Estetrol

Estetrol ist ein Estrogen, das in Kombination mit Drospirenon zur oralen Empfängnisverhütung angewendet wird. Das Hormon, welches auch als E4 bekannt ist, wird physiologisch während der Schwangerschaft in der Leber des Fetus gebildet und gelangt über die Plazenta in den mütterlichen Kreislauf.

Estetrol

Anwendung

Das Estrogen Estetrol ist in Kombination mit dem Gestagen Drospirenon zur oralen Kontrazeption indiziert. Das Kombinationspräparat Drovelis enthält 3 mg Drospirenon und 14,2 mg Estetrol. Drovelis ist seit August 2021 auf dem deutschen Markt.

Wirkmechanismus

Estetrol gehört zur Gruppe der weiblichen Sexualhormone. Im Vergleich zu anderen natürlichen Estrogenen wie Estron, Estradiol und Estriol hat Estetrol eine zusätzliche α-Hydroxylgruppe an Position 15 und weist so veränderte endokrine und metabolische Eigenschaften auf. Estetrol bindet mit geringer Affinität an Estrogenrezeptoren, wobei es mit einer etwa fünfmal höheren Affinität an ERα als an ERβ bindet. Darüber hinaus wirkt Estetrol gewebeselektiv.

Untersuchungen zufolge scheint der estrogene Effekt in Leber, Brust/Brustdrüse und vaskulärem Gewebe nur schwach, in Gehirn (Hypophyse und Hypothalamus), Uterus (Myometrium und Endometrium), Knochen und Vagina hingegen stark ausgeprägt zu sein.

Die kontrazeptive Wirkung des Kombinationspräparates Drovelis wird hauptsächlich durch die Hemmung des Eisprungs durch das Gestagen Drospirenon verursacht. Estetrol sorgt vor allem für die Stabilisierung des Menstruationszyklus, wodurch unerwünschte Blutungen verhindert werden sollen.

Estetrol wird nicht über das Cytochrom-P450-System metabolisiert und zeigt nur begrenzte Auswirkungen auf wichtige CYP-Enzyme. Daher könnte es im Vergleich zu anderen Estrogenen weniger Wechselwirkungen aufweisen. Ferner punktet Estetrol mit einer verlängerten Halbwertszeit und dementsprechend stabilen Hormonspiegeln mit langer Wirkdauer.

Estradiol

Pharmakokinetik

Resorption

  • Estetrol wird schnell aus dem Magen-Darm-Trakt resorbiert.
  • Die Cmax von Estetrol beträgt 18 ng/ml mit einer AUC von 36,4 ng•h/ml.
  • Bei gleichzeitiger Einnahme von Estetrol und Drospirenon werden maximale Serumkonzentrationen von etwa 48,7 ng/ml innerhalb von 1-3 Stunden erreicht.
  • Die Bioverfügbarkeit der Kombination liegt zwischen 76 und 85%.
  • Die Tmax kann zwischen 0,5 und 2 Stunden liegen.
  • Die Zeit bis zum Steady State beträgt ungefähr 4 Tage.

Verteilung

  • Es wurde eine begrenzte Verteilung von Estetrol in Erythrozyten nachgewiesen.
  • Estetrol ist zu 46-50% an Plasmaproteine ​​gebunden.
  • Estetrol bindet nicht an Sexualhormon-bindendes Globulin (SHBG).
  • In einer Studie zeigte Estetrol eine mäßige Bindung an menschliche Plasmaproteine ​​(45,5%–50,4%) und menschliches Serumalbumin (58,6%) mit einer geringen Bindung an menschliches Alpha-Glykoprotein (11,2%).

Metabolisierung

  • Estretol wird nach oraler Einnahme stark metabolisiert.
  • Phase-2-Metabolisierung von Östrogen bildet Glucuronid- und Sulfatkonjugate mit vernachlässigbarer in-vitro-Östrogenaktivität.
  • In-vitro-Stoffwechselstudien zeigen, dass UGT2B7 die Bildung von E4-16-Glucuronid katalysiert.

Elimination

  • Estrogene werden im Allgemeinen als sulfatierte und glucuronidierte Derivate ausgeschieden.
  • Ungefähr 69% einer Estetrol-Dosis werden mit dem Urin eliminiert und etwa 22% als unverändertes Arzneimittel mit den Fäzes ausgeschieden.
  • Die Eliminationshalbwertszeit von Estetrol beträgt ungefähr 27 Stunden.
  • Die Halbwertszeit kann zwischen 19 und 40 Stunden liegen.

Dosierung

Drovelis wird nach dem 24/4-Schema eingenommen. Das bedeutet, dass auf 24 Filmtabletten mit den Wirkstoffen (rosa) vier Tabletten ohne Wirkstoff (weiß) folgen. Die Einnahme startet am ersten Zyklustag und wird an 28 aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ungefähr zur gleichen Uhrzeit mit einer Tablette am Tag fortgeführt.

Nebenwirkungen

Die häufigsten berichteten Nebenwirkungen unter der Einnahme von Drovelis sind:

  • Metrorrhagie (4,3%)
  • Kopfschmerzen (3,2%)
  • Akne (3,2%)
  • vaginale Blutungen (2,7%)
  • Dysmenorrhoe (2,4%)

Wechselwirkungen

Arzneimittel, die mikrosomale Enzyme induzieren können die Clearance von Drovelis erhöhen – mit der Folge von Durchbruchblutungen und/oder einem Versagen der kontrazeptiven Kontrolle. Zu diesen Enzyminduktoren gehören Barbiturate, Bosentan, Carbamazepin, Phenytoin, Primidon, Rifampicin und HIV-Arzneimittel wie Ritonavir, Nevirapin und Efavirenz und möglicherweise auch Felbamat, Griseofulvin, Oxcarbazepin, Topiramat und Johanniskraut.

Bei gleichzeitiger Einnahme von kombinierten oralen Kontrazeptiva und etlichen Kombinationen von HIV-Proteaseinhibitoren und nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern (einschließlich Kombinationen mit HCV-Inhibitoren) können sich die Plasmakonzentrationen von Estrogenen und Gestagenen erhöhen oder verringern. Im Zweifelsfall sollten Frauen unter einer solchen Therapie zusätzlich eine Barrieremethode anwenden, um eine Schwangerschaft sicher zu verhindern.

Die gleichzeitige Gabe von starken CYP3A4-Inhibitoren kann die Plasmakonzentrationen von Estrogenen und/oder Gestagenen erhöhen.

Ferner können orale Kontrazeptiva den Metabolismus von anderen Wirkstoffen beeinflussen, wodurch die Plasma- und Gewebekonzentrationen entweder ansteigen (zum Beispiel bei Ciclosporin) oder abfallen (zum Beispiel bei Lamotrigin).

Die vollständigen Wechselwirkungen können der Fachinformation von Drovelis entnommen werden.

Kontraindikationen

Bei venösen oder arteriellen Thromboembolien (aktuell oder anamnestisch) sowie entsprechenden Risikofaktoren darf Drovelis nicht eingenommen werden. Weitere Kontraindikationen sind bestehende oder vorausgegangene schwere Leber- und Nierenfunktionsstörungen, Lebertumoren (benigne oder maligne), sexualhormonabhängige maligne Tumoren sowie nicht abgeklärte vaginale Blutungen.

Während einer Schwangerschaft gibt es für Drovelis keine Indikation. Falls Frauen unter der Einnahme schwanger werden, ist das Arzneimittel sofort abzusetzen. Die Anwendung während der Stillzeit wird nicht empfohlen.

Anwendungshinweise

Thromboserisiko unbekannt

Wie hoch das Risiko venöser Thromboembolien bei der Anwendung von Drovelis im Vergleich zu anderen kombinierten oralen Kontrazeptiva ist, kann derzeit nicht sicher beantwortet werden. Von den bisherigen kombinierten Antibabypillen weiß man, dass sie das Thromboserisiko bei Frauen – insbesondere nach dem 35. Lebensjahr sowie bei Adipositas und Nikotinabusus – erhöhen. Für Estetrol-haltige Präparate gibt es hierzu noch keine epidemiologischen Daten. Solange keine weiteren Untersuchungen oder Vergleichsstudien vorliegen, gelten für die Anwendung von Drovelis die gleichen Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen wie für Ethinylestradiol-haltige Verhütungspräparate.

Studienlage

Die europäische Zulassung von Drovelis basiert auf den Ergebnissen der multizentrischen, unverblindeten Phase-III-Studie E4 FREEDOM mit 1.553 gesunden, sexuell aktiven Frauen (BMI ≤ 35 kg/m2) zwischen 18 und 50 Jahren aus Europa und Russland. Zudem gibt es eine unterstützende Studie aus den USA und Kanada. Die Probandinnen nahmen die Antibabypille 13 Zyklen lang in einem 24/4-Einnahmeschema ein. Die Wirksamkeit wurde mittels Pearl-Index gemessen. Dieser bewertet die Effektivität einer Verhütungsmethode mittels der Zahl der Schwangerschaften, die auftreten, wenn 100 sexuell aktive Frauen ein Jahr lang mit einer Methode verhüten.

Der tatsächliche Pearl-Index in der FREEDOM-Studie lag nach einem Jahr bei 0,44. Damit beträgt die kontrazeptive Wirksamkeit von Drovelis nach zwölfmonatiger Anwendungsdauer 99,6 Prozent. Die Tabletten wurden allgemein gut vertragen und zeigten eine gute Zykluskontrolle. Im Untersuchungszeitraum gaben mehr als 93 Prozent der Frauen regelmäßige Blutungen an.

Alternativen

Natürliche und halbsynthetische Estrogene

Estrogene in vaginalen Zubereitungen

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
304.38 g·mol-1
Kindstoff(e):
Quelle:
  1. Europäische Arzneimittelagentur (EMA): Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels: Drovelis 3 mg/14,2 mg Filmtabletten. Gedeon Richter; abgerufen am 29.11.2022
  2. DrugBank Online, Estetrol, abgerufen am 29.11.2022
  3. Lee, Arnold, and Yahiya Y. Syed. "Estetrol/Drospirenone: A Review in Oral Contraception." Drugs (2022): 1-9.
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