Fluvoxamin
Der Wirkstoff Fluvoxamin ist ein Antidepressivum aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und wird angewendet zur Therapie depressiver Erkrankungen und Zwangsstörungen.
Fluvoxamin: Übersicht

Anwendung
Das Antidepressivum Fluvoxamin zählt zur Gruppe der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und hat neben der antidepressiven Wirkung auch anxiolytische und antriebssteigernde Effekte. Fluvoxamin wird daher bei folgenden Indikationen angewendet:
- Depressive Erkrankungen (Episoden einer Major-Depression)
- Zwangsstörungen („obsessive compulsive disorder“, OCD)
Anwendungsart
Fluvoxamin steht in Form von Tabletten zum Einnehmen zur Verfügung. Es wird das pharmakologisch aktivere E-Isomer als Fluvoxaminmaleat eingesetzt.
Wirkmechanismus
Die Ursachen einer Depression sind multifaktoriell und nicht vollständig bekannt. Die Monoaminmangel-Hypothese, auf deren Basis Antidepressiva entwickelt werden, geht von einem Mangel an Neurotransmittern in bestimmten Hirnregionen, insbesondere von Serotonin und Noradrenalin aus. Aufgrund der zu geringen Neurotransmitter-Konzentrationen ist demnach die Übertragung zwischen den Neuronen gestört.
Fluvoxamin hemmt selektiv den Serotonin-Transporter (SERT), der den Neurotransmitter aus dem synaptischen Spalt in das präsynaptische Neuron zurücktransportiert. Auf diese Weise wird die Interaktion von Serotonin mit entsprechenden Rezeptoren an der postsynaptischen Membran erhöht und die Wirkung verlängert. Fluvoxamin hat eine aktivierende Wirkung und keine sedierenden Effekte.
Die Anwendung von Antidepressiva wie Fluvoxamin geht mit einer Wirklatenz von zwei bis vier Wochen einher. Diese kann darauf zurückgeführt werden, dass bei depressiven Erkrankungen aufgrund des gestörten Neurotransmittergleichgewichts eine Rezeptor-Down-Regulation sowie adaptive Veränderungen verschiedener Signaltransduktionsmechanismen bestehen, die sich nur allmählich wieder zurückbilden.
Pharmakokinetik
Resorption
Fluvoxamin wird vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, die Bioverfügbarkeit liegt aufgrund des ausgeprägten First-Pass-Effektes bei 53%. Maximale Plasmakonzentrationen werden innerhalb von drei bis acht Stunden erreicht, der Steady State innerhalb von 10 bis 14 Tagen. Bei Kindern zwischen 6 und 11 Jahren wurde eine doppelt so hohe Plasmakonzentration im Steady State beobachtet, wie bei Jugendlichen und Erwachsenen.
Verteilung
Die Plasmaproteinbindung von Fluvoxamin beträgt etwa 80%. Das Verteilungsvolumen liegt bei 25 L/kg.
Metabolismus
Fluvoxamin wird in der Leber fast vollständig, vor allem durch oxidative Demethylierung biotransformiert. Die beiden Hauptmetaboliten haben eine vernachlässigbare pharmakologische Aktivität. Der Wirkstoff ist ein Substrat der Cytochrom-P-450-Enzyme CYP1A2, CYP2C19, CYP2D6. Fluvoxamin ist weiterhin ein starker Inhibitor von CYP1A2, CYP2C19 und hemmt mäßig stark die Isoenzyme CYP2C9, CYP2D6, CYP3A4. Es erfolgt also eine Autoinhibition des Abbaus.
Elimination
Die Ausscheidung von Fluvoxamin erfolgt in Form inaktiver Metabolite über die Nieren. Die Halbwertszeit beträgt nach Einzelgabe 13 bis 15 Stunden und erhöht sich nach wiederholter Gabe auf 17 bis 22 Stunden.
Dosierung
Fluvoxamin-Tabletten werden unzerkaut mit Wasser geschluckt. Eine tägliche Einzeldosis wird bevorzugt abends eingenommen. Die Dosierung und Anwendungsdauer sind abhängig vom Indikationsgebiet.
Depressionen
Die Anwendung von Fluvoxamin zur Behandlung von Depressionen kann ab einem Alter von 18 Jahren erfolgen. Die Initialdosis liegt bei 50 bis 100 mg einmal täglich. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 100 mg Fluvoxamin. Innerhalb der ersten drei bis vier Behandlungswochen kann, wenn nötig, eine schrittweise Dosisanpassung auf maximal 300 mg Fluvoxamin pro Tag erfolgen. Tagesdosen bis 150 mg können als Einzeldosis eingenommen werden, alle Dosierungen darüber sollten auf zwei bis drei Einzelgaben verteilt werden. Die Dauer der Behandlung sollte über mindestens sechs Monate erfolgen, um die Symptomfreiheit der Patienten sicherzustellen.
Zwangsstörungen
Die Behandlung von Zwangsstörungen mit Fluvoxamin kann ab einem Alter von acht Jahren begonnen werden. Kinder und Jugendliche erhalten initial 25 mg Fluvoxamin täglich. Falls nötig kann alle vier bis sieben Tage eine Dosiserhöhung in 25 mg Schritten erfolgen. Die maximale Tagesdosis von 200 mg sollte dabei nicht überschritten werden. Ab einer Dosis über 50 mg sollte die Einnahme auf mehrere Einzelgaben aufgeteilt werden. Die höhere Dosis sollte dabei abends vor dem Schlafengehen gegeben werden.
Erwachsene beginnen die Behandlung mit einer Dosis von 50 mg. Entsprechend der Dosierungen bei Depressionen kann eine schrittweise Dosisanpassung auf bis zu 300 mg täglich erfolgen, ab mehr als 150 mg pro Tag ist die Einnahme auf mehrere Einzeldosen zu verteilen.
Die Behandlungsdauer kann bei Ansprechen auf die Therapie über 10 Wochen erfolgen. Eine Langzeitwirksamkeit von Fluvoxamin bei Zwangsstörungen ist über 24 Wochen hinaus nicht nachgewiesen.
Beim Absetzen sollte eine schrittweise Dosisreduktion über eine bis zwei Wochen erfolgen, um Absetzsymptome zu vermeiden.
Bei Patienten mit eingeschränkter Leber- und Nierenfunktion sollte die Behandlung mit der niedrigsten Dosis begonnen werden. Diese Patienten sind sorgfältig zu beobachten.
Eine Dosissteigerung sollte bei älteren Patienten nur sehr langsam und mit größter Vorsicht erfolgen.
Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Fluvoxamin sind vor allem auf die verstärkte Verfügbarkeit von Serotonin zurückzuführen. Folgende unerwünschte Wirkungen treten bei der Therapie häufig (≥ 1/100 bis < 1/10) auf:
- Anorexie
- Agitiertheit, Nervosität, Ängstlichkeit, Schlaflosigkeit, Somnolenz, Tremor, Kopfschmerzen, Schwindel
- Palpitationen, Tachykardie
- Abdominalschmerzen, Obstipation, Diarrhoe, Mundtrockenheit, Dyspepsie, Übelkeit, Erbrechen
- Hyperhidrose, Schwitzen
- Asthenie, Malaise
Die häufigste Nebenwirkung ist Übelkeit, diese nimmt jedoch innerhalb der ersten zwei Behandlungswochen deutlich ab.
Eine typische Nebenwirkung für Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die unter Therapie mit Fluvoxamin gelegentlich auftritt ist eine verzögerte Ejakulation.
Bei Beendigung der Therapie mit Fluvoxamin kommt es in Abhängigkeit von Behandlungsdauer, Dosierung und Geschwindigkeit der Dosisreduktion häufig zu Absetzerscheinungen. Dazu zählen
- Schwindel, Kopfschmerzen,
- Empfindungsstörungen (Parästhesien, Sehstörungen, Elektroschockempfindung),
- Schlafstörungen, Agitation
- Reizbarkeit, Verwirrtheit, Ängstlichkeit, emotionale Unausgewogenheit
- Übelkeit, Erbrechen, Durchfall
- Schwitzen, Herzklopfen, Tremor
Diese Nebenwirkungen sind meist leicht bis mäßig stark ausgeprägt und treten insbesondere innerhalb der ersten Tage auf. Sie Klingen meist innerhalb von 2 Wochen wieder ab. Um sie weitestgehend zu vermeiden sollte das Absetzten der Fluvoxamin-Therapie ausschleichend, je nach Patienten über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder Monaten erfolgen.
Wechselwirkungen
Die folgenden Wechselwirkungen sollten bei der Behandlung mit Fluvoxamin berücksichtigt werden:
- Andere serotononerge Arzneimittel einschließlich Tramadol, Triptane, Linezolid, SSRI, Johanniskraut-Präparate, Lithium: erhöhtes Risiko für das Serotonin-Syndrom
- Orale Antikoagulantien, NSAID: erhöhtes Blutungsrisiko
- Alkohol: verstärkte zentralnervöse Nebenwirkungen
Fluvoxamin ist ein starker Hemmer von CYP1A2 und CYP2C19. Daraus ergeben sich zahlreiche Wechselwirkungen mit Substraten dieser Isoenzyme, insbesondere bei solchen mit enger therapeutischer Breite. Die Enzymhemmung führt entweder zu einem verminderten Abbau der Wirkstoffe und dadurch erhöhten Plasmaspiegeln oder bei Prodrugs, die über das CYP-System aktiviert werden, zu einer verminderten Wirksamkeit. Besondere Vorsicht ist daher geboten bei der Kombination von Fluvoxamin mit:
- Clopidogrel
- Warfarin
- Propranolol
- Mexiletin
- Theophyllin
- Methadon
- Ciclosporin
- Ropinirol
- Tacrin
- Phenytoin
- Carbamazepin
- Trizyklischen Antidepressiva und Neuroleptika
- Benzodiazepinen wie Triazolam, Midazolam, Alprazolam und Diazepam
Kontraindikationen
Bei der Behandlung mit Fluvoxamin sollten folgende Kontraindikationen beachtet werden:
- Überempfindlichkeit gegen Fluvoxamin
-
Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer) einschließlich dem Antibiotikum Linezolid
o Irreversible MAO-Hemmer: Fluvoxamin-Behandlung frühestens zwei Wochen nach Absetzen eines irreversiblen MAO-Hemmers
o Reversible MAO-Hemmer: Fluvoxamin-Behandlung frühestens einen Tag nach Absetzen eines reversiblen MAO-Hemmers
o Fluvoxamin: MAO-Hemmer-Behandlung frühestens eine Woche nach Beendigung der Therapie mit Fluvoxamin - Agomelatin, Duloxetin, Tizanidin
- Terfenadin, Astemizol, Cisaprid: erhöhtes Risiko für eine QT-Zeit-Verlängerung
- Instabile Epilepsie
Schwangerschaft
Daten aus epidemiologischen Studien geben Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für primäre pulmonale Hypertonie bei Neugeborenen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft mit Fluvoxamin behandelt wurde. Tierstudien zeigten eine erhöhte Embryotoxizität, die Relevanz für den Menschen ist dabei allerdings nicht bekannt. Insbesondere bei der Einnahme von Fluovxamin im dritten Trimenon können beim Neugeborenen Entzugssymptome oder Effekte einer serotonergen Toxizität auftreten. Dazu zählen Schwierigkeiten beim Trinken und Atmen, Krampfanfälle, Hypoglykämie, anomaler Muskeltonus, Zyanose, Lethargie, Erbrechen und Schlafstörungen. Diese Effekte erfordern einen längeren Krankenhausaufenthalt, sind aber meist selbstlimitierend und dauern maximal einen Monat an.
Die Einnahme von Fluvoxamin in der Schwangerschaft sollte daher nur erfolgen, wenn es der Gesundheitszustand der Mutter erfordert. Wenn möglich sollte die Dosis reduziert werden. Die Geburt sollte unter strenger Beobachtung der Mutter und auch des Neugeborenen erfolgen.
Stillzeit
Fluvoxamin geht in die Muttermilch über. Der Wirkstoff sollte daher in der Stillzeit nicht angewendet werden.
Verkehrstüchtigkeit
Bei der Behandlung mit Fluvoxamin in Dosierungen bis 150 mg konnten keine erheblichen Auswirkungen auf die Verkehrsfähigkeit festgestellt werden. Allerdings sollte die individuelle Reaktion des Patienten berücksichtigt werden, da es zu beeinträchtigenden Nebenwirkungen wie Somnolenz kommen kann.
Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.
Anwendungshinweise
Aufgrund der antriebssteigernden Wirkung von Fluvoxamin sowie der Wirklatenz der antidepressiven Effekte ist gerade in den ersten Behandlungswochen das Suizidrisiko erhöht. Die Patienten sollten daher besonders in diesem Zeitraum engmaschig überwacht werden.
Die Beendigung der Therapie mit Fluvoxamin sollte über mehrere Wochen oder Monate ausschleichend erfolgen, um Absetzsymptome zu vermeiden.
Tritt während der Therapie eine manische Phase auf, sollte Fluvoxamin abgesetzt werden.
Fluvoxamin kann unter Umständen den Blutzuckerhaushalt beeinflussen. Daher kann bei Diabetikern gegebenenfalls eine Dosisanpassung der Antidiabetika notwendig werden.
Alternativen
Neben Fluvoxamin zählen die folgenden Wirkstoffe zur Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer:
Das Wirkspektrum ist sehr ähnlich, die Substanzen wirken eher aktivierend und nicht sedierend, unterscheiden sich jedoch zum Teil stark in ihrer Pharmakokinetik. Alle Wirkstoffe werden zur Behandlung von depressiven Erkrankungen angewendet, zur Therapie von Zwangsstörungen wird neben Fluvoxamin auch Fluoxetin eingesetzt. Zudem stehen Antidepressiva aus anderen Wirkstoffgruppen als Alternativen zur Verfügung.
Wirkstoff-Informationen
- Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
- Steinhilber, Schubert-Zsilavecz, Roth (2010) Medizinische Chemie, 2. Auflage, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart
- Mylan Healthcare GmbH. Fachinformation: Fevarin® 50 mg Filmtabletten (01/2020)
- Neuraxpharm Arzneimittel GmbH. Fachinformation: Fluvoxamin-neuraxpharm® 50 mg Filmtbl. (08/2013)