 L/kg.
  • Die Plasmaproteinbindung beträgt circa 45 bis 65%.

Elimination

  • Benzylpenicillin wird maßgeblich renal eliminiert (90% durch tubuläre Sekretion, 10% durch glomeruläre Filtration), nur gerine Mengen werden biliär eliminiert.
  • 50 bis 70% der Dosis werden nach i.v. Gabe in antibakteriell aktiver Form renal eliminiert und weitere 20% in Form inaktiver Zerfallsprodukte wie Penicilloinsäure.
  • Die Plasmahalbwertszeit beträgt im Mittel 30 bis 40 Minuten bei Nierengesunden, wobei sie sich im Alter bis 1,5 Stunden, bei Kindern bis 2 Stunden und bei Säuglingen bis 3 Stunden verlängert.
  • Eine eingeschränkte Nierenfunktion verlängert die Halbwertszeit ebenfalls (bei Anurie auf bis zu 10 Stunden).

Dosierung

Die Dosierung (Dosis, Dosierungsintervall) und Anwendungsart von Benzylpenicillin orientiert sich an Art und Empfindlichkeit des Erregers, Schwere der Infektion und Zustand des Patienten.
Im Allgemeinen besitzt Benzylpenicillin einen breiten Dosierungsspielraum.

Erwachsene und Jugendliche über 12 Jahre

  • Normal empfindliche Keime: Tagesdosis 1 bis 5 Millionen I.E. Benzylpenicillin verteilt auf 4 bis 6 Einzelgaben
  • Schwere Infektionen (z.B. bakterielle Endokarditis oder Meningitis): Tagesdosis 20 bis 60 Millionen I.E. Benzylpenicillin

Kinder (1. bis 12. Lebensjahr)

  • 0,05 bis 0,5 Millionen I.E. Benzylpenicillin pro kg Körpergewicht und Tag in 4 bis 6 Einzelgaben

Säuglinge (1. bis 12. Lebensmonat)

  • 0,05 bis 1 Million I.E. Benzylpenicillin pro kg Körpergewicht und Tag in 3 bis 4 Einzelgaben
  • CAVE: Bei zu rascher Infusion kann es zu zerebralen Krämpfen kommen.

Neugeborene (bis 4. Lebensmonat)

  • 0,05 bis 0,1 (bis 0,5) Millionen I.E. Benzylpenicillin pro kg Körpergewicht und Tag in 2 Einzelgaben
  • CAVE: Bei Früh- und Neugeborenen sollte wegen der Leberunreife und der verminderten Exkretion von Benzylpenicillin ein Dosierungsintervall von 12 Stunden nicht unterschritten werden.

Eingeschränkte Nierenfunktion

  • Die Initialdosis entspricht der von Nierengesunden.

Die Erhaltungsdosis sollte unter Berücksichtigung der GFR reduziert bzw. das Dosierungsintervall verlängert werden.

Nebenwirkungen

Allergische Reaktionen (z.B. allergische Vaskulitis, angioneurotisches Ödem, Bronchospasmus, Urtikaria) treten häufig unter Therapie mit Betalactam-Antibiotika auf. Diese auch als Penicillin-Allergie bekannte Nebenwirkung ist maßgeblich auf die Betalactam-Struktur zurückzuführen. Unter Öffnung des Betalactam-Rings wird nicht nur eine kovalente Bindung mit dem gewünschten Target (Transpeptidase) geknüpft, sondern auch mit körpereigenen Proteinen, wodurch diese zu Vollantigenen werden.

Selten kommt es zu einem anaphylaktischen Schock, der nur in sehr seltenen Fällen lebensbedrohlich ist.

Darüber hinaus treten des Öfteren diese Nebenwirkungen auf:

  • Gastrointestinale Nebenwirkungen (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö)
  • Arzneimittelfieber
  • Reaktionen an der Injektionsstelle (Schmerzen v.a. bei i.m. Applikation, Reizungen der Venenwand bei i.v. Applikation)

Außerdem können neurotoxische Effekte (z.B. Benommenheit, Hyperreflexie, Myoklonien) unter hochdosierter Therapie auftreten.

Wechselwirkungen

Kontraindikationen

Benzylpenicillin ist kontraindiziert bei:

  • Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile des Arzneimittels
  • Penicillin-Überempfindlichkeit
  • Überempfindlichkeit gegen andere Betalactam-Antibiotika (ausgenommen Monobactame)

Schwangerschaft

Benzylpenicillin kann während der gesamten Schwangerschaft eingesetzt werden, denn bisherige Erfahrungen bei Schwangeren und tierexperimentelle Untersuchungen haben keine Anhaltspunkte auf teratogene Effekte ergeben.

Stillzeit

Benzylpenicillin geht in geringem Ausmaß in die Muttermilch über (2 bis 15% der mütterlichen Serumwerte). Bisher wurden keine Nebenwirkungen bei gestillten Säuglingen berichtet, wobei die Möglichkeit einer Sensibilisierung oder Beeinträchtigung der Darmflora berücksichtigt werden muss. Ebenfalls sollte auf Durchfälle und Sprosspilzbesiedlung der Schleimhäute geachtet werden.

Verkehrstüchtigkeit

In der Regel hat Benzylpenicillin keinen Einfluss auf Konzentrations- und Reaktionsvermögen. Das Auftreten von Nebenwirkungen kann allerdings Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen haben.

Anwendungshinweise

Allgemein

  • Zur Behandlung der Otitis media und der akuten Exazerbation einer chronischen Bronchitis sollten andere Antibiotika vorgezogen werden, da diese Erkrankungen typischerweise durch Erreger verursacht werden, die häufig (Staphylococcus aureus) oder stets (Moraxella catarrhalis, Chlamydien, Mycoplasmen, Legionellen) gegen Benzylpenicillin resistent sind bzw. gegen die Benzylpenicillin nur bedingt wirksam ist (Haemophilus influenzae).
  • Benzylpenicillin sollte (wie alle anderen Penicilline) nicht topisch angewendet werden, da das Risiko einer allergischen Reaktion bei topischer Anwendung steigt.
  • Die langfristige und wiederholte Gabe von Benzylpenicillin kann zu Superinfektionen mit resistenten Bakterien und Sprosspilzen führen.

Allergische Reaktion

  • Beim Auftreten eines anaphylaktischen Schocks müssen sofort die entsprechenden Notfallmaßnahmen eingeleitet werden.
  • Eine sorgfältige Überwachung des Patienten ist erforderlich, da die Symptome rezidivieren können.
  • Eine urtikarielle Sofortreaktion muss immer als bedrohliches Zeichen angesehen werden und zwingt strikt zum Therapieabbruch.

Weitere unerwünschte Wirkungen

  • Nach längerer, hochdosierter Benzylpenicillin-Therapie kann es zum Auftreten einer dosisabhängigen Neutropenie kommen (nach Absetzen der Therapie kommt es in 90% der Fälle innerhalb von 2 bis 8 Tagen zu einer raschen Erholung, bei Weiterführung der Therapie kann es zur vollständigen Agranulozytose kommen).
  • Infolge einer Thrombozytenaggregationshemmung kann es unter Benzylpenicillin-Therapie zu einer dosisabhängigen Blutgerinnungsstörung kommen (eine relevante Verlängerung der Blutungszeit tritt bei Nierengesunden oberhalb einer Tagesdosis von 20 Millionen I.E. ein).
  • Im Rahmen einer hochdosierten Benzylpenicillin-Therapie sind, insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion oder Krampfbereitschaft (Epilepsie), neurotoxische Reaktionen möglich.
  • Zusätzlich kann bei hochdosierter, längerdauernder Therapie eine interstitielle Nephritis auftreten.
  • Beim Auftreten von schweren, wässrigen Durchfällen während oder nach der Therapie, die mit Fieber oder Bauchschmerzen einhergehen können, ist an eine antibiotikabedingte pseudomembranöse Enterokolitis zu denken, die lebensbedrohlich sein kann.
  • Natriumintoxikationen (Hypokaliämie, metabolische Alkalose) sind durch Gabe von Benzylpenicillin-Natrium potenziell möglich (beobachtet ab 100 Millionen I.E./Tag).

Vorsichtsmaßnahmen bei Risikogruppen

  • Bei Patienten mit Herzerkrankungen oder schweren Elektrolytstörungen anderer Genese sollte auf die Elektrolytzufuhr geachtet werden, insbesondere auf die Kaliumzufuhr.
  • Bei Diabetikern ist mit einer verzögerten Resorption aus dem intramuskulären Depot zu rechnen.
  • Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist eine Dosisanpassung (Erhaltungsdosis) notwendig.
  • Bei Patienten mit Dermatomykosen sind bereits bei erstmaliger Gabe von Benzylpenicillin paraallergische Reaktionen möglich, da zwischen Penicillinen und Stoffwechselprodukten von Dermatophyten eine Antigengemeinschaft bestehen kann.

Alternativen

Das Indikationsgebiet, Art und Empfindlichkeit bzw. Resistenzen des Erregers, Schwere der Infektion und Zustand des Patienten diktieren die Wahl des sinnvollen Antibiotikums.
Alternative Antibiotika (gruppiert nach ihren Angriffspunkten):

Zellwandsynthese

Ribosomale Proteinsynthese

Nukleinsäuren

Zellmembran

Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
334.39 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 0.8 H
Q0-Wert:
0.4
Autor:
Stand:
23.12.2021
Quelle:
  1. Infectopharm: Fachinformation Penicillin G
  2. Freissmuth et al., Pharmakologie und Toxikologie, 2020, Springer
  3. Mutschler et al., Mutschler Arzneimittelwirkungen, 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
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