Thiopental

Thiopental ist ein kurz wirksames Barbiturat, das zur Einleitung einer Narkose angewendet wird. Der Wirkstoff besitzt eine enge therapeutische Breite. Wegen seiner hypnotisierenden Wirkung soll Thiopental bei Verhören missbräuchlich eingesetzt worden sein.

Thiopental

Anwendung

Thiopental ist indiziert zur Kurznarkose ohne Intubation (kurzzeitige Betäubung während einer Operation ohne Vorbereitungen für eine künstliche Beatmung) und zur Einleitung einer Allgemeinanästhesie mit oder ohne Intubation (Einleitung einer längeren Betäubung für Operationen mit oder ohne Vorbereitungen für eine künstliche Beatmung).

Wirkmechanismus

Barbiturate wirken über eine postsynaptische Verstärkung von GABA, indem sie mit Alpha- und Beta-Untereinheiten des GABA-A-Rezeptors interagieren. Hierbei erhöhen Barbiturate den Chloridioneneinstrom, was zu einer GABA-induzierten postsynaptischen Hemmung führt.

Sowohl Barbiturate als auch Benzodiazepine interagieren mit GABA-A-Rezeptoren, doch führen Barbiturate im Gegensatz zu Benzodiazepinen selbst bei sehr geringer GABA-Konzentration zu einer Verlängerung der Dauer der durch den Neurotransmitter GABA bewirkten Öffnung des Kanals. Da Benzodiazepine am GABA-Rezeptor nur in Anwesenheit von GABA wirken können, sind sie in ihrer Wirkung limitiert. Barbiturate hingegen wirken nicht wie Benzodiazepinen nur schlafanstoßend, sondern in höherer Dosierung auch schlaferzwingend.

Problematisch ist ihre geringe therapeutische Breite.

Barbiturate wirken dosisabhängig:
 
Sedierung ➔ Schlaf ➔ Anästhesie ➔ Koma

Barbiturate

Pharmakokinetik

Verteilung

  • Innerhalb der ersten Minuten nach der Injektion strömen 55% des verfügbaren Barbiturats in die stark durchbluteten Organe.
  • Wegen der hervorragenden Fettlöslichkeit wird die Blut-Hirn-Schranke schnell durchdrungen.
  • Das Gehirn nimmt deshalb rasch eine erhebliche Menge der Substanz auf.
  • Ein maximaler Effekt auf das ZNS ist nach einer Minute zu beobachten.
  • Durch eine anschließende Umverteilung fällt die Konzentration rasch wieder ab und der narkotische Effekt wird aufgehoben.
  • Die Halbwertzeit der Verteilungsphase beträgt bei einer Dosis von 6,7 mg Thiopental Natrium pro Kilogramm Körpergewicht 9,5 Minuten und die Umverteilungsphase 62,7 Minuten.

Biotransformation

  • Thiopental wird hauptsächlich in der Leber durch Oxidation und Desulfatierung metabolisiert.
  • Als Abbauprodukt entsteht das ebenfalls hypnotisch wirksame Pentobarbital.

Elimination

  • Thiopental und seine inaktiven Metaboliten werden hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden.
  • Die Eliminationshalbwertzeit beträgt 11,6 Stunden.
  • Aufgrund der niedrigen Metabolisierungsrate und der langsamen Rückverteilung des Wirkstoffs aus dem Fettgewebe hält die Residualwirkung von Thiopental relativ lange an.
  • Daher ist bei Nachinjektionen auf die Möglichkeit der Kumulation zu achten.

Dosierung

Für die Einleitung einer Allgemeinanästhesie bei Jugendlichen und Erwachsenen beträgt die durchschnittliche Dosis bei intravenöser Injektion 5 mg Thiopental pro Kilogramm Körpergewicht.
Die Wirkungsdauer beträgt etwa 6 bis 8 Minuten. Im Allgemeinen werden 100 bis 200 mg Thiopental langsam über einen Zeitraum von 20 Sekunden injiziert. Jede weitere Gabe hängt von der
individuellen Empfindlichkeit des Patienten und der gewünschten Narkosetiefe ab.

Für eine Kurznarkose soll die Gesamtmenge im Allgemeinen die doppelte Einschlafdosis von 100 bis 200 mg Thiopental nicht überschreiten.

Nebenwirkungen

  • Wenn Barbiturate als i.v.-Anästhetika verabreicht werden, bewirken sie eine Senkung des Blutdrucks und eine Erhöhung der Herzfrequenz. Darüber hinaus können Atemdepression und Apnoe auftreten
  • Thiopental kann zu einer Histaminfreisetzeng führen, während Methohexital und Pentobarbital nur eine minimale Histaminfreisetzung bewirken
  • Paradoxe Erregung vor allem bei Kindern und Senioren
  • Die Extravasation von Thiopental kann schwere Gewebenekrose verursachen. Wenn eine Extravasation auftritt, umfassen Behandlungsmaßnahmen Hyaluronidase und Phentolamin
  • Der Plazentatransfer erfolgt innerhalb von einer Minute nach der Verabreichung. Bei Verwendung als Medikamente zur Einleitung eines Kaiserschnitts kann es zu neonataler Depression kommen
  • Bei Verwendung von Thiopental zur Narkoseeinleitung für einen Kaiserschnitt lag die höchste Konzentration von Thiopental in der Muttermilch beim ersten Stillen nach der Narkose bei etwa 0,9 mg/l
  • Bei abruptem Absetzen von Barbituraten können Entzugssymptome auftreten: Nervosität, Zittern, Erregung und Hypotonie. Außerdem können Patienten ein Delirium oder Grand-Mal-Anfälle entwickeln
  • Toleranzentwicklung
  • Aufgrund der Möglichkeit einer Photosensibilisierung soll während der Anwendung von Phenobarbital starke Sonnenbestrahlung vermieden werden
  • Unter der Anwendung von Phenobarbital wurden Fälle von lebensbedrohlichen Hautreaktionen (Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und Toxisch epidermaler Nekrolyse (TEN)) berichtet

Wechselwirkungen

Folgende Interaktionen sind bei der Anwendung von Thiopental zu beachten:

  • Andere zentral dämpfende Arzneimitteln (z. B. Benzodiazepine) oder Alkohol: Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung. Dies trifft auch auf die zentrale Atemdepression zu.(Opioide).
  • Substanzen, die mit Thiopental um die Plasmabindung konkurrieren wie z. B. Sulfonamide: Potenzierung der Thiopental-Wirkung möglich
  • Methotrexat: Thiopental erhöht die Toxizität von Methotrexat

Wird Thiopental wiederholt in kurzen Zeitabständen angewandt, ist zu beachten, dass dies eine induzierende Wirkung auf die Leberenzyme haben kann. Dadurch kann der Abbau anderer Arzneimittel, wie z. B. Cumarinderivaten, Kortikosteroiden, Testosteron und oralen Kontrazeptiva, beschleunigt und deren Wirkung reduziert werden.

Kontraindikationen

Thiopental darf nicht angewendet werden:

  • bei bekannter Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder gegen Barbiturate
  • bei akuten Vergiftungen mit Alkohol, Schlafmitteln, Schmerzmitteln und Psychopharmaka
  • bei akuter hepatischer Porphyrie, maligner Hypertonie
  • Schock
  • Status asthmaticus

Schwangerschaft

Zur Anwendung von Thiopental bei Schwangeren liegen nur begrenzte Datenmengen vor. Begrenzte Tierstudien lieferten hinsichtlich der Reproduktionstoxizität keine Hinweise auf direkte oder indirekte schädliche Wirkungen. Der Wirkstoff passiert die Plazenta. Deshalb sollte eine Allgemeinanästhesie mit Thiopental bei Schwangeren nur nach strenger Indikationsstellung und sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden.

Stillzeit

Thiopental wird in die Muttermilch ausgeschieden. Beim gestillten Kind können wegen der unreifen Stoffwechselleistung des Säuglings höhere Thiopental-Konzentrationen im Blut erreicht werden als bei der Mutter. Thiopental ist in der Muttermilch bis zu 36 Stunden nach Injektion nachweisbar. In dieser Zeit sollten stillende Mütter auf das Stillen verzichten.

Verkehrstüchtigkeit

Thiopental hat großen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen.

Anwendungshinweise

Barbiturate dürfen nur unter Vorsicht angewendet werden bei:

  • akuter hepatischer Porphyrie
  • schweren Nieren- oder Leberfunktionsstörungen
  • schweren Herzmuskelschäden
  • Abhängigkeitserkrankungen in der Anamnese
  • Atemwegserkrankungen, insbesondere, wenn sie mit Dyspnoe und Obstruktion einhergehen
  • positiver (Familien-)Anamnese einer affektiven Störung
  • Patienten mit Bewusstseinsstörung

Bei längerer Anwendung (über eine Woche) sollte beim Absetzen die Dosis schrittweise reduziert werden.

Alternativen

Die Einteilung der Barbiturate erfolgt nach ihrer Wirkdauer:

Ultrakurz wirkenden Substanzen (Wirkung bis 10 Minuten)

Kurz und mittellang wirkende Substanzen (Wirkung hält 2 bis 6 Stunden an)

Lang wirkende Barbiturate (Wirkung von mehr als 6 Stunden)

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
242.34 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 10.0 H
Q0-Wert:
1.0
Quelle:
  1. Steinhilber, Schubert, Zsilavecz, Roth; Medizinische Chemie 2. Auflage 2010
  2. Fachinformation Thiopental Rotexmedica
  3. Skibiski, J., & Abdijadid, S. (2021). Barbiturates. In StatPearls

Abbildung

Adapted from „GABA Synthesis and Uptake”, by Biorender.com

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