Ruxolitinib
Ruxolitinib gehört zur Klasse der Januskinase-(JAK-)Inhibitoren und wird eingesetzt bei myeloproliferativen Neoplasien wie der Myelofibrose und Polycythaemia vera. Januskinasen spielen eine essenzielle Rolle bei der intrazellulären Signalvermittlung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren.
Ruxolitinib: Übersicht

Anwendung
Der JAK-Inhibitor Ruxolitinib (Jakavi) ist indiziert zur Behandlung von myeloproliferativen Neoplasien. Dazu zählen Myelofibrose (MF) und Polycythaemia vera (PV).
Die Behandlung sollte nur durch einen Arzt erfolgen, der über ausreichend Erfahrung mit der Anwendung von Arzneimitteln gegen Krebs verfügt.
Vor Beginn der Behandlung ist ein großes Blutbild, einschließlich eines Differentialblutbildes der weißen Blutkörperchen, erforderlich. Bis die Dosiseinstellung beendet ist, sollte dies alle zwei bis vier Wochen durchgeführt werden.
Myelofibrose:
Ruxolitinib wird angewendet bei krankheitsbedingter Splenomegalie oder Symptomen bei Erwachsenen mit primärer Myelofibrose (auch bekannt als chronische idiopathische Myelofibrose), Post-Polycythaemia-vera-Myelofibrose oder Post-Essentieller-Thrombozythämie-Myelofibrose.
Polycythaemia vera:
Ruxolitinib ist ebenfalls indiziert zur Behandlung von Erwachsenen mit Polycythaemia vera, die resistent oder intolerant gegenüber Hydroxycarbamid sind.
Anwendungsart
Ruxolitinib ist als Tablette in Dosierungen von 5, 10, 15 und 20 mg auf dem deutschen Markt erhältlich.
Therapiedauer
Die Behandlung sollte fortgesetzt werden, solange der Nutzen das Risiko überwiegt. Dennoch sollte die Behandlung nach 6 Monaten beendet werden, falls es zu keiner Reduktion der Milzgröße oder Verbesserung der Symptome seit dem Beginn der Therapie gekommen ist.
Für Patienten, die eine gewisse Verbesserung der klinischen Symptomatik zeigen, wird empfohlen, die Therapie mit Ruxolitinib zu beenden, wenn sie eine Vergrößerung der Milzlänge von 40% im Vergleich zur Ausgangsgröße (entspricht ungefähr einer 25%igen Zunahme des Milzvolumens) erleiden und nicht länger eine spürbare Verbesserung der krankheitsbedingten Symptome festzustellen ist.
Wirkmechanismus
Ruxolitinib ist ein selektiver Inhibitor der JAK1 und JAK2, wodurch die Zytokin-induzierte Phosphorylierung von STAT3 im Vollblut gehemmt wird. MF und PV sind Erkrankungen, bei denen eine Dysregulation der JAK1- und JAK2-Signalwege vorliegt.
Für diese Dysregulation kommen mehrere Mechanismen in Frage:
- Hohe Spiegel zirkulierender Zytokine, die zur Aktivierung von JAK-STAT-Signalwegen führen (genauer Mechanismus siehe JAK-Inhibitoren).
- Gain-of-Function Mutationen wie z.B. JAK2V617F (MF-Patienten weisen unabhängig vom Mutationsstatus eine JAK-Dysregulation auf, bei PV-Patienten liegen in mehr als 95% der Fälle aktivierende Mutationen in JAK2 vor)
- Ausschaltung negativer Kontrollmechanismen
All diese Mechanismen führen zu einer Überaktivierung der JAK-STAT-Signalkaskade und folglich zu einer Hyperproliferation hämatopoetischer Vorläuferzellen, die durch Ruxolitinib verhindert werden soll.

Pharmakokinetik
Resorption
- Nach Biopharmazeutischen Klassifizierungssystem (BCS) ist Ruxolitinib ein Klasse-I-Molekül mit einem hohen Permeationsvermögen und hoher Löslichkeit.
- Ruxolitinib wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert und erreicht seine maximale Plasmakonzentration (cmax) etwa 1 Stunde nach der Einnahme.
- Die mittlere cmax und die AUC erhöhen sich bei Einzeldosen von 5 bis 200 mg proportional.
- Die Einnahme von fettreichen Mahlzeiten hat keinen klinisch relevanten Einfluss auf die Pharmakokinetik von Ruxolitinib (cmax Reduktion um 24%, während die AUC nahezu unverändert bleibt).
Verteilung
- Das mittlere Verteilungsvolumen liegt im Steady state bei MF- und PV-Patienten bei etwa 75 L.
- Ruxolitinib ist in klinisch relevanten Konzentrationen zu circa 97% an Plasmaproteine, vor allem Albumin, gebunden.
Metabolismus (Biotransformation)
- Ruxolitinib wird zu mehr als 50% über CYP3A4 mit zusätzlicher Beteiligung von CYP2C9 metabolisiert.
- Etwa 60% des Wirkstoffs liegt als Ausgangssubstanz im Blutkreislauf vor.
- Es sind 2 aktive Hauptmetaboliten im Plasma vorhanden, die 25% bzw. 11% der AUC der Ausgangssubstanz entsprechen (besitzen etwa 20 bis 50% der pharmakologischen Aktivität der Ausgangssubstanz bezogen auf JAKs).
Elimination
- Ruxolitinib wird überwiegend durch Metabolisierung eliminiert, wobei der Großteil renal ausgeschieden wird.
- Die mittlere Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa 3 Stunden.
Besondere Patientenpopulationen
- Das Geschlecht und die Herkunft scheint keinen pharmakokinetischen Einfluss zu haben.
- Für Patienten mit schweren Nierenfunktionsstörungen und mit einer Nierenerkrankung im Endstadium wird eine Dosisanpassung empfohlen, da die AUC der Metaboliten ansteigt.
- Bei Patienten mit Leberfunktionsstörungen wird eine Dosisreduktion um ungefähr 50% empfohlen, da die mittlere AUC für Ruxolitinib bei diesen Patienten erhöht ist.
Dosierung
Anfangsdosis
Die Anfangsdosis sollte innerhalb der ersten vier Behandlungswochen nicht erhöht werden und danach höchstens in 2-wöchigen Intervallen. Die Einnahme erfolgt nahrungsunabhängig.
Wenn eine Dosis vergessen wurde, sollte nicht die doppelte Dosis eingenommen werden, sondern die nächste regulär verschriebene Dosis.
Myelofibrose:
- 15 mg 2x täglich bei Patienten mit einer Thrombozytenzahl zwischen 100.000/mm³ und 200.000/mm³
- 20 mg 2x täglich bei Patienten mit einer Thrombozytenzahl >200.000/mm³
- 5 mg 2x täglich bei Patienten mit einer Thrombozytenzahl zwischen 50.000/mm³ und 100.000/mm³ (nur begrenzte Informationen zur Empfehlung)
Polycythaemia vera:
- 10 mg 2x täglich
Dosisanpassung
Myelofibrose:
- Behandlungsunterbrechung bei einer Thrombozytenzahl von weniger als 50.000/mm³ oder einer absoluten Neutrophilenzahl von weniger als 500/mm³
- Dosisreduktion bei einer Thrombozytenzahl von weniger als 100.000/mm³
Polycythaemia vera:
- Behandlungsunterbrechung bei Hämoglobinwerten unter 8 g/dl
- Dosisreduktion bei Hämoglobinwerten unter 10 g/dl, eventuell schon bei unter 12 g/dl
- Nach Anstieg der Blutzellzahlen über diese Werte kann die Dosierung mit 5 mg 2x täglich fortgesetzt und unter sorgfältiger Überwachung des Blutbildes, einschließlich eines Differentialblutbildes der weißen Blutkörperchen, schrittweise erhöht werden.
- Bei unzureichender Wirksamkeit und ausreichenden Blutzellzahlen kann die Dosis um maximal 5 mg 2x täglich, bis zur maximalen Dosis von 25 mg 2x täglich, erhöht werden.
CYP-Interaktionen
- CYP3A4-Inhibitoren erfordern eine Dosisreduktion um etwa 50%.
- Duale Inhibitoren von CYP3A4 und CYP2C9 wie Fluconazol erfordern ebenfalls eine Dosisreduktion um etwa 50%.
- Es wird aufgrund des Interaktionspotenzials eine häufigere Überwachung der hämatologischen Parameter und Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Einnahme von CYP-interagierenden Arzneimitteln empfohlen.
Nierenfunktionsstörungen
- Nur bei schweren Nierenfunktionsstörungen (Kreatinin-Clearance <30 ml/min) wird eine Dosisreduktion um etwa 50% empfohlen.
Leberfunktionsstörungen
- Bei Patienten mit jeglicher Leberfunktionsstörung sollte die Dosis um etwa 50% reduziert werden.
Nebenwirkungen
Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen unter der Therapie mit Ruxolitinib sind:
- Thrombozytopenie
- Anämie
- Neutropenie
- Blutergüsse
- andere Blutungen (Nasenbluten, Hämaturie)
- Schwindel
Wechselwirkungen
Ruxolitinib wird durch Metabolisierung über CYP3A4 und CYP2C9 eliminiert. Dementsprechend können Wechselwirkungen mit Arzneimitteln auftreten, die ebenfalls mit diesen Enzymen interferieren.
CYP3A4
- Inhibitoren wie z.B. einige Makrolid-Antibiotika, Azol-Antimykotika oder HIV-Proteaseinhibitoren erhöhen die Plasma-Konzentration von Ruxolitinib und erfordern daher eine Dosisreduktion um etwa 50% (bei schwachen Inhibitoren wie Diltiazem oder Cimetidin wird keine Dosisanpassung empfohlen)
- Induktoren wie z.B. Carbamazepin, Phenytoin, Rifampicin oder Johanniskraut können individuelle Dosiserhöhungen erfordern.
CYP2C9
- Bei dualen Inhibitoren, die auch CYP3A4 inhibieren (wie z.B. Fluconazol), sollte eine etwa 50%ige Dosisreduktion in Betracht gezogen werden.
P-gp und weitere
- Ruxolitinib kann P-gp und BCRP im Darm hemmen, weshalb bei gleichzeitiger Einnahme von Substraten dieser Transporter, wie Dabigatranetixilat, Ciclosporin, Rosuvastatin und potenziell Digoxin, zu einer Überwachung geraten wird.
Kontraindikationen
Ruxolitinib darf nicht angewendet werden bei:
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile des Arzneimittels
- Schwangerschaft und Stillzeit
Schwangerschaft
Bisher liegen unzureichend Erfahrungen bei Schwangeren vor, weshalb die Einnahme in der Schwangerschaft kontraindiziert ist.
Stillzeit
Ruxolitinib darf während der Stillzeit nicht angewendet werden und deswegen sollte das Stillen mit Behandlungsbeginn beendet werden. Ob der Wirkstoff oder seine Metaboliten in die Muttermilch übergehen, ist nicht bekannt.
Verkehrstüchtigkeit
Ruxolitinib hat keinen oder einen zu vernachlässigenden sedierenden Effekt. Dennoch sollten Patienten, bei denen nach der Einnahme ein Schwindelgefühl auftritt, auf das Führen eines Fahrzeugs oder das Bedienen von Maschinen verzichten.
Anwendungshinweise
Während der Behandlung mit Ruxolitinib sind folgende Warnhinweise zu beachten:
Myelosuppression
- Die Behandlung kann hämatologische Nebenwirkungen, einschließlich Thrombozytopenie, Anämie und Neutropenie, verursachen.
- Vor Einleitung der Therapie mit muss eine Bestimmung des großen Blutbildes, einschließlich eines Differentialblutbildes der weißen Blutkörperchen, durchgeführt werden.
- Je nach Ergebnis des Blutbildes muss die Therapie eventuell angepasst werden.
Infektionen
- Schwerwiegende bakterielle, mykobakterielle, fungale, virale und andere opportunistische Infektionen können auftreten.
- Ärzte sollten Patienten sorgfältig auf Anzeichen oder Symptome von Infektionen beobachten und unverzüglich entsprechende Behandlungsmaßnahmen einleiten, sodass die Therapie erst nach dem Abklingen aktiver schwerwiegender Infektionen begonnen werden sollte.
- Bei manchen Patienten wurde über Tuberkulose berichtet, weshalb vor Behandlungsbeginn die Patienten entsprechend der lokalen Empfehlungen auf eine aktive oder inaktive („latente“) Tuberkulose untersucht werden sollten.
- Auch Herpes-zoster-Infektionen können auftreten und sollten in diesem Fall umgehend behandelt werden.
Weitere
- Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML)
- Nicht-melanozytärer Hautkrebs
- Lipidanomalien/-erhöhungen
Alternativen
Als alternative Therapieoptionen kommen folgende Wirkstoffe in Frage, wobei Ruxolitinib Mittel der Wahl bei MF ist:
- Hydroxycarbamid (Hydroxyharnstoff) bei PV
- Anagrelid bei PV
- Busulfan bei PV und MF
- Ropeginterferon-alfa2b bei PV
1. EMA: Jakavi
2. Freissmuth et al., Pharmakologie und Toxikologie, 2020, Springer
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