Netarsudil
Netarsudil ist ein Rho-Kinase-Inhibitor, der in einer Augentropfenkombination mit Latanoprost zur Senkung des Augeninnendrucks bei Offenwinkelglaukom oder bei okulärer Hypertension eingesetzt wird.
Netarsudil : Übersicht

Anwendung
Netarsudil wird in Kombination mit dem Prostaglandinanalogon Latanoprost unter dem Präparatenamen Roclanda zur Senkung von erhöhtem Augeninnendruck (IOP, Intraocular Pressure) bei erwachsenen Patienten mit primärem Offenwinkelglaukom oder okulärer Hypertension angewendet, bei denen eine Monotherapie mit einem Prostaglandin oder Netarsudil eine unzureichende Augeninnendrucksenkung bewirkt.
Hintergrund
Das Glaukom ist eine irreversible, fortschreitende Optikusneuropathie mit progressivem Gesichtsfeldverlust, das durch eine Senkung des Augeninnendrucks behandelt wird. Der Augeninnendruck wird durch ein feines Gleichgewicht zwischen Kammerwasserproduktion, der Geschwindigkeit des Kammerwasserabflusses durch das Trabekelwerk und den uveoskleralen Abflussweg reguliert. Therapeutische Optionen umfassen Medikamente, die den uveoskleralen Abfluss erhöhen oder die Kammerwasserproduktion verringern.
Wirkmechanismus
Netarsudil ist ein starker Hemmer der Rho-assoziierten Kinase (auch ROCK genannt) und des Norepinephrin-Transporters (NET), die im trabekulären Weg vorkommen. Die Rho-assoziierten Kinase ist eine natürlich vorkommende Kinase, die den Aufbau von Aktinfasern und fokale Adhäsionen innerhalb des Trabekelwerks fördert. Die Hemmung des Norepinephrin-Transporters erhöht die adrenerge Übertragung, was zu einer verringerten Kammerwasserproduktion führt.
Netarsudil senkt den Augeninnendruck, indem es die Dynamik des Kammerwassers (AHD) auf drei verschiedene Arten beeinflusst:
- Erhöhung des trabekulären Abflusses
- Senkung des episkleralen Venendrucks (EVP)
- Reduktion der Kammerwasserproduktion

Netarsudil und Stickstoffmonooxid (NO) fördern die Zytoskelettrelaxation durch ihren Einfluss auf die Rho-Signalkaskade. Myosin und Aktin sind Schlüsselkomponenten des Zytoskeletts von Muskel- und Nichtmuskelzellen. Phosphoryliertes Myosin interagiert mit Aktin und erhöht die Zellrigidität. Die Phosphorylierung von Myosin wird durch die Aktivität der Myosin-leichte-Ketten-Kinase (MLCK) und der Myosin-leichte-Ketten-Phosphatase (MLCP) reguliert.
Netarsudil hemmt die Rho-Kinase und stört dadurch ihre hemmende Wirkung auf MLCP, ein Enzym, das die regulatorische leichte Kette dephosphoryliert, um eine Entspannung zu induzieren. NO inaktiviert den Rho-Weg stromaufwärts der Rho-Kinase.
Die Bindung von NO an lösliche Guanylatcyclase (sGC) führt zu einer erhöhten Umwandlung von Guanosintriphosphat (GTP) zu zyklischem Guanosin-3’5’-monophosphat (cGMP), das wiederum die cGMP-abhängige Proteinkinase (PKG) aktiviert.
Zu den Wirkungen von aktiviertem PKG gehört die Hemmung von RhoA, einem G-Protein, das die Rho-Kinase aktiviert. Eine verringerte Rho-Kinase-Aktivierung führt zu einer erhöhten MLCP-Aktivität und trägt somit zur Entspannung des Zytoskeletts bei.
Pharmakokinetik
Resorption
- Die systemische Exposition von Netarsudil und seinem aktiven Metaboliten AR-13503 nach okularer topischer Applikation von Netarsudil-Augentropfen 0,02% einmal täglich (ein Tropfen beidseitig morgens) über acht Tage bei 18 gesunden Probanden zeigte keine quantifizierbaren Plasmakonzentrationen von Netarsudil (untere Quantifizierungsgrenze [LLOQ] 0,100 ng/ml) nach Verabreichung an Tag 1 und Tag 8.
- Nur eine Plasmakonzentration von 0,11 ng/ml für den aktiven Metaboliten wurde an Tag 8 bei einem Probanden 8 Stunden nach der Verabreichung beobachtet.
Verteilung
- Da Netarsudil und sein aktiver Metabolit stark an Proteine gebunden wird, ist ein geringes Verteilungsvolumen zu erwarten.
- Der aktive Metabolit von Netarsudil, AR-13503, ist im Plasma zu etwa 60% stark proteingebunden.
- Da davon ausgegangen wird, dass AR-13503 weniger stark an Plasmaproteine bindet als sein Ausgangsstoff Netarsudil, kann die prozentuale Proteinbindung von Netarsudil mindestens 60% oder mehr betragen.
Metabolisierung
- Nach topischer Anwendung am Auge wird Netarsudil durch Esterasen im Auge zu seinem aktiven Metaboliten Netarsudil-M1 (oder AR-13503) metabolisiert.
- Klinische Studien, die den In-vitro-Metabolismus von Netarsudil unter Verwendung von Hornhautgewebe von Menschen, menschlichem Plasma und menschlichen Lebermikrosomen und mikrosomalen S9-Fraktionen untersuchten, zeigten, dass der Metabolismus von Netarsudil durch Esteraseaktivität erfolgt.
- Eine anschließende Metabolisierung des Esterase-Metaboliten von Netarsudil, AR-13503, war nicht nachweisbar.
- Während einer 3-stündigen Inkubation wurde kein Esterase-Metabolismus im menschlichen Plasma nachgewiesen.
Elimination
- Die Halbwertszeit von in vitro mit menschlichem Hornhautgewebe inkubiertem Netarsudil beträgt 175 Minuten.
- Die Clearance von Netarsudil wird stark von seinen niedrigen Plasmakonzentrationen nach topischer Applikation und Resorption und seiner hohen Proteinbindung im menschlichen Plasma beeinflusst.
Dosierung
Roclanda wird in Form von Augentropfen angewendet. Die empfohlene Dosierung beträgt einmal täglich abends ein Tropfen in das betroffene Auge.
Nebenwirkungen
Die häufigste beobachtete okuläre Nebenwirkung des Kombinationspräparates Roclanda ist Bindehauthyperämie, die bei 46% der Patienten berichtet wurde.
Andere berichtete okuläre Nebenwirkungen sind:
- Schmerzen an der Stelle des Eintropfens (14%)
- Vortexkeratopathie (12%)
- Augenjucken (7%)
Wechselwirkungen
olgende Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Roclanda zu beachten:
Bei gleichzeitiger Anwendung von Thiomerosal-haltigen Augentropfen kann es zu Ausfällungen kommen. Es wird deshalb empfohlen nach der Applikation von Roclanda mindestens fünf Minuten zu warten bis andere Augentropfen verwendet werden.
Netarsudil kann in vitro Studien zufolge möglicherweise CYP450-Isoenzymen in der Hornhaut hemmen. Bisher wurden jedoch keine klinischen Anhaltspunkte für lokale pharmakokinetische Wechselwirkungen festgestellt.
Nach gleichzeitiger Anwendung von zwei Prostaglandin-Analoga am Auge ist Berichten zufolge eine paradoxe Erhöhung des Augeninnendrucks möglich. Daher wird die Anwendung von zwei oder mehr Prostaglandinen, Prostaglandin-Analoga oder Prostaglandin-Derivaten nicht empfohlen.
Kontraindikationen
Netarsudil darf nicht angewendet werden bei Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff.
Schwangerschaft
Bisher liegen keine oder nur begrenzte Erfahrungen mit der Anwendung von Latanoprost und Netarsudil bei Schwangeren vor. Da die systemische Exposition durch Netarsudil zu vernachlässigen ist, wird davon ausgegangen, dass während einer Schwangerschaft keine Wirkungen auftreten.
Tierexperimentelle Studien mit intravenöser Anwendung von Netarsudil ergaben bei klinisch relevanten Expositionen keine Hinweise auf direkte oder indirekte gesundheitsschädliche Wirkungen in Bezug auf eine Reproduktionstoxizität.
Latanoprost hat potenziell gesundheitsschädliche pharmakologische Wirkungen während der Schwangerschaft und/oder beim ungeborenen/neugeborenen Kind. Aus diesem Grund darf Latanoprost und Netarsudil nicht während der Schwangerschaft angewendet werden.
Stillzeit
Es ist nicht bekannt, ob Netarsudil oder seine Metabolite in die Muttermilch übergehen. Es wird angenommen, dass das Arzneimittel keine Auswirkungen auf das gestillte Neugeborene/Kind hat, weil die
systemische Exposition der stillenden Frau gegenüber Netarsudil vernachlässigbar ist, jedoch liegen keine relevanten klinischen Daten vor.
Latanoprost und seine Metaboliten können in die Muttermilch übergehen. Es muss eine Entscheidung darüber getroffen werden, ob das Stillen zu unterbrechen ist oder ob auf die Behandlung mit Roclanda verzichtet werden soll/die Behandlung mit Roclanda zu unterbrechen ist. Dabei soll sowohl der Nutzen des Stillens für das Kind als auch der Nutzen der Therapie für die Frau berücksichtigt werden.
Verkehrstüchtigkeit
Netarsudil hat einen zu vernachlässigenden Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Wenn beim Eintropfen vorübergehend verschwommenes Sehen auftritt, soll der Patient warten, bis er wieder klar sieht, bevor er ein Fahrzeug führt oder Maschinen bedient.
Anwendungshinweise
Wie bei allen Augentropfen wird empfohlen, dass zur Reduktion einer möglichen systemischen Resorption, der Tränensack unter dem inneren Augenwinkel unmittelbar nach dem Eintropfen für eine Minute komprimiert wird (punktueller Verschluss).
Kontaktlinsen müssen vor dem Eintropfen entfernt werden und können 15 Minuten nach der Anwendung wieder eingesetzt werden.
- EMA: Fachinformation Roclanda
- Dasso, Lily, et al. "Profile of netarsudil ophthalmic solution and its potential in the treatment of open-angle glaucoma: evidence to date." Clinical Ophthalmology (Auckland, NZ) 12 (2018): 1939.
- Kahook, Malik Y., et al. "Long-term safety and ocular hypotensive efficacy evaluation of netarsudil ophthalmic solution: rho kinase elevated IOP treatment trial (ROCKET-2)." American journal of ophthalmology 200 (2019): 130-137.
- Hoy, Sheridan M. "Netarsudil ophthalmic solution 0.02%: first global approval." Drugs 78.3 (2018): 389-396.
- Patel, Preeti, and Bhupendra C. Patel. "Netarsudil Ophthalmic Solution." StatPearls [Internet]. StatPearls Publishing, 2021.
- Ophthalmology Management, Volume: 22, Issue: Glaucoma Physician September 2018, page(s): 30, 32-34
- Drugbank: Netarsudil, abgerufen am 05.01.2023
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