Daunorubicin
Daunorubicin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Anthrazykline, der als Topoisomerase-II-Inhibitor zur Behandlung von akuter lymphoblastischer bzw. lymphatischer Leukämie (ALL) und akuter myeloischer Leukämie (AML) eingesetzt wird.
Daunorubicin: Übersicht

Anwendung
Daunorubicin ist bei Erwachsenen in Kombination mit anderen Zytostatika zur Remissionsinduktion bei akuten lymphoblastischen bzw. lymphatischen (ALL) und bei akuten myeloischen Leukämien (AML) indiziert.
Bei Kindern und Jugendlichen kann Daunorubicin als Teil einer Kombinationstherapie zur Behandlung von akuter lymphatischer und akuter myeloischer Leukämie angewendet werden.
Wirkmechanismus
Der exakte Wirkmechanismus von Anthrazyklinen wie Daunorubicin ist noch nicht vollständig geklärt. Die antineoplastische Wirkung der Anthrazykline wird wahrscheinlich über mehrere zytotoxische Mechanismen vermittelt, die synergistisch zu einer Beeinträchtigung der DNA-Synthese und somit der Replikation führen. Zu diesen Mechanismen zählen:
- Interkalation in die DNA: Die Interkalation der Doxorubicin-Moleküle in die DNA führt zur Hemmung der Nukleinsäuresynthese (RNA und DNA).
- Hemmung des Enzyms Topoisomerase II: Die Inhibition der Topoisomerase II bewirkt Einzel- und Doppelstrangbrüche in der DNA-Doppelhelix.
- Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS, reactive oxygen species): Stark reaktive Sauerstoffverbindungen wie Hydroxyl-Radikale verursachen eine Schädigung der DNA.

Mechanismus der Anthrazyklin-induzierten Kardiotoxizität
Der klinische Einsatz von Anthrazyklinen wird durch deren kardiotoxische Nebenwirkungen limitiert. Der Entstehungsmechanismus der Anthrazyklin-induzierten Kardiotoxizität ist allerdings noch nicht vollständig aufgeklärt, scheint jedoch multifaktoriell zu sein. Folgende Haupteinflussfaktoren werden postuliert:
- Reaktive Sauerstoffspezies (ROS): Die Chinon-Struktur der Anthrazykline ist prädestiniert dafür Redoxreaktionen einzugehen, die zur Entstehung von Semichinon-Radikalen beitragen. In Kardiomyozyten ist in diesen Reaktionen hauptsächlich die NADH-Dehydrogenase (Komplex I) der mitochondrialen Elektronentransportkette involviert. In Anwesenheit von molekularem Sauerstoff kann das aus dem jeweiligen Anthrazyklin entstandene Semichinon autooxidieren, wodurch ein Superoxid-Anion entsteht und das Anthrazyklin in seine Ausgangsform zurückkehrt. Es folgt ein sich wiederholender Redoxzyklus, der in einer Akkumulation von reaktiven Superoxid-Anionen resultiert. Darüber hinaus können sich unter Beteiligung von freiem Eisen die ROS-Level erhöhen und Anthrazyklin-Eisen-Komplexe bilden, die die Entstehung toxischer Radikale und reaktiver Stickstoffspezies (RNS) fördern, was wiederum eine mitochondriale Dysfunktion bedingt.
- Topoisomerase IIß (Top2ß): Topoisomerasen sind Enzyme, die temporäre Strangbrüche in der DNA-Doppelhelix induzieren und dadurch Prozesse wie die DNA-Replikation oder das Chromatin-Remodelling regulieren. Es existieren zwei Isoformen der Topoisomerase II in Menschen, die Topoisomerase IIα (Top2α) und die Topoisomerase IIß (Top2ß). Top2α ist die vorherrschende Isoform und wird in hohem Ausmaß in proliferierenden Zellen (maligne und benigne) exprimiert. Top2ß ist überwiegend in ruhenden Zellen wie adulten Kardiomyozyten vorzufinden und wird konstant exprimiert. Anthrazykline bilden mit der DNA und dem Enzym Topoisomerase II einen ternären Komplex, der das Wiederverschließen von Strangbrüchen verhindert und dadurch Apoptose einleitet. Dieser Effekt ist in proliferierenden malignen Zellen erwünscht und wird dort über die Bindung der Anthrazykline an die Isoform Top2α vermittelt. Binden Anthrazykline allerdings an die Isoform Top2ß in Kardiomyozyten, führt dies zu mitochrondrialen Dysfunktionen sowie einer erhöhten Apoptoserate, was zur Kardiotoxizität beiträgt.
Dosierung
Bei Erwachsenen variiert die übliche Einzeldosis zwischen 0,5 mg/kg i. v. und 3 mg/kg i. v., entsprechend ca. 20 mg/m² und 120 mg/m². Dosen von 0,5 bis 1 mg/kg i. v. (ca. 20 mg/m² und 40 mg/m²) können nach 1- oder mehrtägigen Intervallen, Dosen von 2 mg/kg intravenös (ca. 80 mg/m²) nur mit einem Intervall von 4 und mehr Tagen verabreicht werden.
Einzeldosen von 2,5 mg bis 3 mg/kg intravenös (ca. 100 bis 120 mg/m²), die selten zur Anwendung kommen, dürfen erst nach 7- bis 14-tägigem Intervall wiederholt werden.
Bei Kindern und Jugendlichen wird Daunorubicin in der Kombinationstherapie meistens in einer Dosierung von 0,5 bis 1,5 mg/kg/Tag (25 bis 45 mg/m²/Tag) gegeben. Die Dosierung von Daunorubicin bei pädiatrischen Patienten (im Alter über 2 Jahren) wird üblicherweise anhand der Körperoberfläche berechnet und entsprechend anhand des klinischen Ansprechens und des hämatologischen Status an die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Patienten angepasst. Therapiezyklen können nach 3 bis 6 Wochen wiederholt werden.
Für pädiatrische Patienten unter 2 Jahren (oder mit einer Körperoberfläche unter 0,5 m²) beträgt die maximale Kumulativdosis 10 mg/kg. Für pädiatrische Patienten über 2 Jahren beträgt die maximale Kumulativdosis 300 mg/m².
Nebenwirkungen
Bei der Behandlung mit Daunorubicin kann es zu potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen. Zu diesen zählen:
- Knochenmarkdepression
- sekundäre Leukämie
- Kardiotoxizität
- Infektionen
- Dehydrierung aufgrund starker Übelkeit und Erbrechen
- Mukositis
- Tumorlysesyndrom
- Gewebenekrose
- Thrombophlebitis an der Injektionsstelle
Kontraindikationen
Daunorubicin darf nicht angewendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- Anhaltender Myelosuppression
- Vorliegen schwerer Infektionen
- Schwerer Leberfunktionseinschränkung (Child-Pugh Grad C [Gesamtscore 10 bis 15])
- Schwerer Nierenfunktionseinschränkung (GFR 15 bis 29 ml/min)
- Myokardinsuffizienz
- Kürzlich aufgetretenem Myokardinfarkt
- Schweren Arrhythmien
- Stillzeit
Darüber hinaus darf Daunorubicin nicht angewendet werden, wenn bereits früher die kumulative Höchstdosis von Daunorubicinhydrochlorid (500 bis 600 mg/m² bei Erwachsenen, 300 mg/m² bei pädiatrischen Patienten ab 2 Jahren, 10 mg/kg Körpergewicht bei pädiatrischen Patienten unter 2 Jahren) oder von einem anderen kardiotoxischen Anthrazyklin verabreicht wurde, da sonst die Gefahr einer lebensgefährlichen Kardiotoxizität deutlich ansteigt
Schwangerschaft
Daunorubicin kann bei Anwendung in der Schwangerschaft zu fötalen Missbildungen führen. Der Wirkstoff sollte deshalb während der Schwangerschaft nicht angewendet werden, es sei denn der klinische Zustand der Frau erfordert eine Behandlung mit Daunorubicin und rechtfertigt das mögliche Risiko für den Fötus.
Stillzeit
Da Anthrazykline in die Muttermilch ausgeschieden werden und die Möglichkeit schwerwiegender unerwünschter Wirkungen von Daunorubicin bei gestillten Säuglingen besteht, ist Stillen während der Behandlung kontraindiziert.
Stillende Frauen sollten während der Behandlung mit Daunorubicin und für mindestens 6 Tage nach der letzten Dosis nicht stillen.
Verkehrstüchtigkeit
Da Daunorubicin zu Episoden von Übelkeit und Erbrechen führen kann, ist es möglich, dass zeitweise die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt ist.
Wirkstoff-Informationen
- Hande, Kenneth R. "Topoisomerase II inhibitors." Update on cancer therapeutics 3.1 (2008): 13-26.
- Skok, Žiga, et al. "Dual inhibitors of human DNA topoisomerase II and other cancer-related targets." Journal of medicinal chemistry 63.3 (2019): 884-904.
- Thomas, Anish, and Yves Pommier. “Targeting Topoisomerase I in the Era of Precision Medicine.” Clinical cancer research : an official journal of the American Association for Cancer Research vol. 25,22 (2019): 6581-6589. doi:10.1158/1078-0432.CCR-19-1089
- Pfizer: Fachinformation Daunoblastin
Abbildung
Adapted from „DNA Replisome (Eukaryotic Replication)”, by BioRender.com