Colchicin
Colchicin ist ein toxisches Alkaloid der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) und ein sog. Spindelgift sowie ein Metaphaseninhibitor, das zur Behandlung der akuten Gicht oder zur Prävention eines Gichtanfalls angewendet wird. Das Medikament erlangt aktuell starke Aufmerksamkeit durch seine Wirksamkeit bei COVID-19.
Colchicin: Übersicht

Anwendung
Colchicin ist ein toxisches Alkaloid der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) und ein sog. Spindelgift sowie ein Metaphaseninhibitor. Durch Hemmung der Tubulinkettenbildung blockiert Colchicin die Ausbildung und den Umbau des Zytoskeletts und hemmt so die Zellteilung, aber auch die Migration von nicht ortsständigen Zellen, wie z.B. der Leukozyten.
Als Medikament ist Colchicin zugelassen zur Behandlung der akuten Gicht oder zur Prävention eines Gichtanfalls, wenn nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) kontraindiziert sind oder vom Patienten nicht vertragen werden. Weiterhin findet das Arzneimittel Anwendung bei familiärem Mittelmeerfieber (FMF) zur Prävention von Fieberschüben und zur Prävention einer Amyloidose. Bei den in Deutschland zugelassenen Präparaten mit Pflanzenextrakten werden Dosierungen von maximal 8 mg in 24 Stunden und 12 mg pro gesamtem Gichtanfall empfohlen.
Weiterhin hat sich gezeigt, dass Colchicin in der Behandlung der Perikarditis und des Postkardiotomie-Syndroms wirksam ist. Ende 2019 wurde zudem eine Studie veröffentlicht, die zeigen konnte, dass das Alkaloid in niedriger Dosierung nach einem Herzinfarkt weitere kardiovaskuläre Ereignisse verhindern konnte [1].
Innerhalb der Corona-Pandemie erweckte das Alkaloid großes Interesse, da Studien eine Wirksamkeit von Colchicin bei der Behandlung von COVID-19 feststellen konnten.
Wirkmechanismus
Folgende Wirkungen wurden für Colchicin beschrieben:
- Colchicin interkaliert irreversibel in freie α / β-Dimere, die in die Mikrotubuli-Verlängerung eingebaut sind und diese blockieren. Mikrotubuli sind dynamische Proteine, die sich durch Polymerisation von α- / β-Tubulindimeren bilden. Während einer Entzündung erleichtern Mikrotubuli die Bewegung von Adhäsionsmolekülen auf Zelloberflächen.
- Die Colchicin-Konzentrationen sind in Neutrophilen aufgrund der verminderten Aktivität der P-Glykoprotein-Membran-Efflux-Pumpe, die als energieabhängiger Colchicin-Efflux-Transporter dient, viel höher als in anderen Leukozyten. Daher scheinen Neutrophile empfindlicher als andere Zellen gegenüber niedrigeren Serumkonzentrationen von Colchicin zu sein.
- Cronstein et al. zeigten, dass Colchicin eine quantitative Abnahme der Leukozyten (L)-selectin-Expression bewirkt und die qualitative Expression von Endothel (E)-selectin, zwei Proteinen, die an der Adhäsion von Neutrophilen am Endothel beteiligt sind, verringert. Das Aufbrechen von Mikrotubuli hemmt auch die rheologische Kapazität von Neutrophilen und hemmt deren Transmigration aus Blutgefäßen.
- Andere Studien zeigen, dass Colchicin die intrazelluläre Neutrophilensignalisierung und die lysosomale Enzymfreisetzung während der Phagozytose direkt hemmt. Die Colchicin-vermittelte Hemmung der Freisetzung von Chemoattraktoren wie z. B. Leukotrien B4 unterdrückt die Adhäsion von Neutrophilen an entzündetes Endothel.
- Colchicin hemmt außerdem den Calciumeinstrom, der die intrazellulären zyklischen Adenosinmonophosphat (cAMP)-Spiegel erhöht und die Neutrophilenreaktionen dämpft.
Wirkmechanismus bei COVID-19
Welche Wirkung bei der Anwendung bei COVID-19 zugrunde liegt ist noch nicht vollständig geklärt. Jüngste Forschungsergebnisse konnten zeigen, dass Colchicin die Zytokinproduktion durch Hemmung der Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms verringert. Die Unterbrechung der Inflammasom-Aktivierung durch Colchicin verringert die IL-1β-Produktion, was wiederum die Induktion von IL-6 und TNF sowie die Rekrutierung zusätzlicher Neutrophilen und Makrophagen verhindert.
Während die Wirkung einer spezifischen Anti-IL-6-Hemmung für die COVID-19-Behandlung etwas umstritten ist, kann die Fähigkeit von Colchicin, mehrere Zytokine gleichzeitig zu beeinflussen, Vorteile bieten.
Einige Medikamente, die bei der Behandlung von COVID-19 untersucht werden, haben die gleichen Targets wie Colchicin. Das Alkaloid unterscheidet sich von diesen Mitteln jedoch dadurch, dass es pleiotrope Wirkungen aufweist. Im Gegensatz zu den Biologika, die inmitten eines Zytokinsturms angewendet werden, ist Colchicin nicht immunsuppressiv, erhöht bekanntermaßen nicht das Infektionsrisiko und ist kostengünstig [2].
Dosierung
Zur Behandlung des akuten Gichtanfalls wird empfohlen 2- bis 3-mal täglich 0,5 mg Cochicin einzunehmen. Die Behandlung sollte beendet werden, wenn der akute Anfall abgeklungen ist, oder früher, wenn gastrointestinale Symptome auftreten oder wenn nach 2 bis 3 Tagen keine Besserung eingetreten ist.
Je Behandlungszyklus sollten nicht mehr als 6 mg eingenommen werden. Nach dem Ende eines Zyklus sollte mindestens 3 Tage (72 Stunden) lang kein neuer Zyklus begonnen werden.
Zur Prävention eines Gichtanfalls lautet die Dosierungsempfehlung 0,5 bis 1 mg Colchicin täglich abends einzunehmen.
Achtung: Geringe therapeutische Breite
Colchicin besitzt eine geringe therapeutische Breite, weshalb bei der Anwendung extreme Vorsicht geboten ist. Vor allem der Umstand, dass eine Abgrenzung zwischen nicht toxischen und toxischen bzw. letalen Dosen nur sehr schwer möglich ist, macht die Dosisfindung schwierig. Denn die Toxizität des Alkaloids wird durch Faktoren wie Vorerkrankungen, Körpergewicht und Arzneimittel-Interaktionen bestimmt. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Berichten von Intoxikationen. Die niedrigsten bisher beschriebenen letalen Dosen lagen zwischen 7 und 26 mg oral.
CAVE: Wenn Durchfall oder Erbrechen auftreten, muss Colchicin Tiofarma sofort abgesetzt werden, da dies erste Anzeichen einer Intoxikation sein können.
Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen unter Colchicin betreffen vor allem Gewebe mit hoher Proliferationsrate wie den Magen-Darm-Trakt und das Knochenmark. So kommt es unter der Anwendung häufig zu:
- Übelkeit, Benommenheit
- Durchfällen, Übelkeit, Erbrechen
- Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe
- Myoneuropathien
- Muskelschwäche mit morphologischen Veränderungen
CAVE: Beim Auftreten von Durchfall und Erbrechen ist das Arzneimittel sofort abzusetzen, da dies erste Anzeichen einer Intoxikation sein können. Weiterhin kann Colchicin schwere Blutbildveränderungen hervorrufen (Agranulozytose, aplastische Anämie, Thrombozytopenie). Die Änderungen der Blutwerte können langsam oder sehr plötzlich auftreten. Aplastische Anämie z.B. hat eine hohe Mortalitätsrate. Daher sind regelmäßige Blutuntersuchungen notwendig. Beim Auftreten von Hautveränderungen, wie Petechien, sollte sofort ein Bluttest erfolgen.
Wechselwirkungen
Da Colchicin ein Substrat von CYP3A4 und dem P-Glykoprotein (P-gp) ist, darf das Medikament bei gleichzeitiger Anwendung von P-Glycoprotein-Inhibitoren oder starken CYP3A4-Hemmern nicht eingenommen werden.
Kontraindikation
Colchicin darf nicht angewendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- Störungen des Blutbilds
- schwerer Nierenfunktionsstörung
- schwerer Leberfunktionsstörung
Schwangerschaft/Stillzeit
Schwangerschaft
Tierexperimentelle Studien haben eine Reproduktionstoxizität gezeigt. Weitergehende Erfahrungen an schwangeren Frauen mit familiärem Mittelmeerfieber (FMF) deuten nicht auf ein Fehlbildungsrisiko oder eine fetale/neonatale Toxizität von Colchicin hin. Da der Verlauf eines FMF ohne Behandlung eine Schwangerschaft ebenfalls negativ beeinflussen kann, sollte die Anwendung von Colchicin während der Schwangerschaft gegen die potenziellen Risiken abgewogen werden, und eine Behandlung kann in Betracht gezogen werden, sofern es klinisch notwendig ist.
Es liegen nur sehr begrenzte Erfahrungen mit der Anwendung von Colchicin bei Schwangeren mit Gicht vor. Aus Vorsichtsgründen soll eine Anwendung von Colchicin bei dieser Patientenpopulation und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden, vermieden werden. Sie kann nur in Betracht gezogen werden, wenn andere Behandlungsmöglichkeiten, einschließlich NSAR und Glucocorticoide, nicht anwendbar sind.
Weibliche Patienten müssen während und für mindestens drei Monate nach dem Ende der Colchicin- Therapie eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Wenn in diesem Zeitraum dennoch eine Schwangerschaft eintritt, sollte eine genetische Beratung in Anspruch genommen werden.
Stillzeit
Colchicin und seine Metaboliten wurden bei gestillten Neugeborenen/Säuglingen von behandelten Frauen gefunden. Es liegen keine hinreichenden Daten zu den Wirkungen von Colchicin auf Neugeborene/Säuglinge vor. Colchicin sollte von stillenden Frauen mit Gicht nicht angewendet werden. Bei stillenden Müttern mit FMF muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob auf die Behandlung mit Colchicin Tiofarma verzichtet werden soll / die Behandlung mit Colchicin Tiofarma zu unterbrechen ist. Dabei ist sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau zu berücksichtigen.
Verkehrstüchtigkeit
Es liegen keine Daten zum Einfluss von Colchicin auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen vor. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass Schläfrigkeit und Schwindelgefühl auftreten können.
Anwendungshinweise
Colchicin ist potenziell toxisch; daher ist es wichtig, die Dosis, die von einem Facharzt mit den notwendigen Kenntnissen und Erfahrungen verordnet wurde, nicht zu überschreiten.
Colchicin hat eine geringe therapeutische Breite. Die Behandlung muss abgebrochen werden, wenn toxische Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen oder Diarrhoe auftreten.
Wenn Patienten Anzeichen oder Symptome entwickeln, die auf eine Störung der Blutzellen hindeuten könnten, wie Fieber, Stomatitis, Halsschmerzen oder anhaltende Blutungen, muss die Behandlung mit Colchicin umgehend abgebrochen und eine vollständige hämatologische Untersuchung durchgeführt werden.
Vorsicht ist geboten im Fall von:
- Leber- oder Nierenfunktionsstörungen
- kardiovaskulärer Erkrankung
- gastrointestinalen Erkrankungen
- älteren und geschwächten Patienten
- Patienten mit Anomalien des Blutbilds
Alternativen
NSAR, Kortikosteroide und Colchicin verringern bei den meisten Patienten sehr effektiv Gichtanfälle. Sie wirken sich aber nicht auf das Fortschreiten tophioider Gelenkzerstörungen aus. Dazu muss die Harnsäurekonzentration gesenkt werden. Mit der Verringerung der Serumharnsäure resorbieren tophöse Ablagerungen. Zudem reduzieren sich akute arthritische Episoden. Eine Senkung der Harnsäurespiegel kann erreicht werden durch:
- Hemmung der Harnsäurebildung mit einem Urikostatikum wie Allopurinol oder Febuxostat (nach derzeitigem Kenntnisstand sind unter Febuxostat weniger Arzneimittel-Interaktionen zu erwarten als unter Allopurinol)
- Steigerung der Harnsäureausscheidung mit einem Urikosurikum wie Benzbromaron oder Probenecid
- Kombinationsbehandlung mit beiden Arzneimitteln bei unzureichender Senkung der Harnsäurekonzentration unter Monotherapie sowie bei schwerer tophöser Gicht
- Wechsel auf Pegloticase möglich, insbesondere bei ausbleibendem Therapieerfolg, Tophi und erosiven Gelenkveränderungen
- Interleukin-1-Hemmer (z. B. Anakinra, Rilonacept und Canakinumab) bei therapierefraktärer Gichtarthritis, routinemäßiger Einsatz nicht empfohlen.
Wirkstoff-Informationen
[1] J.-C. Tardif, S. Kouz, D.D. Waters, O.F. Bertrand, R. Diaz, A.P. Maggioni, F.J. Pinto, R. Ibrahim, H. Gamra, G.S. Kiwan, C. Berry, J. López-Sendón, P. Ostadal, W. Koenig, D. Angoulvant, J.C. Grégoire, M.-A. Lavoie, M.-P. Dubé, D. Rhainds, M. Provencher, L. Blondeau, A. Orfanos, P.L. L'Allier, M.-C. Guertin, F. Roubille, Efficacy and Safety of Low-Dose Colchicine after Myocardial Infarction, N. Engl. J. Med. 381 (2019) 2497–2505.
[2] A.Z. Reyes, K.A. Hu, J. Teperman, T.L. Wampler Muskardin, J.-C. Tardif, B. Shah, M.H. Pillinger, Anti-inflammatory therapy for COVID-19 infection: the case for colchicine, Annals of the Rheumatic Diseases (2020) annrheumdis-2020-219174.
[3] S.G. Deftereos, G. Giannopoulos, D.A. Vrachatis, G.D. Siasos, S.G. Giotaki, P. Gargalianos, S. Metallidis, G. Sianos, S. Baltagiannis, P. Panagopoulos, K. Dolianitis, E. Randou, K. Syrigos, A. Kotanidou, N.G. Koulouris, H. Milionis, N. Sipsas, C. Gogos, G. Tsoukalas, C.D. Olympios, E. Tsagalou, I. Migdalis, S. Gerakari, C. Angelidis, D. Alexopoulos, P. Davlouros, G. Hahalis, I. Kanonidis, D. Katritsis, T. Kolettis, A.S. Manolis, L. Michalis, K.K. Naka, V.N. Pyrgakis, K.P. Toutouzas, F. Triposkiadis, K. Tsioufis, E. Vavouranakis, L. Martinèz-Dolz, B. Reimers, G.G. Stefanini, M. Cleman, J. Goudevenos, S. Tsiodras, D. Tousoulis, E. Iliodromitis, R. Mehran, G. Dangas, C. Stefanadis, on behalf of the GRECCO-19 investigators, Effect of Colchicine vs Standard Care on Cardiac and Inflammatory Biomarkers and Clinical Outcomes in Patients Hospitalized With Coronavirus Disease 2019: The GRECCO-19 Randomized Clinical Trial, JAMA Netw Open 3 (2020) e2013136-e2013136.
[4] M. Scarsi, S. Piantoni, E. Colombo, P. Airó, D. Richini, M. Miclini, V. Bertasi, M. Bianchi, D. Bottone, P. Civelli, M.-S. Cotelli, E. Damiolini, G. Galbassini, D. Gatta, M.-L. Ghirardelli, R. Magri, P. Malamani, M. Mendeni, S. Molinari, A. Morotti, L. Salada, M. Turla, A. Vender, A. Tincani, A. Brucato, F. Franceschini, R. Furloni, L. Andreoli, Association between treatment with colchicine and improved survival in a single-centre cohort of adult hospitalised patients with COVID-19 pneumonia and acute respiratory distress syndrome, Annals of the Rheumatic Diseases 79 (2020) 1286–1289.
[5] M.I.F. Lopes, L.P. Bonjorno, M.C. Giannini, N.B. Amaral, M.N. Benatti, U.C. Rezek, L.L. Emrich-Filho, B.A.A. Sousa, S.C.L. Almeida, R. Luppino-Assad, F.P. Veras, A. Schneider, T.S. Rodrigues, L.O.S. Leiria, L.D. Cunha, J.C. Alves-Filho, T.M. Cunha, E.A. Neto, C.H. Miranda, A. Pazin-Filho, M.A. Martins, M.C. Borges, B.A.L. Fonseca, V.R. Bollela, C.M. Del-Ben, F.Q. Cunha, D.S. Zamboni, R.C. Santana, F.C. Vilar, P. Louzada-Junior, R.D.R. Oliveira, Beneficial effects of colchicine for moderate to severe COVID-19: an interim analysis of a randomized, double-blinded, placebo controlled clinical trial, 2020.
[6] Fachinformation: Colchicin Tiofarma
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