Interferon alfa-2b
Interferon alfa-2b ist ein rekombinantes Interferon, das aufgrund seiner immunstimulierenden und proliferationshemmenden Effekte zur Behandlung von Tumorerkrankungen und Virusinfektionen sowie Polycythaemia vera eingesetzt wird.
Interferon alfa-2b: Übersicht
Anwendung
Interferon alfa-2b ist indiziert zur Behandlung von:
Tumorerkrankungen
- Haarzellenleukämie
-
Chronisch myeloische Leukämie (CML):
o Monotherapie: Erwachsene Patienten mit Philadelphia-Chromosom- oder bcr/abl-translokations-positiver CML
o Kombinationstherapie: Kombination mit Cytarabin (Ara-C) während der ersten 12 Behandlungsmonate - Multiples Myelom: Als Erhaltungstherapie bei Patienten, die nach einer initialen Induktions-Chemotherapie eine objektive Remission erreichten (mehr als 50 %ige Reduktion des Myelomproteins)
- Follikuläre Lymphome: Therapie follikulärer Lymphome mit großer Tumormasse zusätzlich zu geeigneter Kombinations-Chemotherapie zur Induktion wie CHOP-ähnliche Behandlungsschemata
- Karzinoid: Behandlung von Karzinoiden mit Lymphknoten- oder Lebermetastasen und ”Karzinoidsyndrom”
- Malignes Melanom: Adjuvante Therapie bei Patienten, die nach einem chirurgischen Eingriff tumorfrei, aber in hohem Maß rezidivgefährdet sind, z.B. Patienten mit primärem oder rezidivierendem (klinischem oder pathologischem) Befall der Lymphknoten
Virusinfektionen
- Chronische Hepatitis B: Erwachsene Patienten mit chronischer Hepatitis B, die im Serum Marker für eine Hepatitis-B-Virus-Replikation (Vorhandensein von Hepatitis -B-Virus-DNA (HBV-DNA) und Hepatitis-B-Antigen (HBeAg)), erhöhte Alanin-Aminotransferase-Werte (ALT (GPT)-Werte) und eine histologisch nachgewiesene aktive Leberentzündung und/oder Fibrose aufweisen
-
Chronische Hepatitis C:
o Erwachsene: Erwachsene Patienten mit chronischer Hepatitis C, die erhöhte Transaminasewerte ohne Leberdekompensation haben und die Hepatitis-C-Virus-RNA (HCV-RNA)-positiv sind (bei dieser Indikation ist eine Kombination mit Ribavirin sinnvoll)
o Kinder im Alter ab 3 Jahren und Jugendliche: In Kombination mit Ribavirin zur Behandlung von Kindern im Alter von 3 Jahren und älter und Jugendlichen mit chronischer Hepatitis-C-Infektion, die nicht vorbehandelt sind, keine Leberdekompensation zeigen und die HCV -RNA-positiv sind (bei der Entscheidung, eine Therapie nicht bis zum Erwachsenenalter zu verschieben, ist unbedingt zu berücksichtigen, dass die Kombinationstherapie eine Hemmung des Wachstums induziert, die bei einigen Patienten zu einer reduzierten endgültigen Körpergröße im Erwachsenenalter führte)
Polycythaemia vera (Ropeginterferon alfa-2b)
- Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einer Polycythaemia vera ohne symptomatische Splenomegalie
Wirkmechanismus
Interferon alfa-2b ist ein mittels rekombinanter DNA-Technologie hergestelltes Immunstimulanz, das seine Wirkung analog zur Wirkungsweise der endogenen Typ I Interferone vermittelt. Die immunmodulierenden Effekte von Typ I Interferonen erfolgen ligandenabhängig über den JAK-STAT-Signalweg, der die Genexpression zugunsten antiviraler und antitumoraler Gene reguliert. Infolgedessen können virusinfizierte Zellen eliminiert und die Proliferationsraten unreifer Vorläuferzellen sowie Tumorzellen reduziert werden. Zusätzlich wird die Aktivität wichtiger Immunzellen und die Präsentation von Antigenen als elementare Schnittstelle zum Immunsystem gesteigert. Der Mechanismus der antitumoralen Wirkung ist nicht vollständig erforscht.
Interferon alfa zeigt darüber hinaus eine inhibitorische Wirkung auf die Proliferation von hämatopoetischen Zellen und Fibroblasten-Vorläuferzellen im Knochenmark. Außerdem hemmt das Interferon die Effekte von Wachstumsfaktoren und Zytokinen, die in der Pathogenese der Myelofibrose eine wichtige Rolle einnehmen, was wiederum zur therapeutischen Wirkung von Interferon alfa bei Polycythaemia vera beitragen könnte.
Kontraindikationen
Folgende Kontraindiationen sind vor der Anwendung von Interferon alfa-2b zu beachten:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- Anamnestisch vorbestehende schwere Herzerkrankungen, wie z. B. Herzinsuffizienz, vor kurzem erlittener Herzinfarkt, schwere Herzrhythmusstörungen
- Schwere Funktionsstörungen der Leber oder Nieren, auch wenn sie durch Metastasen verursacht werden
- Epilepsie und/oder andere Beeinträchtigungen des zentralen Nervensystems (ZNS)
- Chronische Hepatitis mit dekompensierter Leberzirrhose
- Chronische Hepatitis bei Patienten mit gleichzeitiger oder kurz zuvor beendeter immunsuppressiver Behandlung. Nicht kontraindiziert ist eine kurzzeitige Steroidvorbehandlung
- Autoimmunhepatitis oder Autoimmunerkrankung in der Vorgeschichte; immunsupprimierte Transplantatempfänger
- Vorbestehende Schilddrüsenerkrankung, sofern sie sich nicht durch herkömmliche Therapiemaßnahmen beherrschen lässt
- Kombination mit Telbivudin
Kinder und Jugendliche
- Bestehende oder aus der Vorgeschichte bekannte schwere psychiatrische Störungen
- schwere Depression
- Suizidgedanken oder Suizidversuche
Alternativen
Die Therapiealternativen richten sich nach dem jeweiligen Indikationsgebiet und sind darüber hinaus abhängig von patientenindividuellen Faktoren wie dem Alter der Patienten, Komorbiditäten oder dem Schweregrad der Erkrankung.
Zusätzlich sollte das tumorspezifische Mutationsprofil berücksichtigt werden.
Follikuläres Non-Hodgkin-Lymphom
- Strahlentherapie
- Stammzelltransplantantion
- Anti-CD20-Antikörper wie Rituximab und Obinutuzumab
- Chemotherapie (Bendamustin, Cyclophosphamid-Doxorubicin-Vincristin-Prednison, Anthrazykline)
Haarzell-Leukämie
- Chemotherapie (Cladribin, Pentostatin, Bendamustin)
- BRAF-Inhibitoren wie Vemurafenib
- Anti-CD20-Antikörper wie Rituximab
- BTK-Inhibitoren wie Ibrutinib
Malignes Melanom
- Tumorresektion
- Strahlentherapie
- Chemotherapie: Carboplatin-Paclitaxel, Gemcitabin-Treosulfan, Dacarbazin-Vindesin-Cisplatin
- Checkpoint-Inhibitoren wie Anti-PD-1-Antikörper (z.B. Nivolumab) und Anti-CTLA-4-Antikörper (z.B. Ipilimumab)
- BRAF-Inhibitoren wie Vemurafenib in Kombination mit MEK-Inhibitoren wie Cobimetinib
- Elektrochemotherapie mit Bleomycin
- Onkolytische Viren (T-VEC)
- Kinaseinhibitoren für entsprechende Mutationen (z.B. c-KIT)
- Immuntherapie(n) im Rahmen klinischer Studien
Multiples Myelom
- Proteasom-Inhibitoren wie Bortezomib oder Karfilzomib
- Zytostatika wie Cyclophosphamid oder Melphalan
- Immunmodulatoren wie Thalidomid oder Lenalidomid
- Anti-SLAMF-7-Antikörper wie Elotuzumab
- Anti-CD38-Antikörper wie Daratumumab oder Isatuximab
- SINE wie Selinexor
Polycythaemia vera
- Aderlass
- ASS (100 mg)
- Hydroxyurea
- Ruxolitinib
- Busulfan
Weitere Informationen können der jeweiligen Fachinformation entnommen werden.
Wirkstoff-Informationen
- EMA: Fachinformation IntronA
- EMA: Fachinformation Besremi
- Freissmuth et al., Pharmakologie und Toxikologie, 2020, Springer
- Mutschler et al., Mutschler Arzneimittelwirkungen, 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
- Use of Interferon Alfa in the Treatment of Myeloproliferative Neoplasms: Perspectives and Review of Literature, How, J.; Hobbs, G., cancers (2020)
- Interferons, J.N. Kline, K. Kitagaki, in Encyclopedia of Respiratory Medicine (2006)
- AWMF: S3-Leitline zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Melanoms (2020)
- AWMF: S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patienten mit monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) oder Multiplen Myelom
- AWMF: S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patienten mit einem follikulären Lymphom (2020)
- Onkopedia: Leitlinie Polycythaemia Vera (2021)