Dexamfetamin

Dexamfetamin (auch Dextroamphetamin) ist ein Enantiomer von Amphetamin und gehört zur Wirkstoffgruppe der Stimulanzien. Der Wirkstoff wird zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) angewendet.

Dexamfetamin

Anwendung

Dexamfetamin (Attentin, Elvanse) ist indiziert zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ab einem Alter von 6 Jahren im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie.

Wirkmechanismus

Amphetamin besteht aus den zwei Enantiomeren Levoamphetamin und Dextroamphetamin (Dexamfetamin). Dextroamphetamin ist das rechtsdrehende Enantiomer und weist stärkere Wirkungen auf das zentrale Nervensystem (ZNS) auf als Levoamphetamin.

Amphetamin ist ein Stimulans des ZNS, das die Konzentration an Dopamin, Noradrenalin und (in geringerem Maße) Serotonin im synaptischen Spalt durch eine Vielzahl von Mechanismen erhöht. Amphetamin gelangt durch Diffusion oder Aufnahme durch die Monoamintransporter DAT, NET und SERT in das präsynaptische Axonterminal. Sobald es sich in der präsynaptischen Synapse befindet, erhöht Amphetamin die Mengen an Monoamin-Neurotransmittern im Zytosol durch die Hemmung des vesikulären Monoamin-Transporters 2 (VMAT2) und durch Störung der elektrochemischen Gradienten, die für die Funktion des vesikulären Transporters erforderlich sind.

Amphetamin hemmt außerdem den Metabolismus von Monoamin-Neurotransmittern indem es die Monoaminoxidase (MAO) hemmt. Gleichzeitig stimuliert Amphetamin den intrazellulären Rezeptor TAAR1, der die Internalisierung oder Transporterumkehr von DAT induziert. Die Auswirkungen von TAAR1 auf DAT können sich auch auf NET und SERT erstrecken. Die Co-Lokalisierung von TAAR1 mit diesen beiden Transportern wurde allerdings bisher nur indirekt in Studien nachgewiesen. Das Ergebnis dieser Aktivität ist ein erhöhter Ausstrom von Dopamin in den synaptischen Spalt und eine Hemmung der Wiederaufnahme durch DAT-Internalisierung und direkte Konkurrenz.

Freigesetztes Noraderenalin beeinflusst dann sowohl alpha-adrenerge als auch beta-adrenerge Rezeptoren. Die Stimulation von beta-adrenergen Rezeptoren erhöht die Herzfrequenz, das Schlagvolumen und die Durchblutung der Skelettmuskulatur. Die alpha-adrenerge Stimulation verursacht eine Vasokonstriktion und eine Erhöhung des gesamten peripheren Widerstands, was zu einer Erhöhung sowohl des systolischen als auch des diastolischen Blutdrucks, einer schwachen Bronchodilatation und einer atemstimulierenden Wirkung führt.

Pharmakokinetik

Resorption

  • Dexamfetamin wird rasch aus dem Gastrointestinaltrakt absorbiert.
  • Es ist widerstandsfähig gegenüber einem Metabolismus durch Monoamin-Oxidase.
  • Die Einnahme von einer Tablette Dexamfetamin 5 mg führte bei gesunden Probanden im Mittel zu maximalen Blutplasmaspiegeln von 11,3 ng/ml (Cmax) (Minimum 8,85, Maximum 16,48 ng/ml) nach durchschnittlich 1,5 h (tmax).
  • Die Halbwertzeit (t1/2) lag im Mittel bei 10 Stunden (Minimum 8,9 Stunden, Maximum 12,5 Stunden).

Elimination

  • Dexamfetamin wird unverändert zusammen mit einigen hydroxylierten Metaboliten renal eliminiert.
  • Die Elimination ist bei saurem Urin erhöht.
  • Nach Einnahme hoher Dosen kann die Elimination über den Urin mehrere Tage dauern.

Dosierung

Die empfohlene Initialdosis beträgt 5 mg bis 10 mg Dexamfetamin täglich. Auch geringere Dosen als 5 mg können bereits eine therapeutische Wirkung erzielen. Falls erforderlich, kann in Abhängigkeit von der Verträglichkeit und dem beobachteten Grad der Wirksamkeit die Tagesdosis jeweils wöchentlich in Schritten von 5 mg erhöht werden.

Die maximale Tagesdosis beträgt in der Regel 20 mg, obwohl in seltenen Fällen bei älteren Kindern Dosen von 40 mg täglich für eine optimale Einstellung notwendig sind.

Die Einnahmezeit sollte entsprechend der Symptomausprägung im Tagesverlauf gewählt werden.

Nebenwirkungen

Zu den häufigen Nebenwirkungen unter der Anwendung von Dexamfetamin zählen:

  • Erhöhter systolischer Blutdruck    
  • Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit   
  • Gewichtsverlust, Abnahme des Appetits
  • Mundtrockenheit
  • Bauchschmerzen, Übelkeit, Durchfall
  • Nervosität, Stimmungsschwankungen

Zu den schwerwiegenden möglichen Nebenwirkungen zählen:

  • Kardiomyopathie
  • Myokardinfarkt
  • periphere Gefäßerkrankung
  • Raynaud-Krankheit
  • plötzlicher Herztod
  • Krampfanfall
  • Stevens-Johnson-Syndrom, toxische epidermale Nekrolyse
  • Überempfindlichkeitsreaktion
  • Psychotische Störung wie neue oder sich verschlechternde psychotische oder manische Symptome, Verhaltensänderungen oder emotionale Labilität

Es gibt Berichte über eine Verlangsamung der Wachstumsgeschwindigkeit und eine Verringerung der Erwachsenengröße bei Patienten, die als Kinder Stimulanzien einnahmen, was in erster Linie eine Folge von reduziertem Appetit und reduzierter Kalorienaufnahme im Zusammenhang mit Stimulanzien zu sein scheint.

Der Zusammenhang zwischen Amphetamin und schweren kardiovaskulären Ereignissen ist umstritten. Es liegen Berichte über schwere kardiovaskuläre Ereignisse wie Myokardinfarkt und plötzlichen Herztod bei Patienten (einschließlich Kindern) vor, die mit Stimulanzien behandelt wurden. Einige gemeldete Fälle betrafen Patienten mit zugrundeliegenden strukturellen kardiovaskulären Anomalien und/oder Patienten, die supratherapeutische Dosen des Medikaments einnahmen [2]. Mehrere große Folgestudien konnten kein erhöhtes Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten nachweisen, die mit Stimulanzien behandelt wurden [3,4].

Wechselwirkungen

Folgende Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Dexamfetamin zu beachten:

  • MAO-Hemmer: Wegen des möglichen Auftretens einer hypertensiven Krise ist Dexamfetamin bei Patienten kontraindiziert, die (gleichzeitig oder während der vorangegangenen zwei Wochen) mit nicht-selektiven, irreversiblen MAO-Inhibitoren behandelt werden/wurden.
  • Trizyklische Antidepressiva: Die gleichzeitige Anwendung kann das Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen erhöhen.
  • Vasopressoren: Wegen eines möglichen Blutdruckanstiegs sollte Dexamfetamin mit Vasopressoren vorsichtig angewendet werden.
  • Antihypertensiva, wie Guanethidin oder Clonidin: Dexamfetamin kann die Wirkung abschwächen.
  • Betablocker: Schwere Hypertonie möglich, da deren Wirkung durch Dexamfetamin gehemmt werden kann.
  • Die Absorption von Antikonvulsiva (z. B. Phenobarbital, Phenytoin, Primidon, Ethosuximid) kann verzögert werden.
  • Cumarin-Antikoagulantien, Antikonvulsiva (z. B. Phenobarbital, Phenytoin und Primidon) und einige Antidepressiva (trizyklische und SSRI): Es gibt Berichte, die darauf hinweisen, dass Dexamfetamin den Stoffwechsel dieser Verbindungen hemmen kann. Zu Beginn oder bei Beendigung der Behandlung mit Dexamfetamin kann es notwendig werden, die Dosierung solcher Medikamente neu einzustellen und deren Plasmakonzentration (oder bei Cumarin die Gerinnungszeiten) zu bestimmen.
  • Morphin: Die analgetische Wirkung von Morphin kann durch gleichzeitige Anwendung von Dexamfetamin verstärkt werden und der atemdepressive Effekt vermindert werden.
  • Halogenierte Narkotika: Während einer Operation besteht das Risiko einer plötzlichen Erhöhung des Blutdrucks. Wenn eine Operation geplant ist, sollte Dexamfetamin nicht am Tag der Operation angewendet werden.
  • Alkohol kann die ZNS-Nebenwirkungen von psychoaktiven Arzneimitteln, einschließlich Dexamfetamin verstärken. Daher dürfen Patienten während des Behandlungszeitraums keinen Alkohol zu sich nehmen.
  • Phenothiazine, z. B. Chlorpromazin hemmen die Wiederaufnahme von Dopamin und Noradrenalin und verhindern damit die zentral stimulierende Wirkung von Amfetaminen. Sie können deshalb zur Behandlung von Amfetaminvergiftungen eingesetzt werden.

Folgende Verbindungen können eine Wirkabschwächung von Dexamfetamin bedingen:

  • Adrenorezeptorblocker (z. B. Propranolol)
  • Lithium
  • Phenothiazine
  • Haloperidol
  • Stoffe, die den pH-Wert im Gastrointestinaltrakt senken (Guanethidin, Reserpin, Glutaminsäure, Salzsäure, Ascorbinsäure, Fruchtsaft, etc.) führen zu einer verminderten Aufnahme von Dexamfetamin.
  • Stoffe, die den Urin ansäuern (Ammoniumchlorid, Natriumdihydrogenphopsphat etc) führen zu einer Zunahme der ionisierten Ausscheidungsprodukte von Dexamfetamin im Urin, worauf die renale Ausscheidung steigt. Beides führt zu niedrigeren Blutspiegeln von Dexamfetamin.

Folgende Verbindungen können die Wirkung von Dexamfetamin verstärken:

  • Disulfiram kann den Metabolismus und die Ausscheidung von Dexamfetamin hemmen.
  • Stoffe, die den pH-Wert im Gastrointestinaltrakt erhöhen (Natriumbicarbonat etc.) führen zu einer gesteigerten Aufnahme von Dexamfetamin.
  • Stoffe, die den pH-Wert im Urin erhöhen (Acetazolamid, einige Thiazide), führen zu einer Zunahme der nicht ionisierten Ausscheidungsprodukte im Urin, worauf die renale Ausscheidung abnimmt. Beides führt zu erhöhten Blutspiegeln von Dexamfetamin.
  • Clonidin kann zu einer verlängerten Wirksamkeitsdauer von Dexamfetamin führen.

Kontraindikationen

Dexamfetamin darf nicht angewendet werden bei:

  • Bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder Idiosynkrasie gegenüber sympathomimetischen Aminen
  • Glaukom
  • Phäochromozytom
  • Behandlung mit nicht-selektiven, irreversiblen Monoaminoxidasehemmern (MAO-Hemmern) oder innerhalb von mindestens 14 Tagen nach Absetzen solcher Substanzen, da dann das Risiko einer hypertensiven Krise besteht
  • Hyperthyreose oder Thyreotoxikose
  • Diagnose oder Anamnese von schwerer Depression, Anorexia nervosa/anorektischen Störungen, Suizidneigung, psychotischen Symptomen, schwere affektive Störungen, Manie, Schizophrenie, psychopathischen/Borderline-Persönlichkeitsstörungen
  • Gilles de la Tourette Syndrome oder ähnliche Dystonien
  • Diagnose oder Anamnese von schwerenund episodischen (Typ I) bipolaren affektiven Störungen (die nicht gut kontrolliert sind)
  • Vorbestehende Herz-Kreislauferkrankungen, einschließlich mittelschwerer und schwerer Hypertonie, Herzinsuffizienz, arterieller Verschlusskrankheit, Angina pectoris, hämodynamisch signifikanter, angeborener Herzfehler, Kardiomyopathien, Myokardinfarkt, potentiell lebensbedrohender Arrhythmien und Kanalopathien (Erkrankungen, die aufgrund von Dysfunktionen der Ionenkanäle verursacht wurden)
  • Vorbestehenden zerebrovaskuläre Erkrankungen, wie zum Beispiel zerebrale Aneurysmen, Gefäßabnormalitäten, einschließlich Vaskulitis oder Schlaganfall
  • Porphyrie
  • Patienten mit einer Vorgeschichte von oder derzeitiger Drogenabhängigkeit oder Alkoholismus
  • Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangerschaft

Daten aus einer Kohortenstudie für insgesamt etwa 5570 Schwangerschaften mit Exposition gegenüber Amfetamin/Dexamfetamin im ersten Trimester liefern keine Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für angeborene Fehlbildungen. In einer weiteren Kohortenstudie lassen die Daten für etwa 3100 Schwangerschaften mit Exposition gegenüber Amfetamin/Dexamfetamin in den ersten 20 Schwangerschaftswochen auf ein erhöhtes Risiko für Präeklampsie und Frühgeburt schließen.

Neugeborene, die während der Schwangerschaft Amfetamin ausgesetzt waren, können Entzugserscheinungen entwickeln. In Tierstudien wurde Reproduktionstoxizität festgestellt. Während der Schwangerschaft, insbesondere während des ersten Trimesters ist Dexamfetamin daher kontraindiziert.

Stillzeit

Dexamfetamin tritt in die Muttermilch über. Ein Risiko für den Säugling kann nicht ausgeschlossen werden. Falls die Fortführung der Therapie aus medizinischer Sicht erforderlich ist, muss abgestillt werden.

Verkehrstüchtigkeit

Dexamfetamin kann Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen haben. Es ist daher ratsam, beim Führen von Fahrzeugen, Bedienen von Maschinen oder anderen potenziell gefährlichen Aktivitäten Vorsicht walten zu lassen.

Anwendungshinweise

Überwachung

Bei Patienten mit bekannten kardialen Anomalien sollte vor Therapiebeginn der Herzstatus beurteilt werden. Patienten mit Brustschmerzen bei Belastung, Kurzatmigkeit, pathologischen Herzgeräuschen oder anderen Anzeichen und Symptomen, die auf eine Herzerkrankung hindeuten, sollten einer vollständigen kardiologischen Untersuchung unterzogen werden, ebenso wie alle Patienten mit einer Familienanamnese von Kardiomyopathie, Arrhythmien oder EKG-Anomalien wie langes QT Syndrom. Eine kardiale Überwachung sollte mindestens einmal jährlich erfolgen. Darüber hinaus sollen bei pädiatrischen Patienten Wachstumsparameter überwacht werden. Ärzte sollten außerdem alle Patienten auf Anzeichen von Missbrauch überwachen.

Alternativen

Die pharmakologische Behandlung der ADHS umfasst neben Dexamfetamin die Wirkstoffe:

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
135.21 g·mol-1
Kindstoff(e):
Quelle:
  1. Fachinformation Attentin
  2. Sichilima T, Rieder MJ. Adderall and cardiovascular risk: A therapeutic dilemma. Paediatr Child Health. 2009 Mar;14(3):193-5.
  3. Cooper WO, Habel LA, Sox CM, Chan KA, Arbogast PG, Cheetham TC, Murray KT, Quinn VP, Stein CM, Callahan ST, Fireman BH, Fish FA, Kirshner HS, O'Duffy A, Connell FA, Ray WA. ADHD drugs and serious cardiovascular events in children and young adults. N Engl J Med. 2011 Nov 17;365(20):1896-904.
  4. Schelleman H, Bilker WB, Strom BL, Kimmel SE, Newcomb C, Guevara JP, Daniel GW, Cziraky MJ, Hennessy S. Cardiovascular events and death in children exposed and unexposed to ADHD agents. Pediatrics. 2011 Jun;127(6):1102-10.
  5. Shoar, Nazila Sharbaf, Raman Marwaha, and Mohammed Molla. "Dextroamphetamine-Amphetamine." StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing, 2021.
  6. Martin, Dustin, and Jacqueline K. Le. "Amphetamine." (2020).
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49 Präparate mit Dexamfetamin