Lumasiran
Bei dem Wirkstoff Lumasiran handelt es sich um eine sogenannte doppelsträngige small interfering RNA (siRNA), die zur behandlung der primären Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) zugelassen ist. PH1 ist eine seltene Erkrankung, bei der es durch Überproduktion von Oxalat zur vermehrten Urinausscheidung von Oxalsäure und so zur Schädigung der Nieren durch Urolithiasis und/oder Nephrokalzinose kommt.
Lumasiran: Übersicht
Anwendung
Lumasiran (Oxlumo) ist indiziert zur Behandlung der primären Hyperoxalurie Typ 1 (PH1) in allen Altersgruppen.
Primäre Hyperoxalurie
Bei der primären Hyperoxalurie werden die zwei Subtypen PH 1 und PH 2 unterschieden. PH2 ist durch eine Defizienz des Enzyms Glyoxylat-Reduktase (GR) gekennzeichnet und seltener sowie weniger schwerwiegend als PH1. Die Erkrankung wird vor allem bei Kindern diagnostiziert, tritt aber auch im Erwachsenenalter auf und führt unbehandelt zur Niereninsuffizienz.
PH 1 ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung mit einer populationsabhängigen Inzidenz von 1:100.000 bis 1:250.000, bei der ein Defekt des peroxisomalen Leberenzyms Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase (AGT) vorliegt. Dieses metabolisiert Glyoxylat zu Glycin. Beim Fehlen von AGT wird Glyoxylat in Oxalat umgewandelt, das sich als unlösliches Calciumsalz in der Niere und anderen Organen ablagert.
Mit fortschreitender Niereninsuffizienz kommt es zur prognostisch sehr ungünstigen Auskristallisation von Calciumoxalat im gesamten Organismus (Oxalose).
Anwendungsart
Lumasiran wird als subkutane Injektion appliziert.
Wirkmechanismus
Lumasiran ist eine doppelsträngige small interfering RNA (siRNA), die mittels RNA-Interferenz auf die mRNA des (für Glykolat-Oxidase kodierenden) Gens Hydroxysäureoxidase 1 (HAO1) abzielt. Hierdurch wird der Glykolat-Oxidase (GO)-Enzymspiegel gesenkt, wodurch die Menge an verfügbarem Glyoxylat, einem Substrat für die Bildung von Oxalat, reduziert wird. Folge ist die Senkung der erhöhten Oxalatspiegel in Urin und Plasma.
Da das GO-Enzym dem defizitären, PH1 verursachenden Alanin-Glyoxylat-Aminotransferase (AGT)-Enzym vorgeschaltet ist, ist der Wirkmechanismus von Lumasiran unabhängig von der zugrundeliegenden AGXT-Genmutation.
Pharmakokinetik
Absorption
Nach subkutaner Gabe wird Lumasiran rasch absorbiert. Die mediane Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (tmax) beträgt 4,0 Stunden (Bereich: 0,5 bis 12,0 Stunden).
- Bei Kindern und Erwachsenen mit PH1 und einem Gewicht ≥ 20 kg lagen die maximale Lumasiran-Konzentration im Plasma (Cmax) und die AUC0-Endwert nach einer empfohlenen Lumasiran-Dosis von 3 mg/kg bei jeweils 529 (205-1.130) ng/ml bzw. 7.400 (2.890-10.700) ng·h/ml.
- Bei Kindern unter 20 kg lagen die Cmax und AUC0-Endwert nach der empfohlenen Lumasiran-Dosis von 6 mg/kg bei jeweils 912 (523–1.760) bzw. 7.960 (5.920–13.300).
Die Lumasiran-Konzentrationen waren bis zu 24 bis 48 Stunden nach Verabreichung messbar.
Verteilung
Lumasiran weist in Plasmaproben gesunder Erwachsener in klinisch relevanten Konzentrationen eine mittelstarke bis starke Proteinbindung (77-85%) auf. Bei einem erwachsenen Patienten mit PH1 beträgt die Populationsschätzung für das scheinbare zentrale Verteilungsvolumen (Vd/F) für Lumasiran 4,9 Liter.
Nach subkutaner Applikation wird Lumasiran primär in die Leber verteilt.
Biotransformation
- Die Metabolisierung von Lumasiran erfolgt durch Endo- und Exonukleasen zu kürzeren Oligonukleotiden.
- In-vitro-Studien zeigen, dass Lumasiran nicht über CYP450-Enzyme metabolisiert wird.
Elimination
- Lumasiran wird primär über die Leber aus dem Plasma eliminiert.
- Gemäß gepoolten Daten von gesunden erwachsenen Personen und PH1-Patienten im Alter über 6 Jahren werden nur 7-26% der verabreichten Dosis als Lumasiran im Urin wiedergefunden.
- Die mittlere (%CV) terminale Plasmahalbwertszeit von Lumasiran beträgt 5,2 (47,0%) Stunden.
- Die Populationsschätzung für die apparente Plasma-Clearance betrug für einen typischen Erwachsenen mit 70 kg Körpergewicht 26,5 l/h.
- Bei pädiatrischen und erwachsenen PH1-Patienten zeigte Lumasiran eine unbedeutende mittlere renale Clearance zwischen 2,0 und 3,4 l/h.
Linearität/Nicht-Linearität
- Nach einmaliger subkutaner Applikation von Dosen zwischen 0,3 und 6 mg/kg und Mehrfachdosen von 1 und 3 mg/kg einmal monatlich oder 3 mg/kg vierteljährlich zeigte sich für Lumasiran eine lineare bis leicht nichtlineare, zeitunabhängige Pharmakokinetik im Plasma.
- Nach wiederholter einmal monatlicher oder vierteljährlicher Verabreichung kam es zu keiner Akkumulation von Lumasiran im Plasma.
Pharmakokinetische/pharmakodynamische Zusammenhänge
Die Plasmakonzentrationen von Lumasiran spiegeln das Ausmaß oder die Dauer der pharmakodynamischen Aktivität von Lumasiran nicht wider. Die rasche und gezielte Aufnahme von Lumasiran in der Leber führt zu einer schnellen Reduktion der Plasmakonzentration. In der Leber hat Lumasiran eine lange Halbwertszeit, wodurch die pharmakodynamische Wirkung über das monatliche oder vierteljährliche Dosierungsintervall aufrechterhalten werden kann.
Dosierung
- Die empfohlene Dosis richtet sich nach dem Körpergewicht und besteht aus Initialdosen einmal monatlich über drei Monate, gefolgt von Erhaltungsdosen.
- Die gewichtsbasierte Dosierung kann der Fachinformation entnommen werden.
Nebenwirkungen
Die am häufigsten gemeldeten Nebenwirkungen in klinischen Studien waren:
- Reaktionen an der Injektionsstelle (32%)
- Abdominalschmerz (7,7%)
Wechselwirkungen
Es wurden keine klinischen Studien zur Erfassung von Wechselwirkungen durchgeführt. Lumasiran wird durch Endo- und Exonukleasen zu kürzeren Oligonukleotiden metabolisiert. In-vitro-Studien zeigen, dass Lumasiran nicht über CYP450-Enzyme metabolisiert wird.
Kontraindikation
Lumasiran darf nicht angewendet werden bei schwerer Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels.
Schwangerschaft/Stillzeit
Schwangerschaft
Bisher liegen keine Erfahrungen mit der Anwendung von Lumasiran bei Schwangeren vor. Tierexperimentelle Studien ergaben keine Hinweise auf direkte oder indirekte gesundheitsschädliche Wirkungen in Bezug auf die Reproduktionstoxizität. Wird eine Anwendung während der Schwangerschaft in Betracht gezogen, sollte der erwartete Nutzen für die Gesundheit der Frau gegenüber dem potenziellen Risiko für das Ungeborene abgewogen werden.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Lumasiran in die Muttermilch übergeht. Ein Risiko für das Neugeborene/Kind kann nicht ausgeschlossen werden. Es muss eine Entscheidung getroffen werden, ob abgestillt oder die Behandlung unterbrochen bzw. auf eine Behandlung verzichtet werden sollte. Dabei ist der Nutzen des Stillens für das Kind gegenüber dem Nutzen der Behandlung für die Frau abzuwäge
Verkehrstüchtigkeit
Lumasiran hat keinen oder einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen.
Studienlage
Die Zulassung von Oxlumo basiert auf den Daten der klinischen Phase-III-Studien ILLUMINATE-A (NCT03681184) und ILLUMINATE-B (NCT03905694).
ILLUMINATE-A
Bei ILLUMINATE-A handelt es sich um eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte, klinische Phase-III-Studie.
Insgesamt wurden 39 Patienten mit PH1 im Verhältnis 2:1 randomisiert und erhielten während der 6-monatigen Studienphase subkutan Lumasiran oder Placebo. 26 Patienten bekamen Lumasiran und 13 Placebo. Eingeschlossen wurden Patienten ab 6 Jahren mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) von ≥ 30 ml/min/1,73 m². Ziel der Studie war die Bestimmung der Wirksamkeit und Sicherheit von Lumasiran bei Kindern und Erwachsenen mit primärer Hyperoxalurie Typ 1 (PH1). Das mittlere Alter der Patienten bei der ersten Dosis betrug 14,9 Jahre (Bereich von 6,1 bis 61,0 Jahre).
Primärer Endpunkt war die prozentuale Verringerung der nach Körperoberfläche korrigierten Oxalatausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin gegenüber dem Ausgangswert, gemittelt über die Monate 3–6.
Ergebnisse:
Lumasiran war mit einer statistisch signifikanten Verringerung des nach Körperoberfläche korrigierten Oxalats im 24-Stunden-Sammelurin von 65,4% gegenüber 11,8% in der Placebogruppe assoziiert, was einer Differenz von 53,5% (95-%-KI: 44,8; 62,3; p<0,0001) entspricht. In Übereinstimmung mit dem primären Endpunkt wurde in Monat 6 im Lumasiran-Arm eine Verringerung des Oxalat/Kreatinin-Quotienten im Spontanurin um 60,5% beobachtet, wohingegen unter Placebo ein Anstieg von 8,5% gemessen wurde. Darüber hinaus führte Lumasiran zu einer raschen und anhaltenden Reduktion des nach Körperoberfläche korrigierten Oxalats im 24-Stunden-Sammelurin.
ILLUMINATE-B
ILLUMINATE-B ist eine multizentrische, einarmige klinische Phase-III-Studie, welche die Wirksamkeit, Sicherheit, Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Lumasiran bei Säuglingen und Kleinkindern (3-72 Monate) mit bestätigter PH1bewertete. Insgesamt wurden 18 Patienten aufgenommen und mit Lumasiran behandelt. In der primären Interimsanalyse nach 6 Monaten, bei der ersten Dosis, wogen 3 Patienten weniger als 10 kg, 12 Patienten 10 bis unter 20 kg und 3 Patienten mindestens 20 kg.
Ergebnisse:
In Monat 6 erreichten mit Lumasiran behandelte Patienten eine Reduktion von 72,0% (95-%-KI: 66,4; 77,5) des Oxalat/Kreatinin-Quotienten im Spontanurin gegenüber dem Ausgangswert (gemittelt über die Monate 3 bis 6) und so den primären Endpunkt der Studie. Lumasiran wurde mit einer raschen und anhaltenden Reduktion des Oxalat/Kreatinin-Quotienten im Spontanurin assoziiert, die in allen Gewichtsuntergruppen ähnlich ausfiel. Die prozentuale Verringerung der Oxalatausscheidung im Urin stimmte mit den Ergebnissen der Studie ILLUMINATE-A überein.
Neun Patienten erreichten nahezu eine Normalisierung (≤ 1,5 × ULN), darunter 1 Patient, der in Monat 6 eine Normalisierung (≤ ULN) des Oxalat/Kreatinin-Quotienten im Spontanurin erreicht hatte. Darüber hinaus wurde von Studienbeginn bis Monat 6 (Durchschnitt aus Monat 3 bis Monat 6) eine mittlere Verringerung des Oxalats im Plasma von 31,7% (95 %-KI: 23,9; 39,5) beobachtet. Die eGFR blieb während der 6-monatigen Studienphase stabil. Es wurden zwei Nierensteinereignisse nach Studienbeginn gemeldet, im Vergleich zu 4 Nierensteinereignissen bei 3 Patienten in der 12-monatigen Phase vor der Einwilligungserklärung. 14 von 18 Patienten hatten bei Studienbeginn eine Nephrokalzinose. Ultraschallbefunde der Nieren nach dem 6. Monat zeigten bei 8 Patienten eine Verbesserung, darunter eine beidseitige Verbesserung bei 3 Patienten. Bei keinem der 18 Patienten kam es zu einer neu auftretenden oder sich verschlechternden Nephrokalzinos
Wirkstoff-Informationen
- Zentrum für Humangenetik und Laboratoriumsdiagnostik: Hyperoxalurie
- EMA: Fachinformation Oxlumo