Cannabis sativa

Cannabis sativa, der echte Hanf, gehört zur Pflanzengattung Hanf (Cannabis) in der Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae). Als Arzneimittel wird es vor allem eingesetzt zur Behandlung therapierefraktärer Schmerzen und Spastik bei Multipler Sklerose, chronischer, neuropathischer Schmerzen, Appetitlosigkeit sowie Übelkeit und Erbrechen.

Anwendung

Gesetzlich gibt es keine Vorgaben zu den Indikationen, die für eine Verordnung von Cannabis zugelassen sind. Damit können von gesetzlicher Seite, bei schwerwiegenden Leiden und Therapieversagen nach mehreren etablierten Therapien, cannabishaltige Arzneimittel verordnet werden. Aufgrund einer Gesetzesänderung sind seit März 2017 neben Fertigarzneimitteln auch standardisierte Cannabisextrakte, getrocknete Cannabisblüten, Dronabinol und Nabilon (ein vollsynthetisches THC-Analogon) zur Verordnung zugelassen.

Im Jahr 2015 legte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft einen Überblick zu Evidenznachweisen bei verschiedenen Indikationen vor. In der medizinischen Anwendung gibt es für folgende Indikationen Wirksamkeitsbelege:

  • Behandlung chronischer, insb. neuropathischer Schmerzen
  • Behandlung von Übelkeit und Erbrechen durch Zytostatika bzw. von Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei HIV/AIDS-assoziierter Anorexie
  • Behandlung von Spastik bei multipler Sklerose (subjektive Bewertungskriterien)

Im Gesetz zur „Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ vom 10.03.2017 (MFG 2017) wurde darauf verzichtet, einzelne Indikationen für die Verschreibungsfähigkeit von cannabishaltigen Arzneien aufzuführen. Nach dem Gesetz haben schwerwiegend erkrankte Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Arzneimitteln auf Cannabisbasis, wenn:

  • eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder
  • diese im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen kann und
  • eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.

Bei jeder Verordnung von Cannabispräparaten ist zunächst zu prüfen, ob alle zur Verfügung stehenden Therapiemaßnahmen bereits ausgeschöpft sind bzw. Arzneimittel mit besserer Wirksamkeit und einem günstigeren Nebenwirkungsprofil zur Verfügung stehen (Ultima ratio-Bedingung).

Ein Fertigarzenimittel mit Cannabis Sativa ist das Arzneimittel Sativex, das als Zusatzbehandlung angewendet wird für eine Verbesserung von Symptomen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose (MS), die nicht angemessen auf eine andereantispastische Arzneimitteltherapie angesprochen haben und die eine klinisch erhebliche Verbesserung der Symptome, welche mit der Spastik verbunden sind, während eines Anfangstherapieversuchs aufzeigen.

Inhaltsstoffe und Wirkung

Die am häufigsten vorkommenden pflanzlichen Cannabinoide sind neben Tetrahydro-Cannabinol (THC) und dem Cannabidiol (CBD) das Δ8-THC, Cannabinol (CBN), Cannabigerol (CBG), Cannabichromen (CBC), Δ9-Tetrahydrocannabivarin (THCV), Cannabivarin (CBV) sowie das Cannabidivarin (CBDV).

Die Wirkung cannabinoidhaltiger Arzneimittel ist v. a. von der Zusammensetzung der in ihnen enthaltenen Cannabinoide abhängig. Insgesamt sind mehr als 100 unterschiedliche Cannabinoide mit zum Teil sehr unterschiedlichen Wirkspektren bekannt. Die vorrangig in der Hanfpflanze vorkommenden Cannabinoide sind:

  • THC mit v. a. antiemetischer, relaxierender, sedierender Wirkung,
  • CBD mit v. a. antipsychotischer, anxiolytischer, antiinflammatorischer, antiemetischer, spasmolytischer Wirkung.

Dabei kann die Wirkung des ∆9-THC durch andere Cannabinoide wie CBN oder CBD modifiziert werden.

Wirkmechanismus

Der echte Hanf (Cannabis sativa) gehört zur Pflanzengattung Hanf (Cannabis) in der Familie der Hanfgewächse (Cannabaceae). Meist wird der Gattungsname Cannabis verwendet, obwohl Cannabis sativa gemeint ist. Für die therapeutischen Effekte von Cannabis sativa sind vermutlich Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und das weniger bekannte Cannabidiol (CBD) verantwortlich. Weitere Cannabinoide, die in nennenswerten Konzentrationen vorkommen, sind Cannabigerol (CBG), Cannabinol (CBN) und Cannabichromen (CBC).

Die Wirkung der Cannabinoide beruht auf ihrer Bindung an Cannabinoidrezeptoren (CB), die beim Menschen in zwei Formen vorliegen:

  • CB1: Lokalisation überwiegend im zentralen Nervensystem
  • CB2: Lokalisation vorwiegend in der Peripherie und auf Immunzellen

Die beiden Rezeptoren müssen über körpereigene Botenstoffe aktiviert werden. Zu diesen Botenstoffen gehören etwa die beiden Endocannabinoide 2-Arachidonylglycerol (2-AG) und Anandamid. Die Cannabinoide modulieren also das körpereigene Endocannabinoidsystem.

THC wirkt als partieller Agonist am CB1- und am CB2-Rezeptor und ahmt die Wirkung von Endocannabinoiden nach, die die Wirkungvon Neurotransmittern regulieren können (z.B.durch Reduktion der exzitatorischen Wirkung des Neurotransmitters). Darüber hinaus wurden für THC antagonistische Effekte am serotonergen 5-HT3A-Rezeptor sowie allosterische Modulationen der Opioidrezeptoren beschrieben.

Nicht alle Phytocannabinoide aktivieren allerdings die CB-Rezeptoren, sondern weisen teilweise entgegengesetzte Wirkungen auf: Einige Cannabinoide sind Agonisten der CB-Rezeptoren, andere äußern entweder keine Affinität oder wirken antagonistisch, und wieder andere wirken als Modulatoren von THC.

Wirkung bei MS und Spastik

Bei tierexperimentellen Modellen von MS und Spastik führten CB-Rezeptor-Agonisten zu einer Linderung der Steifigkeit der Gliedmaßen und zur Verbesserung der Motorik. Durch CB-Antagonisten kann diese Wirkung verhindert werden und CB1-Knockout-Mäuse zeigen eine schwerere Spastik.

Dosierung

Aufgrund der komplexen Pharmakologie der Cannabinoide, interindividuellen genetischen Unterschieden hinsichtlich der Metabolisierung von THC, der individuellen Struktur und Funktion der Cannabinoid-Rezeptoren sowie Unterschieden in der Rezeptordichte und -verteilung, gibt es für die Anwendung von Cannabis sativa keine strikten Dosierungsempfehlungen. Darüber hinaus ist die Dosierung auch von der Art und Schwere der zu behandelnden Erkrankung, der individuellen Empfindlichkeit für Ne­ben­wirkungen und der Art der Anwendung abhängig.

Die Dosierung von medizinischem Cannabis ist also von Patient zu Patient unterschiedlich, soll einschleichend erfolgen und bis zur Erhaltungsdosis auftitriert werden. Verschiedene Studien und Übersichtsarbeiten zeigen, dass die meisten Patienten 1 bis 3 g Droge medizinischer Cannabisblüten pro Tag benötigen. Die Anfangsdosis pro Tag liegt bei Cannabisblüten bei 0,05 bis 0,1 g und kann dann bis zu einer Tagesdosis von 3,0 g gesteigert werden.

Die Dosen zur oralen Einnahme sind vielfach höher als die zur Inhalation.

Arzneimittel

Anfangsdosis/Tag

Tagesdosen

Cannabisblüten  0,05 g bis 0,1 g  bis 3 g
Dronabinol  1,7 mg bis 2,5 mg  bis 30 mg
Nabilon (Canemes)  1 mg  bis 6 mg
Cannabis-Extract (Sativex)  Ein Sprühstoß (2,7 mg THC+ 2,5 mg CBD)  bis 12 Sprühstöße

 

Nebenwirkungen

Die häufigsten berichteten Nebenwirkungen in den ersten vier Wochen der Behandlung sind üblicherweise Schwindelanfälle und Müdigkeit. Diese Reaktionen sind schwach bis mäßig und lassen meistens nach einigen Tagen nach. Psychiatrische Symptome wie Angst, Illusionen, Stimmungsschwankungen und paranoide Vorstellungen wurden während der Behandlung mit Sativex berichtet. Diese sind wahrscheinlich das Ergebnis von vorübergehenden Wirkungen auf das ZNS und im Allgemeinen von schwacher bis mäßiger Schwere. Man kann davon ausgehen, dass diese Wirkungen nachlassen,wenn die Medikation reduziert oder unterbrochen wird. Desorientierung (oder Verwirrung), Halluzinationen und Wahnvorstellungen oder vorübergehende psychotische Reaktionenwurden ebenfalls berichtet.

Wechselwirkungen

THC wird in der Leber hauptsächlich durch CYP2C9 und CYP3A4 abgebaut. Daher sind Interaktionen mit Arzneistoffen denkbar, die auf gleichem Weg metabolisiert werden. Jedoch wurden in klinischen Studien, bei denen Sativex gleichzeitig mit anderen durch das CYP450-Enzymsystem metabolisierten Arzneimitteln bei klinischen Dosen angewendet wurde, keine offensichtlichen Wechselwirkungen zwischen den Arzneimitteln beobachtet. Allerdings erhöhte sich bei Begleitbehandlung mit dem CYP3A4-Inhibitor Ketoconazol die maximale Plasmakonzen­tration und Bioverfügbarkeit von THC, von seinem Hauptmetaboliten und von CBD.

Die Dosierung von Cannabis sativa Arzneimitteln sollte deshalb bei gleichzeitiger Einnahme von CYP3A4-Inhibitoren wie Ketoconazol, Itracon­azol, Ritonavir oder Clarithromycin sollte deshalb gegebenenfalls angepasst werden. Umgekehrt kann die Bioverfügbarkeit von Cannabinoiden durch Enzyminduktoren wie Rifampicin, Carbamazepin, Phenytoin, Phenobarbital oder Johanniskraut reduziert werden. In klinischen Studien, bei denen Sativex zusammen mit dem CYP3A4-Induktor ­Rifampicin angewendet wurde, führte diese zu einer Reduktion der maximalen Plasmakonzentration und Bioverfügbarkeit für THC und CBD.

Eine Anwendung von Cannabis sativa zu den Mahlzeiten führt zu einer Erhöhung von Cmax, AUC und Halbwertszeit.

Vorsicht ist geboten bei gleichzeitiger Behandlung mit Hypnotika, Sedativa und sedierenden Arzneimitteln, da es zu einer additiven Wirkung der Sedierung und muskelrelaxierenden Wirkung kommen kann.

Kontraindikation

Die Anwendung von medizinischem Cannabis ist kontraindiziert bei:

  • Überempfindlichkeit auf Cannabisextrakte oder einen der sonstigen Bestandteile.
  • Patienten mit einer bekannten oder vermutetenAnamnese oder Familienanamnese von Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Krankheit;
  • Patienten mit einer Anamnese von schwerer Persönlichkeitsstörung oder einer anderen erheblichen psychiatrischen Störung mit Ausnahme von einer Depression, die mit ihrem zugrundeliegenden Zustand in Verbindung steht.
  • Patientinnen die stillen (in Hinblick auf die beachtlichen Mengen von Cannabinoiden, die in der Muttermilch wahrscheinlich enthalten sein können und die möglichen Entwicklungsstörungen bei Kindern).

Wegen fehlender Daten sollte die Behandlung von Kindern und Jugendlichen sehr sorgfältig abgewogen werden, da es als gesichert gilt, dass die dauerhafte Anwendung von Cannabis bei Jugendlichen negative, zum Teil irreversible Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung hat. Bei älteren Patienten können stärkere zentralnervöse und kardiovaskuläre Nebenwirkungen auftreten. Bei Patienten mit chronischer Hepatitis C scheint ebenfalls Vorsicht geboten, da Cannabinoide die Entstehung einer Steatosis hepatis (Fettleber) fördern können

Schwangerschaft

Für THC ist bekannt, dass dieses die Plazentaschranke passiert und in das Gehirn des Feten gelangt, wo Cannabinoid-Rezeptoren ab der 14. Schwangerschaftswoche nachweisbar sind. Cannabiskonsum in der Gravi­dität führt zu einem vergleichsweise ­niedrigeren Geburtsgewicht.

Stillzeit

Cannabinoide treten in die Muttermilch über und können beim gestillten Säugling in den Faeces nachgewiesen werden. Im Hinblick möglicher Entwicklungsstörungen bei Kindern, ist bspw. das Fertigarzneimittel Sativex für stillende Mütter kontraindiziert.

Verkehrstüchtigkeit

Während der Anwendung von Cannabis sativa wird die Fähigkeit zum Führen von Maschinen und Kraftfahrzeugen eingeschränkt. Besonders zu Beginn der Behandlung, bei jeder Dosisänderung sowie in Verbindung mit Alkohol oder Tranquilizern ist mit derartigen Beeinträchtigungen zu rechnen. Wenn Cannabis sativa über einen längeren Zeitraum in unveränderter Dosierung angewendet wurde, liegt es im Ermessen des behandelnden Arztes, ob das Lenken von Fahrzeugen und das Bedienen gefährlicher Maschinen erlaubt wird. Während der Anwendung dürfen Patienten kein Fahrzeug lenken und keine gefährlichen Maschinen bedienen, wenn es der Arzt nicht ausdrücklich erlaubt hat.

Anwendungshinweise

Psychose-Risiko

Für das synthetische THC Dronabinol sind im klinischen Kontext keine Psychosen berichtet worden. Im experimentellen Setting wurden bei cannabiserfahrenen jungen Probanden in Einzelfällen bei 20 mg Dronabinol oral eindeutige psychotische Symptome mit Depersonalisationserlebnissen beobachtet (Favrat et al., 2005). Derzeit vermutet man in der Cannabisforschung, dass der Quotient von THC bezogen auf CBD mit dem Psychose-Risiko positiv korreliert. Es wurden allerdings auch kasuistische Hinweise auf positive therapeutische Effekte von Dronabinol bei therapierefraktären Psychosen in Einzelfällen dokumentiert (vgl. Schwarcz et al., 2010), wobei sich hieraus keine evidenzbasierten Empfehlungen ableiten lassen. Aus der Datenlage zu den Risiken habituellen Cannabiskonsums (s. Hoch et al.,2015) lässt sich derzeit am ehesten die Empfehlung ableiten, bei Patienten mit Psychosen, Personen mit erhöhtem Psychoserisiko (und/oder positiver Familienanamnese) und Jugendlichen bei der Verschreibung medizinischer Cannabisprodukte (insbesondere mit hohem THC-Gehalt) zurückhaltend zu sein.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Die Anwendung von Cannabis bei Patienten mit einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung wird nicht empfohlen. Das Sterberisiko von Cannabiskonsumenten mit Herzrhythmusstörungen ist deutlich erhöht und das Risiko sollte den Konsumenten bewusst sein.

Leber und/oder Nierenerkrankungen

THC und CBD werden in der Leber verstoffwechselt. Ungefähr ein Drittel der Ursprungssubstanzen und ihrer Stoffwechselprodukte werden renal eliminiert (der Rest mit den Faeces). Etliche THC-Stoffwechselprodukte können psychoaktiv sein. Es wurden keine speziellen Studien bei Patienten mit erheblicher Leber- ode rNierenfunktionsstörung durchgeführt. Bei diesen Patienten kann die Wirkung von Cannabis sativa übermäßig verstärkt oder verlängert sein. Für diese Patientengruppe wird eine regelmäßige klinische Bewertung durch einen Krankenhausarzt empfohlen.

Stürze

Bei Patienten, deren Spastik reduziert wurde und deren Muskelstärke nicht ausreicht, um Haltung und Gang aufrechtzuerhalten, besteht das Risiko eines Anstiegs von Stürzen. Zusätzlich zu einem erhöhten Sturzrisiko könnten die Nebenwirkungen im Zentralnervensystem eine Auswirkung auf verschiedene Aspekte der persönlichen Sicherheit haben, wie etwa bei der Zubereitung von Mahlzeiten und heißen Getränken.

Autor:
Stand:
17.05.2021
Quelle:
  1. Fachinformation: Sativex
  2. Bundesgesundheitsministerium: Cannabis; Potenzial und Risiko: Eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme; Eva Hoch, Chris M. Friemel, Miriam Schneider Hrsg.
  3. Bundesärztekammer: FAQ-Liste zum Einsatz von Cannabis in der Medizin
  4. Bayerische Akademie für Suchtfragen: Medizinisches Cannabis – eine praxisbezogene Hilfestellung
  5. Pharmazeutische Zeitung: Cannabis in der Apotheke
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