Neratinib
Der Wirkstoff Neratinib wird angewendet zur Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs (Mammakarzinom). Der Tyrosinkinase-Hemmer soll nach einer Therapie mit Trastuzumab das Rezidivrisiko senken.
Neratinib: Übersicht

Anwendung
Arzneimittel mit dem Wirkstoff Neratinib (Nerlynx) werden angewendet zur erweiterten adjuvanten Behandlung von frühem Hormonrezeptor-positivem und HER2-überexprimiertem Brustkrebs, wenn vor weniger als einem Jahr eine Trastuzumab-basierte Behandlung durchgeführt wurde.
Anwendungsart
Neratinib ist zum Einnehmen vorgesehen und soll vorzugsweise morgens zusammen mit Nahrung eingenommen werden.
Wirkmechanismus
Der Wirkstoff Neratinib ist ein irreversibler Tyrosinkinase-Inhibitor des viralen Onkogen-Homologs der Erythroblastenleukämie (ERBB), der die Signaltransduktion mitogener Wachstumsfaktoren durch kovalente, hochaffine Bindung an die ATP-Bindungsstelle von 3 epidermalen Wachstumsfaktorrezeptoren (EGFR) blockiert. Die Bindung führt zu einer nachhaltigen Hemmung dieser wachstumsfördernden Wege bei HER2-verstärktem oder überexprimiertem Brustkrebs.
Es gibt vier Mitglieder der HER2-Rezeptorfamilie, welche von den Wirkstoffen Lapatinib, Neratinib, Pyrotinib und Tucatinib adressiert werden. Die extrazelluläre HER2-Domäne hat keinen bekannten Liganden und wird durch die Bildung von Homo- oder Heterodimeren aktiviert (in der Abbildung beispielhaft durch ein HER2-HER3-Heterodimer). Diese Dimere führen zur Phosphorylierung von Tyrosinkinase-Resten in der zytoplasmatischen Domäne, die als Andockstellen für Proteine fungieren, die die PI3K- und MAPK-Signalwege stromabwärts aktivieren, was zur Progression und Proliferation des Zellzyklus führt.

Pharmakokinetik
Resorption
Die Resorption nach oraler Verabreichung von 240 mg Neratinib war langsam und die Peak-Plasmakonzentrationen traten etwa 7 Stunden nach der Verabreichung auf. Einnahme zusammen mit Nahrung steigerte die Cmax und AUC um etwa 17 % bzw. 23 % im Vergleich zur Anwendung auf nüchternen Magen. Eine mit einer stark fetthaltigen Mahlzeit eingenommene orale Dosis von 240 mg Neratinib steigerte sowohl Cmax als auch AUC um etwa 100 %.
Verteilung
Die Plasmaproteinbindung sowie die kovalente Bindung an humanes Serumalbumin (HSA) war größer als 98 % und unabhängig von der Konzentration. Neratinib bindet hauptsächlich an HSA und humanes α1-Säure-Glykoprotein (AAG). Neratinib ist in-vitro-Studien zufolge ein Substrat für P-Glykoprotein (Pgp) und zeigte mit einem berichteten IC50-Wert von > 10 μM keine potente Hemmung der BSEP-Efflux-Transporteraktivität. Bei 10 μM schien Neratinib die BCRP-Efflux-Transporter zu hemmen. Neratinib wirkte nicht hemmend auf die Aufnahme-Transporter OATP1B1*1a, OATP1B3, OAT1, OAT3 und OCT2 mit berichteten IC50-Werten von > 10 μM. Neratinib wirkte hemmend auf den Aufnahme-Transporter OCT1 mit einem IC50-Wert von 2,9 μM.
Biotransformation
Neratinib wird hauptsächlich durch CYP3A4 und in geringerem Umfang durch flavinhaltige Monooxygenase (FMO) verstoffwechselt. Zirkulierende Neratinib-Metabolite sind u. a. Pyridin-N-Oxid (M3), N-Dimethyl-Neratinib (M6), Neratinib-Dimethylamin-N-Oxid (M7) und Spuren von Hydroxyl-Neratinib-N-Oxid und Neratinib-bis-N-Oxid (M11). Es wurde gezeigt, dass die Metabolite M3, M6, M7 und M11 ähnliche Potenzen wie Neratinib in In-vitro-Enzym- (Bindungs-Assays) oder zellbasierten Assays gegenüber Zellen haben, die ERBB1, ERBB2 (HER2) und ERBB4 exprimieren.
Elimination
Die scheinbare Halbwertzeit von Neratinib betrug nach einer Einzeldosis 17 Stunden.
Dosierung
Die empfohlene Tagesdosis von Neratinib beträgt 240 mg. Diese Dosis soll ein Jahr lang einmal täglich oral eingenommen werden. Die Behandlung muss innerhalb eines Jahres nach Abschluss der Trastuzumab-Therapie begonnen werden.
Nebenwirkungen
Zu den häufigsten Nebenwirkungen unter Neratinib-Behandlung zählen:
- Durchfall (93,6 %)
- Übelkeit (42,5 %)
- Erschöpfung (27,3 %)
- Erbrechen (26,8 %)
- Bauchschmerzen (22,7 %)
- Ausschlag (15,4 %)
- Appetitlosigkeit (13,7 %)
- Schmerzen im Oberbauch (13,2 %)
- Stomatitis (11,2 %)
- Muskelspasmen (10,0 %)
Wechselwirkungen
Folgende Verbindungen können bei gleichzeitiger Anwendung mit Nerlynx zu Wechselwirkungen führen:
- CYP3A4-/Pgp-Inhibitoren und -Induktoren
- Protonenpumpenhemmer, H2-Rezeptorantagonisten und Antazida, da die Löslichkeit und somit Absorption von Neratinib vom pH-Wert abhängig ist
- Hormonelle Empfängnisverhütungsmittel
- Brustkrebsresistenzproteinhemmer (z. B. Rosuvastatin und Sulfasalazin)
- Pgp-Substrate mit enger therapeutischer Breite (z. B. Dabigatran, Digoxin und Fexofenadin)
Kontraindikation
Neratinib darf nicht angewendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
- Gleichzeitiger Verabreichung starker Induktoren von CYP3A4 und Pgp wie z.B. Carbamazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Johanniskraut (Hypericum perforatum), Rifampicin
- Gleichzeitige Verabreichung milder CYP3A4-/Pgp-Inhibitoren wie z. B. Fluconazol, Diltiazem, Verapamil, Erythromycin
- Schwerer Leberinsuffizienz (Child Pugh C)
Schwangerschaft/Stillzeit
Schwangerschaft
Bisher liegen keine Erfahrungen zur Anwendung von Neratinib bei Schwangeren vor. Tierexperimentelle Studien haben Letalität des Embryos/Fötus und Fehlbildungen beim Fötus gezeigt. Das potenzielle Risiko für Menschen ist nicht bekannt. Neratinib sollte während der Schwangerschaft nicht verwendet werden, außer der klinische Zustand der Frau erfordert eine Behandlung mit Neratinib.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Neratinib in die Muttermilch übergeht. Ein Risiko für den gestillten Säugling kann nicht ausgeschlossen werden. Es muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen beendet oder Neratinib abgesetzt werden soll. Dabei sind sowohl der Nutzen von Neratinib für die Mutter als auch die Bedeutung des Stillens für das Kind zu berücksichtigen
Verkehrstüchtigkeit
Neratinib hat einen zu vernachlässigenden oder moderaten Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Erschöpfung, Schwindelgefühl, Dehydratation und Ohnmacht wurden als Nebenwirkungen von Neratinib berichtet. Der klinische Zustand des Patienten ist zu berücksichtigen bei der Beurteilung seiner Fähigkeit zur Durchführung von Aufgaben, die Urteilsvermögen, motorische oder kognitive Fähigkeiten erfordern.
Alternativen
Die Therapie des Brustkrebs umfasst folgende Strategien:
- Zellwachstumshemmung durch Rezeptorblockade mittels HER2-Antikörper (Trastuzumab, Pertuzumab) oder der Kombination von Her2-Antikörper mit einer Chemotherapie (T-DM1)
- Zellwachstumshemmung durch Störung der Signalübertragung mittels Tyrosinkinase-Hemmer (Lapatinib)
- Zellwachstumshemmung durch Störung des mTOR-Signalswegs durch mTOR-Hemmer (Everolimus)
- Zellwachstumshemmung durch Hemmung der CDK4/6-Kinase durch CDK4/6-Inhibitor (Palbociclib)
- Gefäßwachstumshemmung (Angiogenese-Hemmung) mittels VEGF-Antikörper (Bevacizumab)
- DGHO: NUB Antrag 2019/2020 [Neratinib]
- EMA: Fachinformation Nerlynx
- Clinical Trials: Study Evaluating The Effects Of Neratinib After Adjuvant Trastuzumab In Women With Early Stage Breast Cancer (ExteNET)
- Krebsgesellschaft, Onko Internetportal: Zielgerichtete Therapie beim Brustkrebs
- Nature: HER2-positive breast cancer and tyrosine kinase inhibitors: the time is now
Abbildung:
Dr. Isabelle Viktoria Maucher, created with Biorender.com