Tiopronin

Tiopronin ist ein Chelatbildner, der zur Therapie von Schwermetallvergiftungen sowie der seltenen Erkrankung Cystinurie angewendet wird. Der Wirkstoff kann in Tablettenform eingenommen werden.

Tiopronin

Anwendung

Das Arzneimittel Tiopronin wird bei folgenden Indikationen angewendet.

  • Cystinurie, Cystinurolithiasis, wenn durch veränderte Lebensführung und Alkalisierung des Urins keine ausreichende Krankheitskontrolle erreicht werden kann
  • Schwermetallvergiftungen, insbesondere mit Quecksilber, Kupfer, Eisen
  • Hämosiderose (Eisenüberladung)
  • Morbus Wilson (Kupferüberladung)

Anwendungsart

Tiopronin steht in Form von überzogenen Tabletten zum Einnehmen zur Verfügung. Diese sollten über den Tag verteilt eine halbe Stunde vor den Mahlzeiten unzerkaut mit ausreichend Flüssigkeit (z.B. einem Glas Wasser) eingenommen werden.

Wirkmechanismus

Der Wirkstoff Tiopronin (α-Mercaptoproprionylglycin) ist ein Chelatbildner. Über eine funktionelle Thiolgruppe (SH-Gruppe) können Schwermetalle in Abhängigkeit von Metallart und pH-Wert durch die Chelatkomplexbildung abgefangen und eliminiert werden.

Weiterhin spaltet Tiopronin durch Reduktion die Disulfidbrücke im Cystin-Molekül, wodurch dieses in Cystein und einen gut löslichen Cystein-Tiopronin-Komplex überführt wird. Die Cystinurie zählt zu den seltenen Erkrankungen (Orphan Disease) und wird durch einen genetischen, autosomal-rezessiven Defekt verursacht. Die Erkrankung ist charakterisiert durch eine verstärkte Ausscheidung der Aminosäure Cystin. Diese ist schwer löslich, wodurch ein erhöhtes Risiko zur Harnsteinbildung besteht, die mit Komplikationen wie Nierenfunktionsstörungen einhergehen kann. Tiopronin vermindert das Risiko der Bildung unlöslicher Cystin-Nierensteine.

Pharmakokinetik

Resorption

Tiopronin wird rasch resorbiert. Nach oraler Applikation werden die maximalen Plasmaspiegel nach einer Stunde erreicht.

Elimination

Es werden 70% bis 90% des Wirkstoffs innerhalb von 24 Stunden renal eliminiert.

Dosierung

Das Arzneimittel wird in den Stärken 100 mg und 250 mg Tiopronin vertrieben. Die Dosierung ist abhängig von Indikation und Körpergewicht bzw. Alter der Patienten.

Dosierung bei Cystinurie, Cystinurolithiasis

Tiopronin wird bei Cystinurie und Cystinurolithiasis nach Körpergewicht bzw. Alter dosiert. Die Tabletten können von Kindern ab 10 kg bis 12 kg Körpergewicht bzw. einem Alter von ein bis zwei Jahren eingenommen werden. Jugendliche und Erwachsene über 52 kg Körpergewicht bzw. ab einem Alter von 15 Jahren erhalten eine Einzeldosis von 200 mg bis 500 mg Tiopronin zwei bis dreimal täglich (entspricht 500 bis 900 mg Tiopronin). Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Dosis im Laufe der Therapie individuell erhöht werden muss, um einem Wiederanstieg der Cystin-Ausscheidung vorzubeugen. Dabei sollte eine Tagesdosis von 2.000 mg Tiopronin unabhängig vom Körpergewicht nicht überschritten werden.

Dosierung bei Schwermetallvergiftungen

Bei Schwermetallvergiftungen erhalten Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene fünf bis zehn Mal täglich eine Dosierung von 100 mg bzw. zwei bis sechsmal täglich eine Dosis von 250 mg Tiopronin. Die Dosierung sollte dabei der Intoxikation entsprechen, bei chronischen Vergiftungen muss einschleichend dosiert werden.

Dosierung bei Hämosiderose und Morbus Wilson

Jugendliche ab 15 Jahren und Erwachsene erhalten bei Hämosiderose und Morbus Wilson in der Regel zehn Mal 100 mg bzw. vier Mal 250 mg Tiopronin am Tag bei einem Körpergewicht von 70 kg.

Nebenwirkungen

Bei der Anwendung von Tiopronin treten gelegentlich (≥1/1.000 bis <1/100) Nebenwirkungen auf, dazu zählen:

  • Gastrointestinale Beschwerden wie Magenverstimmung und Diarrhoe
  • Störung des Geschmackssinns
  • Temperaturerhöhung
  • Hautreaktionen wie Pruritus, Stomatitis, Pemphigus, maculapapuläre Exantheme, Erythema multiforme, ekzematöse Eruptionen

Wechselwirkungen

Unter der Therapie mit Tiopronin sind die folgenden Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln zu beachten.

Kontraindikation

Die Anwendung von Tiopronin ist in den folgenden Fällen kontraindiziert.

  • Überempfindlichkeit gegen Tiopronin
  • Albuminurie
  • Glomerulonephritis
  • Myasthenie, Polymyositis
  • Arzneimittel-bedingte Zytopenien
  • Pemphigus
  • Stillzeit
  • Hereditäre Fructose-Intoleranz, Glucose-Galactose-Malabsorption, Saccharose-Isomaltase-Mangel, völliger Lactase-Mangel

Schwangerschaft/Stillzeit

Schwangerschaft

Bisher liegen keine Erfahrungen und nur unzureichende tierexperimentelle Studien zu den Auswirkungen der Einnahme von Tiopronin in der Schwangerschaft vor. Die Tierversuche zeigten eine Reproduktionstoxizität, allerding ist das potentielle Risiko für den Menschen nicht bekannt. Daher darf Tiopronin während der Schwangerschaft nur bei vitaler Indikation angewendet werden, generell ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Bewertung durchzuführen.

Stillzeit

Es ist weder bekannt, ob Tiopronin in die Muttermilch übertritt, noch ob ein potentielles Risiko für den Säugling besteht. In einer Studie an 100 Frauen, die Tiopronin einnahmen, kam es zur frühzeitigen Unterdrückung der Laktation. Die Anwendung von Tiopronin in der Stillzeit ist daher kontrainidziert.

Verkehrstüchtigkeit

Tiopronin könnte durch das Auftreten individuell unterschiedlicher Reaktionen, die insbesondere bei höheren Dosierungen vorkommen, zu Einschränkungen der Verkehrstüchtigkeit oder der Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen führen. Das gilt insbesondere bei Behandlungsbeginn sowie im Zuammenhang mit Alkohol oder Beruhigungs- und Schlafmitteln.

Anwendungshinweise

Während der Behandlung mit Tiopronin darf kein Alkohol konsumiert werden.

Vorsichtsmaßnahmen bei Patienten mit Cystinurie

Insbesondere bei Patienten mit Cystinurie sollte gleichzeitig auf eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden. Zusätzlich sollte eine Alkalisierung des Urins erfolgen und der Salzkonsum eingeschränkt werden, um eine vermehrte renale Cystin-Ausscheidung zu vermeiden. In der Langzeitbehandlung mit Tiopronin wird außerdem die Gabe von Vitamin B6 empfohlen.

Beim Einsatz von Tiopronin ist zu beachten, dass L-Cystein ein wichtiger Strukturbildern heterogener und homogener Peptid- und Proteinmoleküle sowie an der Biosynthese von Glutathion sowie Metallothioneine beteiligt ist. Weiterhin kann Tiopronin möglicherweise intrazelluläre Redoxpotentiale durch die Bildung von Disulfiden beeinflussen.

Überwachung von Blutbild und Urinstatus

Selten können Albuminurie infolge einer Nephropathie und Zytopenien auftreten. Aus diesem Grund sollten Blutbild und Urinstatus sorgfältig überwacht werden.

Schwefelgeruch und -geschmack

Schwefelhaltige Verbindungen wie Tiopronin weisen einen intensiven, unangenehmen Geschmack und Geruch auf. Dieser wird in der Regel durch technologische Methoden überdeckt. Sollte der Geruch dennoch wahrnehmbar sein, sind Pateinten darauf hinzuweisen, dass dies die Qualität und Wirkungsweise nicht beeinträchtigt.

Alternativen

Zur Therapie der Cystinurie bei unzureichender Wirkung der Alkalisierungstherapie sind derzeit neben Tiopronin keine alternativen Wirkstoffe verfügbar.

Bei der Anwendung von Tiopronin als Chelatbildner zur Komplexierung von Metallionen, kann der Wirkstoff durch andere Substanzen mit gleicher Wirkweise ersetzt werden. Die folgenden Chelatbildner werden bevorzugt angewendet.

  • Quecksilber-Intoxikation: DMPS (Dimercatpopropan-1-sulfonsäure)
  • Eisen-Intoxikation, Hämosiderose: Deferoxamin
  • Kupfer-Intoxikation: D-Penicillamin, DMPS
  • Morbus Wilson: D-Penicillamin, Trentine (Triethylentetramin-Dihydrochlorid) zur Förderung der Kupferausscheidung sowie Zinksulfat und -acetat zur Hemmung der Kupferabsorption

Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
163.2 g·mol-1
Autor:
Stand:
13.07.2021
Quelle:
  1. Desitin Arzneimittel GmbH: Fachinformation Thiola
  2. AWMF: S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis des Arbeitskreis Harnsteine der Akademie der Deutschen Urologen und der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V  (2018)
  3. AWMF: S1-Leitlinie zu Morbus Wilson der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (09/2012)
  4. AWMF: S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie der sekundären Eisenüberladung bei angeborenen Anämien der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) (06/2015)
  5. Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
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2 Präparate mit Tiopronin