Fenfluramin
Der Wirkstoff Fenfluramin ist ein Arzneimittel für seltene Leiden, das zur Reduktion der Anfallshäufigkeit beim Dravet-Syndrom, einer seltenen Epilepsieform, angewendet wird.
Fenfluramin: Übersicht

Anwendung
Fenfluramin ist ein Arzneistoff mit dem Status eines Arzneimittels für seltene Leiden. Der Wirkstoff ähnelt Amphetaminen und wirkt auf das serotonerge System im Gehirn. Die Anwendung kann ab einem Alter von zwei Jahren zur Behandlung von Krampfanfällen im Zusammenhang mit dem Dravet-Syndrom als Zusatztherapie zu anderen Antiepileptika erfolgen.
Beim Dravet-Syndrom handelt es sich um eine schwere, therapierefraktäre epileptische Enzephalopathie, die bereits im Kleinkindalter auftritt. Die seltene Erkrankung ist gekennzeichnet durch generalisierte tonisch-klonische Anfälle, die initial oft mit Fieber einhergehen. Die Patienten leiden häufig an geistigen Entwicklungsstörungen und haben ein erhöhtes Risiko für einen frühzeitigen unerwarteten Tod durch Epilepsie (SUDEP, sudden unexpected death in epilepsy).
Anwendungsart
Fenfluramin ist als Lösung zum Einnehmen im Handel. Die Behandlung sollte durch einen in der Therapie von Epilepsie erfahrenen Arzt eingeleitet und überwacht werden.
Wirkmechanismus
Der genaue Wirkmechanismus von Fenfluramin beim Dravet-Syndrom ist nicht bekannt. Der Wirkstoff setzt den Neurotransmitter Serotonin frei und stimuliert dadurch mehrere Serotonin-Rezeptor-Subtypen (5-HT-Rezeptoren). Durch den Agonismus an 5-HT1D, 5-HT2A und 5-HT2C sowie dem Sigma-1-Rezeptor im Gehirn kommt es zur Reduktion der Krampfanfälle.
Pharmakokinetik
Resorption
- Die absolute Bioverfügbarkeit von Fenfluramin beträgt nach der Einnahme etwa 75-83%. Es konnte kein Food-Effekt beobachtet werden.
- Die maximale Plasmakonzentration von Fenfluramin wird nach etwa drei Stunden, die des aktiven Metaboliten Norfenfluramin nach 12 Stunden erreicht. Dabei steigt die Konzentration von Fenfluramin dosisproportional, die von Norfenfluramin weniger als dosisproportional. Wird gleichzeitig das Antiepileptikum Stiripentol eingenommen, sind die Plasmakonzentrationen für Fenfluramin um etwa 2,8-fach erhöht, die für den Hauptmetaboliten um etwa das 1,6-fache erniedrigt.
- Der Steady State wird nach etwa vier Tagen für Fenfluramin und etwa fünf Tagen für Norfenfluramin erreicht.
Verteilung (Distribution)
- In vitro ist Fenfluramin unabhängig von der Konzentration zu etwa 50% an Plasmaeiweiße gebunden.
- Das mittlere Verteilungsvolumen beträgt ca. 11,9 L/kg.
Metabolismus (Biotransformation)
- Fenfluramin wird über verschiedene CYP-Enzyme (CYP1A2, CYP2B6, CYP2D6) zum ebenfalls pharmakologisch aktiven Metaboliten Norfenfluramin metabolisiert. Dieser wird anschließend zu inaktiven Metaboliten biotransformiert.
- In vitro konnte keine Interaktion von Fenfluramin und Norfenfluramin mit den folgenden Transportern festgestellt werden: P-Glykoprotein, BCRP, OATP1B1, OATP1B3, OATP1A2, OATP2B1, OCT1, OAT1, OAT3, OCT2, MATE1 und MATE2-K.
Elimination
- Fenfluramin wird mit einer Halbwertszeit von ca. 20 Stunden in metabolisierter Form zu über 90% renal ausgeschieden, zu weniger als 5% über die Fäzes.
- Die Clearance beträgt nach oraler Einnahme etwa 6,9 l/h. Norfenfluramin wird mit einer Halbwertszeit von etwa 30 Stunden eliminiert.
- Aufgrund des Metabolismus von Fenfluramin kann angenommen werden, dass eine starke Leberfunktionsstörung die Plasmakonzentrationen beeinflusst. Untersuchungen dazu wurden bisher nicht durchgeführt.
Dosierung
Fenfluramin wird nach Gewicht dosiert. Es wird zudem unterschieden zwischen Patienten die kein Stiripentol und solchen, die dieses Antiepileptikum zusätzlich einnehmen.
Patienten, die kein Stiripentol einnehmen
Die Anfangsdosis beträgt 0,1 mg/kg Fenfluramin zweimal täglich (entspricht 1,0 ml bei 25 kg). Nach einer Woche kann die Dosis auf 0,2 mg/kg täglich erhöht werden, wenn der Wirkstoff vertragen und eine weitere Dosiserhöhung benötigt wird. Nach weiteren sieben Tagen kann, wenn nötig die Anwendung auf maximal 0,35 mg/kg zweimal täglich als empfohlene Erhaltungsdosis gesteigert werden.
Wird eine schnelle Titration benötigt, kann die Dosis auch alle vier Tage erhöht werden.
Eine Tageshöchstdosis von 26 mg (6,0 ml zweimal täglich) sollte nicht überschritten werden.
Patienten, die Stiripentol einnehmen
Die Initialdosis entspricht der Dosierung für Patienten, die kein Stiripentol einnehmen. Die empfohlene Erhaltungsdosis kann nach sieben Tagen eingestellt werden und sollte maximal 0,2 mg/kg zweimal täglich betragen. Eine Gesamtdosis von 17 mg (4,0 ml zweimal täglich) sollte nicht überschritten werden.
Nebenwirkungen
Die folgenden Nebenwirkungen können bei der Therapie mit Fenfluramin sehr häufig (≥ 1/10) auftreten:
- Verminderter Appetit
- Diarrhoe, Obstipation, Erbrechen
- Fieber und Ermüdung
- Infektionen der oberen Atemwege, Bronchitis
- Lethargie, Somnolenz, Tremor
- Status epilepticus
- Sturz
- Verringerte Glucose im Blut
- Anormales Echokardiogramm (minimale Regurgitation)
- Verringertes Gewicht
Zudem kann es häufig (≥ 1/100 bis < 1/10) zu Ohrinfektionen sowie anormalem Verhalten und Reizbarkeit kommen.
Wechselwirkungen
Die folgenden Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Fenfluramin zu berücksichtigen:
- Serotonerge Arzneistoffe wie Antidepressiva, Triptane, Antipsychotika, MAO-Hemmer: erhöhtes Risiko für ein Serotonin-Syndrom
- Stiripentol: verstärkte Wirkung von Fenfluramin
- CYP1A2- und CYP2B6-Induktoren können die Plasmakonzentration von Fenfluramin verringern
- Fenfluramin scheint CYP2D6 zu hemmen sowie CYP2B6 und CYP3A4 zu induzieren
- Der Hauptmetabolit Norfenfluramin scheint MATE1 zu hemmen
Kontraindikationen
Die Einnahme von Fenfluramin ist in folgenden Fällen kontraindiziert:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der genannten sonstigen Bestandteile
- Aorten- oder Mitralklappenvitium
- Pulmonale arterielle Hypertonie
- Innerhalb von 14 Tagen nach der Anwendung von Monoaminooxidase-Hemmern (MAO-Hemmern)
Schwangerschaft
Bisher liegen nur geringe Erfahrungen zur Anwendung von Fenfluramin in der Schwangerschaft vor. Im Tierversuch konnten bisher keine Hinweise auf Reproduktionstoxizität festgestellt werden. Fenfluramin sollte aus Sicherheitsgründen in der Schwangerschaft nicht angewendet werden.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Fenfluramin oder seine Metaboliten in die menschliche Muttermilch übergehen, allerdings wurde der Übergang in die Muttermilch im Tierversuch beobachtet. Da ein Risiko für das Kind nicht auszuschließen ist, sollte Fenfluramin in der Stillzeit nur unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden. Eine Stillpause wird dabei empfohlen.
Verkehrstüchtigkeit
Die Anwendung von Fenfluramin kann die Verkehrstüchtigkeit sowie die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen mäßig beeinflussen, da Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Somnolenz auftreten können. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, entsprechende Tätigkeiten erst wieder auszuführen, wenn sie genug Erfahrung mit Fenfluramin haben und einschätzen können, ob es ihre Fähigkeiten negativ beeinflusst.
Hinweise
- Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sowie der Gefahr des nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs zur Gewichtskontrolle adipöser Patienten, wurde ein Programm für den kontrollierten Zugang zu Fenfluramin eingerichtet. Ärzte müssen vor Therapiebeginn eine Verschreiber-Identifikationsnummer (Verschreiber-ID) anfordern, die auf dem Rezept vermerkt und in der Apotheke kontrolliert werden muss.
- Weiterhin soll bei den Patienten vor der Behandlung eine Echokardiographie durchgeführt werden, um eine bestehende Herzklappenerkrankung oder pulmonale arterielle Hypertonie auszuschließen.
- Das Absetzten der Behandlung sollte ausschleichend erfolgen, um das Risiko für vermehrte Krampfanfälle und eines Status epilepticus zu vermeiden.
- Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.
Alternativen
Zur Therapie des Dravet-Syndroms werden als Mittel der ersten Wahl Valproat und/ oder Benzodiazepine wie Clobazam angewendet. Können die epileptischen Krampfanfälle mit diesen Arzneimitteln nicht ausreichend unter Kontrolle gebracht werden, steht zusätzlich insbesondere Stiripentol zur Verfügung, alternativ auch Topiramat sowie eine ketogene Diät. Levetiracetam, Bromide sowie eine Nervus vagus Stimulation sind weitere Therapieoptionen.
- Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
- Zogenix GmbH: Fachinformation Fintepla
- Chiron (2011): Current therapeutic procedures in Dravet syndrome, DOI: 10.1111/j.1469-8749.2011.03967.x