Ritonavir

Medikamente mit dem Wirkstoff Ritonavir werden in der Therapie von HIV-Infektionen und Aids angewendet. Der Arzneistoff wird innerhalb der sogenannten HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie) mit nukleosidischen Reverse-Trankriptase-Inhibitoren und nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren eingesetzt. Ritonavir gehört zur Arzneistoffklasse der Protease-Inhibitoren.

Ritonavir

Anwendung

Ritonavir ist zur Behandlung von HIV-1-infizierten Patienten (Erwachsene und Kinder von 2 Jahren und älter) indiziert. Darüber hinaus ist Ritonavir in Kombination mit Nirmatrelvir unter dem Präparatenamen Paxlovid in der EU zur Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen zugelassen, die keinen zusätzlichen Sauerstoff benötigen und bei denen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der Krankheit besteht.

Anwendungsart

Ritonavir ist in Form von Filmtabletten und als Lösung zum Einnehmen auf dem deutschen Markt verfügbar.

Wirkmechanismus

Ritonavir inhibiert die HIV-1- und HIV-2-Aspartylprotease. Durch diese Hemmung kann das Enzym das gag-pol-Polyprotein nicht mehr verarbeiten, wodurch unreife HIV-Partikel gebildet werden, die nicht in der Lage sind, einen neuen Infektionskreislauf zu initiieren. Ritonavir hat eine selektive Affinität für die HIV-Protease und nur eine geringfügig hemmende Wirkung auf menschliche Aspartylproteasen.

Aufgrund seiner inhibitorischen Eigenschaften auf CYP450 wird Ritonavir auch zur Verbesserung der Pharmakokinetik anderer Proteaseinhibitoren eingesetzt.

Wirkung Paxlovid

Paxlovid ist eine Kombination der zwei Wirkstoffe Nirmatrelvir (PF-07321332), ein oraler kovalenter 3CL-Protease-Inhibitor von SARS-CoV-2 und Ritonavir, ein Inhibitor der HIV-1- und HIV-2-Protease. In der Kombination soll Ritonavir als Inhibitor von Cytochrom P450 3A und CYP2D6 dazu beitragen den Metabolismus von Nirmatrelvir zu hemmen, so dass die Verabreichung einer niedrigeren Dosis der Substanz ermöglicht wird. Nirmatrelvir bindet an den katalytischen Cysteinrest Cys145 der Coronavirus-Proteasen. In vitro hemmt der Wirkstoff die 3-Chymotrypsin-like Protease (3CLpro). Coronavirus-Proteasen spalten mehrere Stellen im viralen Polyprotein. Durch die Hemmung können Virusbausteine nicht mehr produziert werden und der Virus-Replikationszyklus wird unterbrochen, da die zur erfolgreichen Virusreproduktion benötigten funktionellen Bauteile fehlen.

Paxlovid

Dosierung

Wenn Ritonavir als pharmakokineti­scher Verstärker zusammen mit an­deren Proteasehemmern (PI) angewendet wird, ist die Fachinformation des betreffenden Proteasehemmers zu beachten.

Die folgenden HIV­1 ­Proteasehemmer sind zur Anwendung mit Ritonavir als pharmakokinetischer Verstärker in den angegebenen Dosierungen zugelassen:

  • Amprenavir 600 mg zweimal täglich mit Ritonavir 100 mg zweimal täglich
  • Atazanavir 300 mg einmal täglich mit Ritonavir 100 mg einmal täglich
  • Fosamprenavir 700 mg zweimal täg­lich mit Ritonavir 100 mg zweimal täglich
  • Lopinavir in Fixkombination mit Ri­tonavir (Lopinavir/Ritonavir) 400 mg/100 mg oder 800 mg/200 mg
  • Saquinavir 1000 mg zweimal täglich mit Ritonavir 100 mg zweimal täglich bei antiretroviral vorbehandelten (ART) Patienten.
  • Bei ART­naiven Patienten wird an den ersten sieben Behand­lungstagen eine Anfangsdosis von Saquinavir 500 mg zweimal täglich mit Ritonavir 100 mg zweimal täglich gegeben. Danach werden Saquina­vir 1000 mg zweimal täglich und Ri­tonavir 100 mg zweimal täglich ge geben.
  • Tipranavir 500 mg zweimal täglich mit Ritonavir 200 mg zweimal täglich (Tipranavir sollte nicht zusammen mit Ritonavir bei ART­naiven Patienten angewendet werden).
  • Darunavir 600 mg zweimal täglich mit Ritonavir 100 mg zweimal täglich bei ART vorbehandelten Patienten.
  • Bei manchen mit ART vorbehandelten Patienten kann Darunavir 800 mg einmal täglich mit Ritonavir 100 mg einmal täglich angewendet werden.
  • Darunavir 800 mg einmal täglich mit Ritonavir 100 mg einmal täglich bei ART­ naiven Patienten.

Die empfohlene Dosis von Ritonavir als antiret­rovirales Arzneimittel beträgt für Erwachsene 600 mg zweimal täglich (Ge­samtdosis 1200 mg pro Tag). Eine allmähliche Erhöhung der Ritonavir­Dosis zu Behandlungsbeginn kann die Verträglichkeit verbessern.

Die Behandlung sollte mit einer Do­sis von 300 mg zweimal täglich für die Dauer von drei Tagen begonnen werden und dann über einen Zeitraum von nicht mehr als 14 Tagen in Schritten von 100 mg zweimal täglich auf bis zu 600 mg zweimal täglich gesteigert werden.

Patienten sollten nicht länger als 3 Tage mit 300 mg zwei ­mal täglich behandelt werden.

Pharmakokinetik

  • Bisher gibt es keine intravenöse Ritonavir-Formulierung, so dass die Höhe der Absorption und die absolute Bioverfügbarkeit nicht bestimmt werden konnten.
  • Die Bioverfügbarkeit von Ritonavir wird leicht erniedrigt, wenn sie zu einer Mahlzeit eingenommen wird.
  • Ritonavir wird in hohem Maße in der Leber in erster Linie durch das CYP3A-Isoenzym und in geringerem Ausmaß durch CYP2D6 metabolisiert.

Nebenwirkungen

Sehr häufige Nebenwirkungen (≥ 1/10):

  • Dysgeusie, orale und periphere Parästhesien, Kopfschmerzen, Schwindel, periphere Neuropathie
  • Pharyngitis, Schmerzen im Mund-Rachen-Bereich, Husten
  • Bauchschmerzen (Ober- und Unterbauch), Übelkeit, Durchfall (einschließlich schweren Durchfalls mit Störungen des Elektrolythaushalts), Erbrechen, Dyspepsie
  • Juckreiz, Exanthem (einschließlich erythematösen und makulopapulösen Exanthems)
  • Arthralgie und Rückenschmerzen
  • Erschöpfungssyndrom, einschließlich Asthenie, Erröten (Flush), Hitzegefühl

Häufig auftretende Nebenwirkungen (≥1/100 – <1/10):

  • Leukozyten erniedrigt, Hämoglobin erniedrigt, Neutrophile erniedrigt, Eosinophile erhöht, Thrombozyten erniedrigt
  • Überempfindlichkeit, einschließlich Urtikaria und Gesichtsödem
  • Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, Gicht, Ödeme, periphere Ödeme, Dehydratation (meist im Zusammenhang mit gastrointestinalen Symptomen)
  • Schlaflosigkeit, Angstzustände, Verwirrung, Aufmerksamkeitsstörung, Synkope, Krampfanfall
  • Verschwommenes Sehen
  • Hypertonie, Hypotonie, einschließlich orthostatische Hypotonie, Kälte der Körperperipherie
  • Appetitlosigkeit, Blähungen, Geschwürbildung im Mund, gastrointestinale Blutung, gastrointestinale Refluxerkrankung, Pankreatitis
  • Hepatitis (einschließlich erhöhte GOT, GPT und GGT), Bilirubin im Blut erhöht (einschließlich Ikterus)
  • Akne
  • Myositis, Rhabdomyolyse, Myalgie, Myopathie, erhöhte CPK
  • Vermehrte Miktion, Nierenfunktionsstörung (z.B. Oligurie, Kreatinin erhöht)
  • Menorrhagie
  • Fieber, Gewichtsverlust
  • Amylase erhöht, freies und Gesamt-Thyroxin erniedrigt

Wechselwirkungen

Ritonavir zur Verbesserung der Pharmakokinetik oder in der Dosierung als antiretrovirales Arzneimittel

  • Ritonavir weist eine hohe Affinität zu einigen Isoformen des Cytochrom P450 (CYP) auf und hemmt möglicherweise die Oxidation in der folgenden Reihenfolge: CYP3A4 > CYP2D6. Die gleichzeitige Anwendung von Ritonavir und Arzneimitteln, die primär über CYP3A metabolisiert werden, kann die Plasmakonzentrationen dieser Arzneimittel erhöhen und in der Folge die therapeutischen bzw. unerwünschten Wirkungen verstärken oder verlängern.
  • Bei bestimmten Arzneimitteln (z. B. Alprazolam) kann der inhibitorische Effekt von Ritonavir auf CYP3A4 mit der Zeit nachlassen.
  • Darüber hinaus besitzt Ritonavir eine hohe Affinität zum P­-Glycoprotein (P­gp) und hemmt möglicherweise diesen Transporter. Der inhibitorische Effekt von Ritonavir (mit oder ohne andere Proteaseinhibitoren) auf die P­gp­-Aktivität kann mit der Zeit nachlassen.
  • Ritonavir induziert möglicherweise auch die Glucuronidierung und Oxidation durch CYP1A2, CYP2C8, CYP2C9 und CYP2C19. Dadurch kann die Biotransformation einiger Arzneimittel, die über diese Enzyme metabolisiert werden, erhöht werden. Daraus kann sich eine erniedrigte systemische Verfügbarkeit ergeben, die eine abgeschwächte oder verkürzte Wirksamkeit nach sich zieht.

Arzneimittel, die den Ritonavir-­Spiegel beeinflussen

  • Serumspiegel von Ritonavir können bei gleichzeitiger Anwendung von pflanzlichen Zubereitungen, die Johanniskraut (Hypericum perforatum) enthalten, reduziert sein.
  • Ritonavir­-Spiegel können sich erhöhen, wenn die Einnahme von Johanniskraut beendet wird. Eine Anpassung der Dosierung von Ritonavir kann dann notwendig sein. Der Induktionseffekt kann für mindestens 2 Wochen nach dem Ende der Behandlung mit Johanniskraut andauern.
  • Die Serumspiegel von Ritonavir können durch bestimmte gleichzeitig angewendete Arzneimittel beeinflusst werden (z. B. Delavirdin, Efavirenz, Phenytoin und Rifampicin).

Arzneimittel, die durch die Anwendung von Ritonavir beeinflusst werden

Für Interaktionen zwischen Ritonavir und anderen gleichzeitig angewandten Präparaten sollte aufgrund der Komplexität die jeweilige Fachinformationen zu Rate gezogen werden.

Kontraindikation

  • Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
  • Bei Patienten mit einer dekompensierten Lebererkrankung darf Ritonavir nicht zur Verbesserung der Pharmakokinetik oder als antiretrovirales Arzneimittel verordnet werden.
  • Alfuzosin: erhöhte Plasmakonzentration von Alfuzosin
  • Pethidin, Piroxicam, Propoxyphen: erhöhte Plasmakonzentration genannter Verbindungen
  • Antiarrhythmika wie Amiodaron, Bepridil, Dronedaron, Encainid, Flecainid, Propafenon, Chinidin: erhöhte Plasmakonzentration genannter Verbindungen
  • Fusidinsäure: erhöhte Plasmakonzentration von Fusidinsäure und Ritonavir
  • Voriconazol: Erniedrigung der Plasmakonzentration von Voriconazol
  • Colchicin: lebensbedrohliche Nebenwirkungen bei Patienten mit eingeschränkter Nieren und/oder Leberfunktion
  • Astemizol, Terfenadin: erhöhte Plasmakonzentration von Astemizol und Terfenadin
  • Rifabutin: erhöhte Serumkonzentration von Rifabutin
  • Clozapin, Pimozid: erhöhte Plasmakonzentration von Clozapin und Pimozid
  • Quetiapin: erhöhte Plasmakonzentration von Quetiapin
  • Ergotamine: erhöhte Plasmakonzentration der Ergotamine
  • Cisaprid: erhöhte Plasmakonzentration von Cisaprid
  • Lovastatin, Simvastatin: erhöhte Plasmakonzentration der Statine
  • Avanafil: erhöhte Plasmakonzentration von Avanafil
  • Sildenafil (zur Behandlung pulmonaler arterieller Hypertonie): erhöhte Plasmakonzentration von Sildenafil
  • Vardenafil: erhöhte Plasmakonzentration von Vardenafil
  • Clonazepam, Diazepam, Estazolam, Flurazepam, Midazolam (oral), Triazolam: erhöhte Plasmakonzentration der genannten Verbindungen
  • Johanniskraut: erniedrigte Plasmakonzentration von Ritonavir

Schwangerschaft

Die Anwendung von Ritonavir in der Schwangerschaft sollte nur in Betracht gezogen werden, wenn der Nutzen das Risiko für den Fötus überwiegt. Ritonavir hat negativen Einfluss auf die Wirkung oraler Kontrazeptiva. Deshalb sollte während der Behandlung eine alternative, sichere und effektive Empfängnisverhütung angewandt werden.

Stillzeit

Limitierte veröffentlichte Daten weisen darauf hin, dass Ritonavir in die Mutter­milch übergeht. Es gibt keine Informationen über die Auswirkungen von Ritonavir auf das gestillte Kind oder die Auswirkungen auf die Milchpro­duktion. Aufgrund des Potentials für (1) HIV­-Übertragung (bei HIV­-nega­tiven Säuglingen), (2) Entwicklung von Virusresistenz (bei HIV-­positiven Säuglingen) und (3) schwerwiegenden Nebenwirkungen bei einem gestillten Säugling, sollten HIV-­infizierte Frauen ihre Kleinkinder unter keinen Um­ständen stillen.

Verkehrstüchtigkeit

Es wurden keine Studien zu den Aus­wirkungen auf die Verkehrstüchtig­keit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen durchgeführt. Bei der Teilnahme am Straßenverkehr und beim Bedienen von Maschinen ist je­doch zu beachten, dass Ritonavir zu Schwindel führen kann.

Anwendungshinweise

  • Ritonavir sollte von Ärzten verschrieben werden, die Erfahrung in der Behandlung von HIV-Infektionen haben.
  • Ritonavir sollte mit einer Mahlzeit eingenommen werden.
  • Ritonavir hat negativen Einfluss auf die Wirkung oraler Kontrazeptiva. Deshalb sollte während der Behandlung eine alternative, sichere und effektive Empfängnisverhütung angewandt werden.

Alternativen

Weitere Protease-Inhibitoren sind:

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
720.94 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 5.0 H
Q0-Wert:
0.7
Quelle:
  1. Fachinformation Ritonavir accord
  2. Steinhilber, Schubert, Zsilavecz, Roth "Medizinische Chemie", 2. Auflage 2010
  3. Mutschler Arzneimittelwirkungen, Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie, Begründet von Ernst Mutschler, 11. Auflage 2020, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Abbildung

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41 Präparate mit Ritonavir