Clonazepam

Der Wirkstoff Clonazepam zählt zu den langwirksamen Benzodiazepinen, die inhibitorische Signale des Nervensystems fördern. Aufgrund der vornehmend antikonvulsiven Wirkung, wird Clonazepam daher oral oder parenteral als Zusatztherapie bei Epilepsie angewendet.

Clonazepam

Anwendung

Clonazepam gehört zur Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine und hat neben den anxiolytischen, sedierenden, hypnotischen und muskelrelaxierenden Wirkungen einen ausgeprägten antikonvulsiven Effekt. Daher wird der Wirkstoff insbesondere bei folgenden Indikationen angewendet: 

  • Zusatztherapie bei generalisierten Epilepsien des Typ Petit Mal, insbesondere bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen (z.B. West Syndrom, Lennox-Gastaut-Syndrom)
  • Absence-Epilepsien und andere myoklonische Syndrome, wenn andere Antiepileptika nicht ausreichen oder nicht anwendbar sind
  • Fokale Anfälle bei Erwachsenen 

Anwendungsart

Clonazepam wird oral in Form von Tabletten oder Tropfen zum Einnehmen angewendet. Weiterhin ist eine intravenöse sowie intramuskuläre Injektion möglich.

Wirkmechanismus

Clonazpeam gehört zur Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine. Diese beeinflussen die Wirkung des physiologischen wichtigsten inhibitorischen Neutransmitters GABA (γ-Aminobuttersäure), der vor überschießender Spontanaktivität im ZNS schützen soll. Nachdem ein Aktionspotential die Präsynapse erreicht hat, wird GABA in den synaptischen Spalt ausgeschüttet. An der Postsynapse bindet der Transmitter an die entsprechenden GABAA-Rezeptoren und löst ein inhibitorisches Signal aus. Bei den Rezeptoren handelt es sich um ligandengesteuerte Chloridionenkanäle mit verschiedenen allosterischen Bindestellen. Clonazepam bindet an die allosterische Benzodiazepin-Bindestelle und erhöht auf diese Weise die Affinität des natürlichen Liganden GABA für den Rezeptor. Die Öffnungswahrscheinlichkeit des Chloridkanals wird erhöht, es kommt zum vermehrten Einstrom von Chloridionen in die Postsynapse und zur Hyperpolarisation, sodass schlussendlich die Erregbarkeit vermindert wird. Benzodiazepine können dabei den maximalen GABA-Effekt nicht erhöhen und besitzen daher eine große therapeutische Breite.

Der Chloridkanal ist aus verschiedenen Untereinheiten aufgebaut, die an der Bindung von Benzodiazepinen beteiligt sind. Dabei vermittelt die α1-Untereinheit die sedativen, hypnotischen und antikonvulsiven Effekte und die α2-Untereinheit anxiolytische und muskelrelaxierende Wirkungen. Der antikonvulsive Effekt ist bei Clonazepam im Vergleich zu anderen Benzodiazepinen besonders stark ausgeprägt. Der Wirkstoff hemmt sowohl generalisierte als auch fokale epileptische Anfälle.

Pharmakokinetik

Resorption

Clonazepam wird nach oraler Aufnahme gut aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert. Die Bioverfügbarkeit liegt bei 71 bis 76%. Tabletten und orale Lösungen sind in Bezug auf die Resorption bioäquivalent, allerdings ist die maximale Plasmakonzentration bei Tabletten ein wenig niedriger und wird etwas später nach zwei bis drei Stunden erreicht.

Verteilung

Clonazepam verteilt sich aufgrund seiner hohen Lipophilie rasch in verschiedene Organe und Gewebe, insbesondere in Hirnstrukturen. Die Plasmaproteinbindung beträgt 82 bis 87% und das Verteilungsvolumen liegt bei 3 L/kg.

Metabolismus

Der Wirkstoff wird intensiv in der Leber metabolisiert, vor allem durch Reduktion über das Enzym CYP3A4. Die Metaboliten zeigen keine klinisch relevante pharmakologische Aktivität und werden frei oder glucuronidiert eliminiert.

Elimination

Mit einer Halbwertszeit von 30 bis 40 Stunden zählt Clonazepam zu den langwirksamen Benzodiazepinen. Der Wirkstoff wird zu 50 bis 70% renal sowie zu 9 bis 30% mit den Fäzes ausgeschieden und im Darm rückresorbiert. Die Clearance beträgt 55 ml/min.

Bei Leberfunktionsstörungen kann die Clearance von Clonazepam vermindert sein.

Dosierung

Die Dosierung von Clonazepam erfolgt patientenindividuell angepasst an Alter, klinische Reaktion und Verträglichkeit. Die Therapie sollte einschleichend mit niedrigen Dosierungen begonnen werden, die innerhalb von zwei bis vier Wochen schrittweise bis zur nötigen Erhaltungsdosis gesteigert werden. Bei der Therapie mit Clonazepam handelt es sich um eine Langzeitbehandlung. Ein mögliches Absetzen muss ausschleichend erfolgen.

Erwachsene erhalten als Tabletten oder Tropfen initial 1 mg Clonazepam pro Tag, ältere oder empfindliche Patienten eine niedrigere Dosis von 0,5 mg pro Tag. Die Initialdosis ist auf zwei Einnahmen aufzuteilen. Alle drei bis fünf Tage kann die Dosis um 0,5 bis 1 mg Clonazepam erhöht werden bis die nötige Erhaltungsdosis erreicht ist. Diese liegt im Mittel zwischen 4 und 8 mg Clonazepam pro Tag und sollte auf drei bis vier Einzelgaben verteilt werden.

Eine Maximaldosis von 20 mg täglich sollte nicht überschritten werden.

In Tablettenform wird Clonazepam für Kinder initial mit 0,01 mg/kg Körpergewicht pro Tag dosiert und auf zwei Einnahmen verteilt. Alle drei bis fünf Tage kann die Dosis dann um 0,01 mg/kg Körpergewicht erhöht werden. Die mittlere Erhaltungsdosis beträgt üblicherweise 0,1 bis 0,2 mg/kg Körpergewicht täglich verteilt auf drei bis vier Einzelgaben. Die Tropfen werden inital zu 0,2 bis 0,6 mg pro Tag eingenommen, die Erhaltungsdosis liegt zwischen 0,5 und 6,0 mg täglich.

Die Tabletten werden unzerkaut mit etwas Flüssigkeit eingenommen und sind in der Regel dosisgleich teilbar. Die Tropfen werden in etwas Flüssigkeit eingenommen.

Clonazepam in Form einer Injektionslösung wird langsam (0,5 bis 1 ml pro Minute) intravenös injiziert. Säuglinge und Kinder erhalten 1 ml (0,5 mg Clonazepam) der fertigen Lösung, Erwachsene 2 ml (1 mg Clonazepam). Die Dosis kann gegebenenfalls als intravenöse Infusion wiederholt werden, wenn die Injektionslösung mit 0,9%-iger Natriumchloridlösung verdünnt wird. Eine Tageshöchstdosis von 13 mg Clonazepam darf nicht überschritten werden. Die intramuskuläre Injektion sollte nur in Ausnahmefällen oder wenn die Einspritzung in eine Vene nicht möglich ist angewendet werden.

Nebenwirkungen

Die folgenden Nebenwirkungen können bei der Therapie mit Clonazepam häufig (≥ 1/100 bis < 1/10) auftreten:

  • Müdigkeit, Schläfrigkeit, Mattigkeit
  • Schwindel, verlängerte Reaktionszeit, Benommenheit
  • Nystagmus, Ataxie, verminderter Muskeltonus
  • Muskelschwäche

Nebenwirkungen in Abhängigkeit von Anwendungsdauer und Dosierung

Mit der Dosis steigt die Gefahr für anterograden Amnesie, bei der Patienten nach Medikamenteneinnahme Handlungen durchführen, an die sie sich später nicht mehr erinnern. Weiterhin kann es bei längerer Einnahme über mehrere Wochen zur Toleranzentwicklung mit Wirkungsabschwächung kommen. Mit der Dauer der Anwendung sowie der Höhe der Dosis steigt das Risiko für psychische und physische Abhängigkeit. Oft handelt es sich um eine Niedrigdosisabhängigkeit, es erfolgt also keine Dosissteigerung.Bei plötzlichem Absetzen von Clonazepam können Rebound-Phänomene wie Schlafstörungen, Unruhe, Angstzustände sowie Psychosen auftreten.

Nebenwirkungen in Abhängigkeit vom Alter der Patienten

Insbesondere bei älteren Patienten und Kindern können auch paradoxe ZNS-Symptome wie Unruhe, Erregbarkeit, Reizbarkeit, Aggressivität und Halluzinationen beobachtet werden. Aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung ist die Sturzgefahr gerade für ältere Patienten erhöht. Zudem wurden Hinweise auf eine Begünstigung von Demenz beobachtet.Bei Säuglingen und Kleinkindern kann Clonazepam zu vermehrtem Speichelfluss und Bronchialhypersekretion führen, daher sollten die Atemwege freigehalten werden. 

Wechselwirkungen

Unter der Anwendung von Clonazepam kann es mit folgenden Medikamenten zu Wechselwirkungen kommen:

Kontraindikation

Bei der Behandlung mit Clonazepam müssen folgende Kontraindikationen berücksichtigt werden:

  • Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder andere Benzodiazepine
  • Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholabhängigkeit in der Anamnese
  • Myasthenia gravis
  • Koma
  • Schwere Ateminsuffizienz
  • Schwere Leberinsuffizienz

Schwangerschaft/Stillzeit

Schwangerschaft

Clonazepam überwindet die Plazentaschranke. Ein erhöhtes Risiko für kongenitale Missbildung wie Gaumenspalten kann nicht ausgeschlossen werden. Zudem besteht die Gefahr für Fehlbildungen und geistige Retardierung beim Kind nach einer Überdosierung mit Clonazepam in der Schwangerschaft. Bei Neugeborenen ist das Risiko für körperliche Abhängigkeit sowie Ateminsuffizienz, Hypothermie, Hypotonie, herabgesetzter Muskelspannung und einer Trinkschwäche (floppy infant syndrome) erhöht. Auf der anderen Seite kann eine Schwangerschaft die Epilepsie verschlechtern. Daher ist die Anwendung von Clonazepam in der Schwangerschaft nur bei zwingender Indikation und in kleinster wirksamer Dosis möglich. Dabei sollte nach Möglichkeit keine Kombination mit anderen Antiepileptika erfolgen.

Stillzeit

Clonazepam geht in die Muttermilch über. Nach wiederholter Gabe ist eine Akkumulation möglich. Der Wirkstoff sollte daher in der Stillzeit nicht angewendet werden. Besteht eine eindeutige Indikation für Clonazepam sollte vor der Einnahme abgestillt werden.

Verkehrstüchtigkeit

Selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch kann Clonazepam die Verkehrsfähigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen erheblich beeinträchtigen. Daher sollten entsprechende Aktivitäten während der ersten Tage oder wenn möglich ganz unterbleiben. Die Entscheidung trifft im Einzelfall der behandelnde Arzt unter Berücksichtigung der Dosierung und individuellen Reaktion.

Alternativen

Benzodiazepine unterscheiden sich vor allem in der Pharmakokinetik und ihrer Wirkstärke. Neben Clonazepam wird vor allem Clobazam als Antiepileptikum eingesetzt. Clobazam ist als Zusatztherapie bei Patienten mit epileptischen Anfällen indiziert, die trotz Standardtherapie nicht anfallsfrei sind. Intravenös appliziertes Lorazepam hat einen großen Stellenwert bei der Therapie des Status epilepticus. Weiterhin stehen Antiepileptika aus anderen Wirkstoffklassen zur Verfügung.

Anwendungshinweise

Patienten sollten unbedingt darauf hingewiesen werden Alkohol unter der Therapie mit Clonazepam zu meiden, da diese Kombination zur Wirkungsverstärkung führen kann. Bei der Kombinationstherapie von Clonazepam mit anderen zentralwirksamen Medikamenten muss die Dosierung jedes einzelnen Arzneimittels angepasst werden, um einen optimalen Effekt zu erzielen.

Patienten mit Depressionen in der Vorgeschichte sollten engmaschig überwacht werden, da eine Verstärkung der Symptomatik und erhöhte Suizidgefahr möglich sind.

Patientinnen im gebärfähigen Alter sollten darauf hingewiesen werden sich umgehend mit ihrem Arzt in Verbindung zu setzen, wenn sie schwanger werden wollen.

Das sterile Konzentrat muss unmittelbar vor der Anwendung spritzfertig verdünnt werden. Dabei sind PVC/PUR/Silikon-haltige Beutel und Infusionsbestecke ungeeignet zur Infusion, da Clonazepam in diese Materialien übergehen kann. Während der Injektion sollten EEG, Atmung und Blutdruck kontrolliert werden. Wird eine zu kleine Vene ausgewählt, kann die Thrombophlebitisgefahr erhöht sein.

Bei einer Überdosierung steht das Benzodiazepin-Antidot Flumazenil zur Verfügung, das die Benzodiazepin-Bindestelle am GABAA-Rezeptor blockiert.

Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
315.71 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 40.0 H
Q0-Wert:
1.0
Autor:
Stand:
06.11.2020
Quelle:
  1. Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
  2. Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth (2010) Medizinische Chemie, 2. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart
  3. Desitin Arzneimittel GmbH. Fachinformation: Antelepsin® 0,5 mg Tbl. (06/2020)
  4. Neuraxpharm Arzneimittel GmbH. Fachinformation: Clonazepam-neuraxpharm 2,5 mg/ml Tropfen zum Einnehmen, Lösung (07/2015)
  5. Roche Pharma AG. Fachinformation: Rivotril® 1 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Injektionslösung und Lösungsmittel (06/2020)
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