Esketamin

Der Wirkstoff Esketamin (S-Ketamin) ist die enantiomerenreine Form des racemischen Narkosemittels Ketamin. Das Arzneimittel wird zur Durchführung einer Narkose verwendet und ist seit März 2019 in den USA auch für die Behandlung einer therapieresistenten Major Depression zugelassen

Esketamin

Anwendung

Esketamin hat je nach Applikationsart verschiedene Indikationen.

Esketamin i.v. oder i.m. (z. B. Ketanest) wird angewendet zur:

  • Einleitung und Durchführung einer Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) ggf. in Kombination mit Schlafmitteln (Hypnotika)
  • Ergänzung bei Regionalanästhesien (örtliche Betäubung)
  • Anästhesie und Schmerzbekämpfung (Analgesie) in der Notfallmedizin
  • Intubation im Status asthmaticus in Kombination mit einem Muskelrelaxans, wenn andere spezifische Maßnahmen nicht erfolgreich waren
  • Schmerzbekämpfung bei künstlicher Beatmung (Intubation)

Seit März 2019 ist in den USA ein Esketamin-Nasenspray (Spravato) zur Behandlung erwachsener Patienten  mit therapieresistenter Major Depression zugelassen, die die auf mindestens zwei verschiedene Therapien mit Antidepressiva nicht angesprochen haben. Laut CHMP soll Spravato bei dieser Indikation nur in Kombination mit einem SSRI oder SNRI angewendet werden.

Anwendungsart

Esketamin kann nasal, i.m. oder i.v. angewendet werden.

Wirkmechanismus

Der Wirkmechanismus, der zur antidepressiven Wirkung von Esketamin führt, ist weitgehend ungeklärt. Es wird angenommen, dass die antidepressive Wirkung von Esketamin über einen Antagonismus auf den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR) vermittelt wird, der eine vorübergehende Erhöhung der Glutamatfreisetzung bewirkt. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass die antidepressive Wirkung über eine Aktivierung des AMPA-Rezeptors durch den Metaboliten (2S,6S;2R,6R)-Hydroxynorketamine (HNK) verursacht wird.

Die Vorteile von Esketamin-Nasenspray seien laut CHMP die Fähigkeit, ein breites Spektrum an depressiven Symptomen bei Patienten mit einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode zu reduzieren.

Der analgetische Effekt von Esketamin ist auch auf die Blockade der NMDAR zurückzuführen. Die analgetisch-anästhetische Potenz zwischen dem R- und S-Isomer beträgt 1:4. Esketamin zeichnet sich gegenüber Ketamin durch seine etwa doppelt so hohe Potenz in gleicher Dosis aus. Am Rückenmark und an peripheren Nerven wirkt Esketamin lokalanästhetisch.

Pharmakokinetik

Nasale Applikation:

Die Esketamin-Exposition steigt mit der Dosis von 28 mg auf 84 mg. Die Zunahme der Cmax- und AUC-Werte war zwischen 28 mg und 56 mg oder 84 mg weniger als dosisproportional, zwischen 56 mg und 84 mg jedoch nahezu dosisproportional. Nach zweimal wöchentlicher Gabe wurde keine Anreicherung von Esketamin im Plasma beobachtet. Die mittlere absolute Bioverfügbarkeit nach nasaler Applikation beträgt ca. 48% Die Zeit bis zum Erreichen der maximalen Esketaminplasmakonzentration beträgt 20 bis 40 Minuten. Die Proteinbindung von Esketamin betrug ungefähr 43% bis 45%.

Nach Erreichen der Cmax bei intranasaler Verabreichung war die Abnahme der Plasma-Esketaminkonzentrationen zweiphasig, mit rascher Abnahme für die ersten 2 bis 4 Stunden und eine mittlere terminale Halbwertszeit (t1/2) im Bereich von 7 bis 12 Stunden. Die mittlere Clearance von Esketamin beträgt ca. 89 l / h nach intravenöser Applikation. Die Elimination des Hauptmetaboliten Noresketamin aus dem Plasma ist langsamer als die von Esketamin. Der Abfall der Noresketamin-Plasmakonzentrationen ist zweiphasig, mit einem raschen Abfall für die ersten 4 Stunden und einem mittleren  t1/2 von ungefähr 8 Stunden.

Esketamin wird hauptsächlich über die Cytochrom P450 (CYP) -Enzyme CYP2B6 und CYP3A4 und in geringerem Maße über CYP2C9 und CYP2C19 zu Noresketamin-Metaboliten metabolisiert. Noresketamin wird über CYP-abhängige Wege metabolisiert. Nachfolgende Metaboliten unterliegen einer Glukuronidierung.

Weniger als 1% der nasal applizierten Dosis von Esketamin wird als unverändertes Arzneimittel im Urin ausgeschieden. Nach intravenöser oder oraler Verabreichung wurden von Esketamin abgeleitete Metaboliten hauptsächlich im Urin (≥ 78% einer radioaktiv markierten Dosis) und in geringerem Maße im Stuhl (≤ 2% einer radioaktiv markierten Dosis) gefunden.

Spezifische Populationen

Basierend auf der Populations-PK-Analyse wurden keine signifikanten Unterschiede in der Pharmakokinetik von Esketamin-Nasenspray für Geschlecht und Gesamtkörpergewicht (> 39 bis 170 kg) beobachtet. Es liegen keine klinischen Erfahrungen mit von Esketamin-Nasenspray bei Patienten mit Nierendialyse oder mit schweren Leberfunktionsstörungen (Child-Pugh-Klasse C) vor.

i.v –Applikation

Ketamin wie auch Esketamin verteilen sich nach intravenöser Bolusgabe schnell in stark durchblutete Gewebe wie z. B. Herz, Lunge und Gehirn, gefolgt von Muskeln, periphere Gewebe und anschließend Fettgewebe. Bereits nach einer Minute sind Spitzenkonzentrationen erreicht. Esketamin passiert die Plazentaschranke und wird nach intramuskulärer Gabe in den M. deltoideus rasch (Resorptionshalbwertszeit: 2 bis 17 Minuten) resorbiert. Esketamin besitzt eine Halbwertzeit von 10 – 15 Minuten und einen anästhetischen Effekt von etwa 20 Minuten.

Durch N-Demethylierung entstehen (±)-Norketamin (über das Cytochrom-P-450-System) und ein durch Dehydratisierung ein (±)-Cyclohexenon-Derivat, die etwa 1/3 bis 1/10 bzw. 1/10 bis 1/100 der anästhetischen Wirkung von Ketamin haben. Ketamin und seine Metaboliten werden vorwiegend renal eliminiert.

Dosierung

Je nach Indikation bestehen unterschiedliche Dosierungsschemata, die der jeweiligen fachinformation entnommen werden können

Nebenwirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen unter Anwendung des Esketamin-Nasensprays sind:

  • Schwindel
  • Übelkeit
  • Dissoziation
  • Kopfschmerzen
  • Schläfrigkeit

Die häufigsten Nebenwirkungen unter Anwendung von Esketamin als Analgetikum/Anästhetikum sind:

  • Aufwachreaktionen wie z. B. lebhafte Träume, inklusive Albträume, Schwindel und motorische Unruhe
  • Anstieg des Blutdrucks und der Herzfrequenz (ein Anstieg von 20 % über den Ausgangswert ist häufig)

Wechselwirkungen

Folgende Verbindungen können bei gleichzeitiger Anwendung mit nasal appliziertem Esketamin zu Wechselwirkungen führen:

  • Zentral dämpfende Arzneimittel (z. B. Benzodiazepine, Opioide, Alkohol) kann die Sedierung verstärken.
  • Psychostimulanzien (z. B. Amphetaminen, Methylphenidat, Modafinil, Armodafinil) können den Blutdruck weiter erhöhen
  • Monoaminoxidasehemmer (MAOIs) können den Blutdruck weiter erhöhen

Bei i.v. und i.m. Applikation sind folgende Wechselwirkungen zu beachten:

Die gleichzeitige Verabreichung folgender Verbindungen ist kontraindiziert:

  • Xanthinderivate (z. B. Aminophyllin oder Theophyllin) können zu einer Absenkung der Krampfschwelle führen
  • Ergometrin

Die gleichzeitige Verabreichung folgender Verbindungen sollte mit Vorsicht erfolgen:

  • Schilddrüsenhormone, direkt oder indirekt wirkende Sympathomimetika, Vasopressin ► Auftreten einer arteriellen Hypertonie und einer Tachykardie möglich
  • Benzodiazepine, Neuroleptika ► Abschwächung der Nebenwirkungen, aber auch Verlängerung der Wirkungsdauer von Esketamin
  • Barbiturate, Opiate ► Aufwachphase verlängert
  • halogenierte Kohlenwasserstoffen (z. B. Halothan, Isofluran, Desfluran, Sevofluran) ► anästhetische Wirkung wird verstärkt. Niedrigere Dosierungen von halogenierten Kohlenwasserstoffen können ausreichend sein
  • Muskelrelaxanzien (depolarisierende oder nicht depolarisierende Muskelrelaxanzien z. B. Suxamethonium, Pancuronium) ► Wirkung kann verlängert sein
  • Adrenalin ► Risiko von kardialen Arrhythmien kann erhöht sein.
  • Vasopressin ► erhöhter Blutdruck wurde beobachtet
  • CYP3A4-Inhibitoren ► vermindern die hepatische Clearance, was zu erhöhten Plasmakonzentrationen von Esketamin (CYP3A4-Substrat) führt. Verringerte Dosierung von Esketamin kann erforderlich sein
  • CYP3A4-Induktoren ► erhöhen die hepatische Clearance, was zu verringerten Plasmakonzentrationen von Esketamin (CYP3A4-Substrat) führt. Eine erhöhte Dosierung von Esketamin kann erforderlich sein

Kontraindikationen

Esketamin-Nasenspray darf nicht angewendet werden bei:

  • aneurysmatischen Gefäßerkrankungen
  • arteriovenösen Fehlbildungen
  • intrazerebraler Blutung
  • Überempfindlichkeit gegen Esketamin oder Ketamin

Esketamin i.v. / i.m. (z. B. Ketanest S) darf nicht angewendet werden bei:

  • Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
  • Patienten, für die ein erhöhter Blutdruck oder ein gesteigerter Hirndruck ein ernsthaftes Risiko darstellt
  • schlecht eingestelltem oder nicht behandeltem Bluthochdruck (arterielle Hypertonie – systolischer/diastolischer Blutdruck über 180/100 mmHg in Ruhe)
  • Eklampsie und Präeklampsie
  • nicht oder ungenügend behandelter Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
  • Situationen, die eine muskelentspannte Gebärmutter (Uterus) erfordern, z. B. drohendem Gebärmutterriss (Uterusruptur), Nabelschnurvorfall
  • manifesten ischämischen Herzerkrankungen wenn es als einziges Anästhetikum angewendet wird

Schwangerschaft

Die Anwendung von Esketamin wird während der Schwangerschaft nicht empfohlen. Es liegen nicht genügend Daten zur Anwendung bei schwangeren Frauen vor, um Rückschlüsse auf das mit dem Arzneimittel verbundene Risiko schwerwiegender Geburtsfehler, Fehlgeburten oder unerwünschter Ergebnisse bei Müttern oder Föten zu ziehen. Basierend auf veröffentlichten Ergebnissen von schwangeren Tieren, die mit Ketamin behandelt wurden, kann der Wirkstoff fetale Schäden verursachen.

Stillzeit

Esketamin geht in der Muttermilch über. Es liegen keine Daten zu den Auswirkungen von auf das gestillte Kind oder die Milchproduktion vor. Veröffentlichte Studien an Jungtieren berichten über aufgetretene Neurotoxizität. Aufgrund des Potenzials für eine Neurotoxizität sollten Patientinnen das Stillen während der Behandlung abbrechen.

Verkehrstüchtigkeit

Die Behandlung mit Esketamin kann das Reaktionsvermögen vermindern. Dies sollte vor allem bei Situationen bedacht werden, die besonderer Wachsamkeit bedürfen, wie z. B. die Teilnahme am Straßenverkehr. Nach einer Narkose mit Esketamin darf der Patient mindestens 24 Stunden nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen, eine Maschine bedienen oder ohne sicheren Halt arbeiten.
Der Patient sollte sich nur in Begleitung nach Hause begeben.

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
237.73 g·mol-1
Kindstoff(e):
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