Desfesoterodin
Desfesoterodin wird als kompetitiver, spezifischer Muskarinrezeptor-Antagonist zur Behandlung der überaktiven Blase angewendet. Der Wirkstoff gehört zur pharmakotherapeutischen Gruppe der Urologika, Urologischen Spasmolytika (ATC G04BD13).
Desfesoterodin: Übersicht

Anwendung
Desfesoterodin wird bei Erwachsenen zur symptomatischen Behandlung von erhöhter Harnfrequenz und/oder imperativem Harndrang und/oder Dranginkontinenz, wie sie bei dem Syndrom der überaktiven Blase vorkommen können, angewendet.
Wirkmechanismus
Desfesoterodin ist ein kompetitiver, spezifischer Muskarinrezeptor-Antagonist. Es ist der primäre aktive Metabolit von Fesoterodin und gilt als wichtigste pharmakologisch aktive Substanz dessen. Fesoterodin wirkt als Prodrug von Desfesoterodin. Fesoterodinfumarat wird rasch und umfangreich durch unspezifische Plasmaesterasen zu Desfesoterodin, einem 5-Hydroxymethyl-Abkömmling (5-HMT-Derivat), hydrolysiert.
Fesoterodin blockiert Muskarinrezeptoren (M1-M5). Desfesoterodin hat im Vergleich zu Fesoterodin eine um zwei Zehnerpotenzen höhere Affinität für diese Rezeptoren. In den meisten Fällen wird Desfesoterodin sehr schnell aus Fesoterodin (durch Spaltung der Esterasen) gebildet. Deshalb ist Fesoterodin, im Gegensatz zu Desfesoterodin, nicht immer im Blutplasma nachzuweisen. Dies kann bei unterschiedlichen Spezies - einschließlich Mensch und Maus – beobachtet werden. Die Maus kommt dabei als wichtigste nicht-klinische Spezies der pharmakokinetischen Situation des Menschen am nächsten. In beiden Organismen fungiert Fesoterodin als Prodrug. Die Toxizität resultiert aus denen antimuskarinen Effekten.
Pharmakokinetik
Desfesoterodin ist aktiver Metabolit und Prodrug von Fesoterodin. Nach oraler Aufnahme von Fesoterodin konnte die Ausgangssubstanz aufgrund der schnellen und umfangreichen Hydrolyse durch unspezifische Plasmaesterasen nicht mehr im Plasma nachgewiesen werden. Nach der Einnahme von äquimolaren Dosen Fesoterodin und Desfesoterodin waren die pharmakokinetischen Eigenschaften von Desfesoterodin nüchtern und postprandial äquivalent. Nach oraler Gabe von Fesoterodin beträgt die Bioverfügbarkeit von Desfesoterodin aufgrund des First-Pass-Effekts 52 Prozent.
Nach oraler Einzelgabe in Dosierungen von 3,5 bis 7 mg sind die pharmakokinetischen Eigenschaften von Desfesoterodin linear. Nach Einnahme einer Desfesoterodin-Retardformulierung werden die maximalen Desfesoterodin-Konzentrationen im Plasma nach etwa 5 Stunden erreicht. Therapeutische Plasmaspiegel konnten bereits nach der ersten Anwendung von Desfesoterodin beobachtet werden.
Nach Mehrfachgabe wurde keine Kumulation festgestellt.
Nach Einnahme von Desfesoterodin erhöhte sich die Exposition mit Desfesoterodin postprandial um 5 bis 10 Prozent - verglichen mit der im nüchternen Zustand. Bislang wurde keine Bioäquivalenz zwischen den Behandlungen nachgewiesen. Dennoch wird der Unterschied als klinisch nicht relevant beurteilt. Die Fesoterodin-Dosis muss daher bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme nicht angepasst werden. Nach postprandialer Verabreichung des Arzneimittels und Einnahme im nüchternen Zustand zeigen Fesoterodin und Desfesoterodin eine vergleichbare Pharmakokinetik.
Desfesoterodin bindet nur gering an Plasmaproteine. Die Bindung entfällt dabei ungefähr auf 50 Prozent an Albumin und Alpha-1-Säure-Glykoprotein.
Nach intravenöser Infusion von Desfesoterodin beträgt das mittlere Verteilungsvolumen in der Steady-State-Phase 169 l.
Nebenwirkungen
Sehr häufige Nebenwirkungen:
- Mundtrockenheit.
Häufige Nebenwirkungen:
- Schlaflosigkeit
- Schwindel
- Kopfschmerzen
- trockene Augen
- trockene Kehle
- Bauchschmerzen, Diarrhoe, Dyspepsie, Obstipation, Nausea
- Dysurie.
Gelegentliche Nebenwirkungen:
- Harnwegsinfektionen
- Dysgeusie
- Somnolenz
- verschwommenes Sehen
- Vertigo
- Tachykardie, Palpitationen
- pharyngolaryngeale Schmerzen, Husten, trockene Nase
- Bauchbeschwerden, Flatulenz, gastroösophagealer Reflux
- ALT-Erhöhung, GGT-Erhöhung
- Ausschlag, trockene Haut, Pruritus
- Harnverhalt (einschließlich Restharngefühl und Miktionsstörung), verzögertes Wasserlassen
- Müdigkeit.
Seltene Nebenwirkungen:
- Verwirrtheit
- Angioödem
- Urtikaria.
Wechselwirkungen
Pharmakologische Wechselwirkungen
Die gleichzeitige Anwendung von Desfesoterodin und anderen Antimuskarinika oder Arzneimitteln mit anticholinergen Wirkungen muss mit Bedacht erfolgen. Dazu gehören unter anderem Amantadin, trizyklische Antidepressiva und bestimmte Neuroleptika. Mitunter sind verstärkte therapeutische Wirkungen und Nebenwirkungen wie Obstipation, Mundtrockenheit, Benommenheit und Harnverhalt möglich. Desfesoterodin kann die Wirkung von Arzneimitteln vermindern, die die Motilität des Gastrointestinaltrakts anregen. Ein klassisches Beispiel dafür wäre Metoclopramid.
Pharmakokinetische Wechselwirkungen
In-vitro-Studien zeigen, dass Desfesoterodin in klinisch relevanten Plasmakonzentrationen keine Hemmung von CYP1A2, 2B6, 2C8, 2C9, 2C19, 2D6, 2E1 oder 3A4 und keine Induktion von CYP1A2, 2B6, 2C9, 2C19 oder 3A4 bewirkt. Demzufolge hat Desfesoterodin wahrscheinlich auch keinen Einfluss auf die Clearance von Arzneimitteln, die von diesen Enzymen metabolisiert werden.
Bei Hemmung von CYP3A4 durch eine gleichzeitige Gabe von starken CYP3A4-Inhibitoren (wie zweimal täglich 200 mg Ketoconazol) kam bei schnellen CYP2D6-Metabolisierern zu einem Anstieg der Plasmaspitzenkonzentration (Cmax) und der AUC von Desfesoterodin um das 2,0- bzw. 2,3-Fache, führen. Bei langsamen CYP2D6- Metabolisierern erhöht sich die Zunahme um das 2,1- bzw. 2,5-Fache. Bei der gleichzeitigen Anwendung starker CYP3A4-Hemmer wird deshalb empfohlen, die Höchstdosis von Desfesoterodin auf 3,5 mg zu begrenzen. Dies betrifft unter anderem die folgenden Wirkstoffe:
- Atazanavir
- Clarithromycin
- Indinavir
- Itraconazol
- Ketoconazol
- Nefazodon
- Nelfinavir
- Ritonavir und alle durch Ritonavir verstärkten Therapien mit Proteasehemmern
- Saquinavir
- Telithromycin.
Bei Blockade von CYP3A4 durch die gleichzeitige Gabe des mäßigen CYP3A4-Inhibitors Fluconazol (200 mg zweimal täglich über 2 Tage) wurde ein Anstieg der Cmax von Desfesoterodin um ungefähr 19 Prozent und der AUC von 27 Prozent beobachtet. Bei gleichzeitiger Anwendung von mäßigen CYP3A4-Inhibitoren wird daher keine Anpassung der Dosierung empfohlen. Das gilt unter anderem für Grapefruitsaft und:
Die Auswirkung schwacher CYP3A4-Inhibitoren wie beispielsweise Cimetidin wurde nicht untersucht. Der Einfluss geht mit großer Wahrscheinlichkeit jedoch nicht über den von mäßigen Inhibitoren hinaus.
Die Induktion von CYP3A4 wurde anhand der gleichzeitigen oralen Anwendung von einmal täglich 600 mg Rifampicin und 8 mg Fesoterodin (als Prodrug von Desfesoterodin) untersucht. Dabei reduzierte sich die Cmax von Desfesoterodin um 70 Prozent, die der AUC um ungefähr 75 Prozent.
Eine Induktion von CYP3A4 kann zu subtherapeutischen Plasmaspiegeln führen. Die gleichzeitige Anwendung mit CYP3A4-Induktoren wird daher nicht empfohlen. Das gilt unter anderem für folgenden Wirkstoffe:
- Carbamazepin
- Rifampicin
- Phenobarbital
- Phenytoin
- Johanniskraut.
Wechselwirkungen mit CYP2D6-Inhibitoren wurden bislang klinisch nicht untersucht. Bei langsamen CYP2D6-Metabolisierern sind die mittlere Cmax und die mittlere AUC von Desfesoterodin – verglichen mit schnellen Metabolisierern – um das 1,7- bzw. 2-Fache erhöht. Bei gleichzeitiger Anwendung eines starken CYP2D6-Hemmers sind eine verstärkte Exposition und unerwünschte Ereignisse wahrscheinlich. Möglicherweise muss die Desfesoterodin-Dosis auf 3,5 mg reduziert werden.
Die Ovulationshemmung durch orale hormonale Kontrazeptiva wird durch Fesoterodin (dem Prodrug von Desfesoterodin) nicht beeinflusst. Bei der gemeinsamen Anwendung von Fesoterodin wurden auch keine Veränderungen der Plasmakonzentrationen von oralen Kombinationskontrazeptiva, die Ethinylestradiol und Levonorgestrel enthalten, beobachtet.
Eine klinische Studie an gesunden Probanden ergab, dass die einmal tägliche Gabe von 8 mg Fesoterodin als Prodrug von Desfesoterodin, keine signifikanten Auswirkungen auf die Pharmakokinetik oder die gerinnungshemmende Wirkung einer Einzeldosis von Warfarin hat.
Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen wurden nur bei Erwachsenen durchgeführt. Für Kinder gibt es derzeit noch keinen Angaben.
Kontraindikationen
Desfesoterodin darf nicht bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff selbst oder gegen Fesoterodin als Prodrug von Desfesoterodin angewendet werden. Weitere Kontraindikationen sind:
- Harnretention
- Magenretention
- nicht ausreichend behandeltes oder unbehandeltes Engwinkelglaukom
- Myasthenia gravis
- schwere Einschränkung der Leberfunktion (Child-Pugh-Klasse C)
- gleichzeitige Anwendung von starken CYP3A4-Hemmern bei Patienten mit mäßiger bis schwerer Einschränkung der Leber- oder Nierenfunktion
- schwere Colitis ulcerosa
- toxisches Megakolon.
Relative Gegenanzeigen
Desfesoterodin sollte mit Vorsicht angewendet werden bei Patienten mit:
- klinisch relevanten obstruktiven Harnabflussstörungen mit dem Risiko eines Harnverhalts (zum Beispiel klinisch relevante Vergrößerung der Prostata bei benigner Prostatahyperplasie)
- obstruktiven gastrointestinalen Störungen wie einer Pylorusstenose
- gastroösophagealem Reflux und/oder gleichzeitiger Behandlung mit Arzneimitteln wie oralen Bisphosphonaten, die eine Ösophagitis verursachen oder verstärken können
- verminderter gastrointestinaler Motilität
- autonomer Neuropathie
- ausreichend behandeltem Engwinkelglaukom.
Bei der Verordnung von Desfesoterodin oder einer Dosiserhöhung des Wirkstoffs ist bei Patienten, bei denen eine verstärkte Exposition zu erwarten ist, Vorsicht geboten. Dazu gehören unter anderem folgende Faktoren:
- eingeschränkte Leberfunktion
- eingeschränkte Nierenfunktion
- gleichzeitige Anwendung von starken oder mäßigen CYP3A4-Hemmern
- gleichzeitige Anwendung eines starken CYP2D6-Hemmers.
Bei Patienten mit mehreren dieser Faktoren muss mit einer zusätzlichen Erhöhung der Exposition gerechnet werden. Zudem sind dosisabhängige antimuskarine Nebenwirkungen wahrscheinlich. Wird die Dosis auf 7 mg einmal täglich erhöht, sollten vor der Dosiserhöhung das individuelle Ansprechen und die Verträglichkeit überprüft werden.
Vor einer Behandlung mit Antimuskarinika müssen organische Ursachen ausgeschlossen werden. Bislang gibt es keine Angaben zu Unbedenklichkeit und Wirksamkeit bei Patienten mit einer neurogenen Ursache für die Detrusorüberaktivität.
Andere Ursachen für häufiges Wasserlassen wie eine Behandlung von Herzinsuffizienz oder Nierenerkrankungen müssen vor der Behandlung mit Desfesoterodin abgeklärt werden. Bei einer Harnwegsinfektion müssen geeignete medizinische Maßnahmen ergriffen bzw. eine antibakterielle Therapie eingeleitet werden.
Während der Anwendung von Fesoterodin, dem Prodrug von Desfesoterodin, gab es Fälle von Angioödemen - in einigen Fällen bereits nach der ersten Einnahme. Im Fall eines Angioödems, sollte Desfesoterodin sofort abgesetzt werden. Darüber hinaus ist unverzüglich eine geeignete Therapie einzuleiten.
Die gleichzeitige Anwendung von Desfesoterodin mit starken CYP3A4-Induktoren wie Carbamazepin, Rifampicin, Phenobarbital, Phenytoin und Johanniskraut wird nicht empfohlen.
Desfesoterodin sollte bei Patienten mit erhöhtem Risiko einer QT-Verlängerung nur bei besonderer Vorsicht und engmaschigen ärztlichen Kontrollen angewendet werden. Dazu zählen insbesondere Patienten mit Hypokaliämie und Bradykardie und/oder der gleichzeitigen Gabe von Arzneimitteln, die bekanntermaßen das QT-Intervall verlängern. Die gleichen Vorsichtsmaßnahmen gelten für Patienten mit manifesten vorbestehenden Herzerkrankungen wie ischämischer Herzkrankheit, Arrhythmie und Herzinsuffizienz. Ganz besonders müssen die Patienten überwacht werden, die starke CYP3A4-Inhibitoren einnehmen müssen.
Schwangerschaft
Bislang gibt es noch keine hinreichenden klinischen Untersuchungen für die Anwendung von Fesoterodin (Prodrug von Desfesoterodin) in der Schwangerschaft. Tierexperimentelle Studien zur Reproduktionstoxizität mit Fesoterodin zeigen jedoch eine geringe Embryotoxizität. Das potenzielle Risiko für den Menschen ist noch nicht bekannt. Daher sollten schwangere Frauen auch nicht mit Desfesoterodin behandelt werden.
Bislang wurden noch keine klinischen Studien zur Beurteilung der Wirkung von Fesoterodin auf die Fertilität beim Menschen durchgeführt. Bei schwangeren Mäusen in einer nicht maternaltoxischen Dosis zeigte Fesoterodinfumarat keinen Effekt auf die männliche oder weibliche Fertilität. Effekte auf die Reproduktion oder die frühe embryonale Entwicklung des Fetus wurden ebenfalls nicht beobachtet. Frauen im gebärfähigen Alter sollten darauf hingewiesen werden, dass es bislang noch keine sicheren Daten zur Fertilität beim Menschen gibt. Darüber hinaus sollte Desfesoterodin bei dieser Klientel nur nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung verordnet werden.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Fesoterodin oder Desfesoterodin beim Menschen in die Muttermilch übergehen. Es wird empfohlen, während der Behandlung mit Desfesoterodin nicht zu stillen.
Anwendungshinweise
Weitere Details zu diesem Wirkstoff können Sie der vorliegenden Fachinformation entnehmen.
Fachinformation Tovedeso, European Medicines Agency