Solifenacin

Solifenacin ist ein anticholinerger Wirkstoff aus der Gruppe der Muskarinrezeptor-Antagonisten (Parasympatholytika), der zur symptomatischen Behandlung einer überaktiven Blase (overactive bladder, OAB) eingesetzt wird.

Solifenacin

Anwendung

Der anticholinerge Wirkstoff Solifenacin ist indiziert zur symptomatischen Behandlung der Dranginkontinenz und/oder der Pollakisurie und des imperativen Harndrangs (wie sie bei Patienten mit dem Syndrom der überaktiven Blase auftreten können).

Anwendungsart

Solifenacin ist als Filmtablette (5 und 10 mg) erhältlich. Die Einnahme kann unabhängig von den Mahlzeiten erfolgen. Um einen bitteren Geschmack zu vermeiden, sollten die Tabletten unzerkaut mit Flüssigkeit eingenommen werden.

Wirkmechanismus

Solifenacin ist ein kompetitiver Muskarinrezeptor-Antagonist, dessen pharmakologische Wirkung primär durch Inhibition des muskarinischen M3-Rezeptors vermittelt wird.

Die Harnblase, die bei Überaktivität Symptome wie Dranginkontinenz und/oder Pollakisurie (häufiges Wasserlassen, meist in kleinen Mengen) verursachen kann, wird von parasympathischen, cholinergen Nerven innerviert. Dabei löst Acetylcholin (ACh) vor allem über den muskarinischen M3-Rezeptor eine Kontraktion der glatten Muskulatur des M. detrusor aus. Folglich wirkt die Hemmung dieses Rezeptorsubtyps durch Solifenacin spasmolytisch auf die Harnblase, weshalb Solifenacin auch den (urologischen) Spasmolytika zugeordnet werden kann.

Pharmakokinetik

Resorption

  • Die Plasmaspitzenkonzentration (cmax) von Solifenacin wird 3 bis 8 Stunden nach der Einnahme erreicht.
  • tmax ist dosisunabhängig, cmax und AUC nehmen zwischen 5 mg und 40 mg dosisproportional zu.
  • Die absolute Bioverfügbarkeit liegt bei ungefähr 90%.
  • Die Nahrungsaufnahme hat keinen Einfluss auf cmax oder die AUC von Solifenacin.

Verteilung

  • Das apparente Verteilungsvolumen von Solifenacin nach intravenöser Applikation beträgt ungefähr 600 L.
  • Solifenacin wird zum Großteil (zu etwa 98%) an Plasmaproteine gebunden (vor allem an saures Alpha-1-Glykoprotein).

Metabolismus

  • Solifenacin wird hauptsächlich über die Leber verstoffwechselt (primär durch CYP3A4), wobei es auch andere Stoffwechselwege gibt, die an der Metabolisierung von Solifenacin beteiligt sein können.
  • Nach per oraler Anwendung wurden neben Solifenacin ein pharmakologisch wirksamer Metabolit (4R-Hydroxysolifenacin) und drei inaktive Metaboliten (N-Glucuronid, N-Oxid und 4R-Hydroxy-N-Oxid von Solifenacin) im Plasma festgestellt.

Elimination

  • Die systemische Clearance von Solifenacin liegt bei ungefähr 9,5 L/h.
  • Die terminale Halbwertszeit von Solifenacin beträgt 45–68 Stunden.
  • Solifenacin wird hauptsächlich über die Niere aber auch über die Fäzes eliminiert.
  • Im Urin werden ungefähr 11% als unverändert ausgeschiedener Wirkstoff wiedergefunden, von den Metaboliten etwa 18% des N-Oxids, 9% des 4R-Hydroxy-N-Oxids und 8% des 4 R-Hydroxy-Metaboliten (aktiver Metabolit)

Eingeschränkte Leberfunktion

  • Bei Patienten mit mäßig eingeschränkter Leberfunktion(Child-Pugh-Score 7 bis 9) bleibt cmax unbeeinflusst, die AUC vergrößert sich um 60% und t1/2 verdoppelt sich.
  • Bei Patienten mit einer stark eingeschränkten Leberfunktion wurde das pharmakokinetische Profil von Solifenacin nicht bestimmt.

Eingeschränkte Nierenfunktion

  • Die Werte für AUC und cmax von Solifenacin bei Patienten mit leicht oder mäßig eingeschränkter Nierenfunktion unterscheiden sich nicht signifikant von den Werten bei gesunden Probanden.
  • Bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance ≤ 30 mL/min) ist die Exposition von Solifenacin signifikant höher als bei der Kontrollgruppe (Erhöhung von cmax um etwa 30%, der AUC um mehr als 100% und der t1/2 um mehr als 60%).
  • Zwischen der Kreatinin-Clearance und der Solifenacin-Clearance besteht eine statistisch signifikante Korrelation.
  • Für Hämodialyse-Patienten wurde das pharmakokinetische Profil nicht bestimmt.

Dosierung

  • Empfohlene Tagesdosis: 1x täglich 5 mg (bei Bedarf Erhöhung auf 1x täglich 10 mg möglich)
  • Eingeschränkte Nierenfunktion: Eine Dosisanpassung ist für Patienten mit leicht bis mäßig eingeschränkter Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance > 30 mL/min) nicht erforderlich, wobei Patienten mit einer stark eingeschränkten Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance ≤ 30 mL/min) mit besonderer Vorsicht behandelt werden und nicht mehr als 5 mg 1x täglich erhalten sollen.
  • Eingeschränkte Leberfunktion: Eine Dosisanpassung ist für Patienten mit leicht eingeschränkter Leberfunktion nicht erforderlich, wobei Patienten mit mäßig eingeschränkter Leberfunktion (Child-Pugh-Score von 7 bis 9) mit besonderer Vorsicht behandelt werden und nicht mehr als 5 mg 1x täglich erhalten sollen.

Nebenwirkungen

Aufgrund des pharmakologischen Wirkmechanismus kann Solifenacin anticholinerge Nebenwirkungen verursachen, die in der Regel von leichtem bis mittlerem Schweregrad sind. Die Häufigkeit des Auftretens dieser anticholinergen Nebenwirkungen ist dabei dosisabhängig.

Die am häufigsten beschriebene Nebenwirkung von Solifenacin war Mundtrockenheit (anticholinerge Nebenwirkung). Sie trat bei 11% der Patienten, die mit 5 mg 1x täglich behandelt wurden, bei 22% der Patienten, die mit 10 mg 1x täglich behandelt wurden, und bei 4% der mit Placebo behandelten Patienten auf. Die Mundtrockenheit war in den meisten Fällen leichten Schweregrades und führte nur gelegentlich zum Therapieabbruch.

Weitere häufige Nebenwirkungen umfassen:

  • Verschwommenes Sehen
  • Obstipation
  • Übelkeit
  • Dyspepsie
  • Bauchschmerzen

Wechselwirkungen

Pharmakodynamische Wechselwirkungen

  • Die gleichzeitige Applikation anderer Wirkstoffe mit anticholinergen Eigenschaften kann sowohl die therapeutischen Effekte als auch die (anticholinergen) Nebenwirkungen verstärken (demnach sollte zwischen dem Ende der Therapie mit Solifenacin und der Einleitung einer anderen anticholinergen Therapie ungefähr eine Woche liegen).
  • Die therapeutische Wirkung von Solifenacin kann durch die gleichzeitige Gabe cholinerger Rezeptoragonisten vermindert werden.
  • Darüber hinaus kann Solifenacin die Wirkung von Arzneimitteln, die stimulierend auf die Motilität des Gastrointestinaltrakts wirken (wie Metoclopramid und Cisaprid), vermindern.

Pharmakokinetische Wechselwirkungen

Solifenacin wird maßgeblich durch CYP3A4 verstoffwechselt, weshalb in diesem Zusammenhang Wechselwirkungen berücksichtigt werden müssen.

  • CYP3A4-Inhibitoren: Die gleichzeitige Gabe von Ketoconazol (200 mg/Tag bzw. 400 mg/Tag), einem starken CYP3A4-Inhibitor, führt zu einer zweifachen bzw. dreifachen Zunahme der AUC von Solifenacin, weshalb bei gleichzeitiger Anwendung mit Ketoconazol oder mit anderen starken CYP3A4-Inhibitoren wie Ritonavir, Nelfinavir oder Itraconazol in therapeutischer Dosierung die Höchstdosis von Solifenacin auf 5 mg zu begrenzen ist (die gleichzeitige Behandlung mit Solifenacin und einem starken CYP3A4-Inhibitor ist bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion oder mit mäßig eingeschränkter Leberfunktion kontraindiziert, siehe Kontraindikationen).
  • Weitere CYP3A4-Substrate: Die Wirkungen einer Enzyminduktion auf die pharmakokinetischen Eigenschaften von Solifenacin und dessen Metaboliten sowie die Wirkung von hochaffinen CYP3A4-Substraten auf die Exposition mit Solifenacin wurden nicht geprüft. Da Solifenacin von CYP3A4 metabolisiert wird, sind pharmakokinetische Wechselwirkungen mit anderen Substraten von CYP3A4 mit einer höheren Affinität (z.B. Verapamil, Diltiazem) und mit CYP3A4-Induktoren (z.B. Rifampicin, Phenytoin, Carbamazepin) potenziell möglich.

Kontraindikationen

Solifenacin ist kontraindiziert bei:

  • Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile des Arzneimittels
  • Patienten mit Harnverhalt, einer schweren gastrointestinalen Erkrankung (einschließlich eines toxischen Megakolons), einer Myasthenia gravis oder einem Engwinkelglaukom sowie bei Patienten, die ein Risiko für diese Erkrankungen aufweisen
  • Hämodialyse-Patienten
  • Patienten mit einer stark eingeschränkten Leberfunktion
  • Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz oder mäßig eingeschränkter Leberfunktion, die gleichzeitig mit einem CYP3A4-Inhibitor (z.B. Ketoconazol) behandelt werden

Schwangerschaft

Es liegen keine Daten über Frauen vor, die unter der Anwendung von Solifenacin schwanger wurden. Tierexperimentelle Studien lassen nicht auf direkt schädigende Wirkungen auf die Fertilität, die Entwicklung des Embryos/Fetus oder den Geburtsverlauf schließen.

Das mögliche Risiko für den Menschen ist allerdings nicht bekannt, weshalb bei der Verschreibung für Schwangere Vorsicht geboten ist.

Stillzeit

Es liegen keine Daten über die Exkretion von Solifenacin in die Muttermilch beim Menschen vor. Bei Mäusen gehen Solifenacin und/oder dessen Metaboliten in die Muttermilch über, was bei neugeborenen Mäusen zu einer dosisabhängigen Wachstumsstörung führt. Aus diesem Grund ist die Anwendung von Solifenacin in der Stillzeit zu vermeiden.

Verkehrstüchtigkeit

Da Solifenacin wie andere Anticholinergika zu verschwommenem Sehen und/oder zu Somnolenz und Müdigkeit führen kann, können die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit, Maschinen zu bedienen, eingeschränkt sein.

Anwendungshinweise

Allgemein

  • Vor Beginn der Behandlung mit Solifenacin ist zu prüfen, ob die häufige Blasenentleerung auf eine andere Ursache zurückzuführen ist (Herzinsuffizienz oder Nierenerkrankung).
  • Bei Vorliegen einer Harnwegsinfektion ist eine geeignete antibakterielle Therapie einzuleiten.
  • Die maximale Wirkung von Solifenacin kann frühestens nach 4 Wochen bestimmt werden.
  • Solifenacin ist mit Vorsicht anzuwenden bei Patienten mit:
    o Klinisch signifikanter, obstruktiver Blasenentleerungsstörung, bei denen das Risiko des Harnverhalts besteht
    o Obstruktiven gastrointestinalen Erkrankungen
    o Risiko einer verminderten gastrointestinalen Motilität
    o Stark eingeschränkter Nierenfunktion (Creatinin-Clearance ≤ 30 mL/min)
    o Mäßig eingeschränkter Leberfunktion (Child-Pugh 7-9)
    o Gleichzeitiger Behandlung mit einem starken CYP3A4-Inhibitor wie Ketoconazol
    o Hiatushernie/gastroösophagealem Reflux und/oder bei Patienten, die gleichzeitig Arzneimittel anwenden, die eine Ösophagitis hervorrufen oder zu einer Exazerbation der Ösophagitis führen können (z.B. Bisphosphonate)
    o Einer autonomen Neuropathie

QT-Zeit-Verlängerung

  • QT-Zeit-Verlängerungen und Torsade de Pointes wurden bei Patienten mit Risikofaktoren wie etwa bestehendem Long-QT-Syndrom und Hypokaliämie beobachtet.

Angioödeme

  • Bei einigen Patienten, die Solifenacin eingenommen haben, wurden Angioödeme mit Obstruktion der Atemwege berichtet.
  • Wenn ein Angioödem auftritt, muss Solifenacin sofort abgesetzt werden und eine geeignete Behandlung der aufgetretenen Symptome ergriffen werden.

Anaphylaktische Reaktionen

  • Bei einigen mit Solifenacin behandelten Patienten wurden anaphylaktische Reaktionen berichtet.
  • Bei Patienten, die anaphylaktische Reaktionen entwickeln, sollte die Behandlung mit Solifenacin abgebrochen und eine geeignete Therapie und/oder Maßnahme eingeleitet werden.

Alternativen

Die medikamentösen Therapiealternativen richten sich nach dem Indikationsgebiet bzw. den Symptomen und sind darüber hinaus abhängig von patientenindividuellen Faktoren wie dem Alter der Patienten, Komorbiditäten oder dem Schweregrad der Erkrankung.

OAB

Weitere Informationen können der jeweiligen Fachinformation entnommen werden.

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
362.46 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 56.0 H
Q0-Wert:
0.93
Kindstoff(e):
Autor:
Stand:
01.02.2023
Quelle:
  1. Fachinformation Solifenacin Glenmark
  2. Fachinformation Solifenacin Aristo
  3. Freissmuth et al., Pharmakologie und Toxikologie, 2020, Springer
  4. Mutschler et al., Mutschler Arzneimittelwirkungen, 2019, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
  5. AWMF: S2k-Leitlinie Medikamentöse Therapie der neurogenen Dysfunktion des unteren Harntraktes (NLUTD) (2022)
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