Vinorelbin

Vinorelbin ist ein Vinca-Alkaloid aus den Blättern der Rosafarbenen Catharanthe (Vinca rosea L.), das als Zytostatikum zur Behandlung des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms und des metastasierenden Brustkrebs indiziert ist. Der Wirkstoff wird auch als Spindelgift bezeichnet, da er die Polymerisation von Tubulin verhindert.

Vinorelbin

Anwendung

Vinorelbin ist angezeigt zur Behandlung:

  • von nicht kleinzelligem Bronchialkarzinom
  • als Monotherapie bei metastasierendem Brustkrebs (Stadium 4), wenn eine Behandlung mit einer anthrazyklin- und taxanhaltigen Chemotherapie versagt hat oder nicht angezeigt ist.

Wirkmechanismus

Mikrotubuli bestehen aus einer primären Skelettstruktur von Tubulin-Heterodimeren (α- und β-Tubulin-Untereinheiten). Während der Mitose wachsen Mikrotubuli und entwickeln sich zur mitotischen Spindel, die sich mit Chromosomen verbindet. Abhängig vom Wechsel zwischen langsamem Wachstum und schnellem Schrumpfen schieben oder ziehen Mikrotubuli Chromosomen zu den Zellpolen.

Vinca-Alkaloide wie Vinorelbin binden an die β-Untereinheit des Tubulin-Dimers an der Vinca-Bindungsstelle im Äußeren der Mikrotubuli. Die Vinca-Bindungsdomäne auf β-Tubulin liegt nahe an der austauschbaren GTP-Bindungsstelle. Vinca-Alkaloide haben im Allgemeinen zwei unterschiedliche Bindungsstellen auf Mikrotubuli:

  • Bindung mit hoher Affinität zu Tubulin an den Plus-Enden der Mikrotubuli und
  • Bindung mit geringer Affinität zu Tubulin entlang der Seiten der Mikrotubuli-Oberfläche

Vinca-Alkaloide verursachen so eine Depolymerisation von Mikrotubuli, was zu einer Spiralisierung von Tubulin führt, die Polymerisation von Mikrotubuli unterbricht und schließlich die mitotische Progression blockiert.

Pharmakokinetik

Resorption

  • Vinorelbin wird schnell resorbiert, wobei die maximale Serumkonzentration innerhalb von 2 Stunden erreicht wird.
  • Vinorelbin wird stark an Thrombozyten und Lymphozyten sowie an Alpha-1-Säure-Glykoprotein, Albumin und Lipoproteine ​​gebunden.

Verteilung

  • Das Verteilungsvolumen ist groß, was auf eine ausgedehnte extravaskuläre Verteilung hinweist.
  • Das Verteilungsvolumen im Steady-State liegt zwischen 25,4 und 40,1 l/kg.

Metabolisierung

  • Vinorelbin wird beim Menschen in erheblichem Umfang über die Leber ausgeschieden.
  • Zwei Metaboliten von Vinorelbin wurden in menschlichem Blut, Plasma und Urin identifiziert: Vinorelbin-N-oxid und Deacetylvinorelbin.
  • Es wurde gezeigt, dass Deacetylvinorelbin der primäre Metabolit von Vinorelbin beim Menschen ist und dieser eine ähnliche Antitumoraktivität wie Vinorelbin besitzt.
  • Darüber hinaus gibt es zwei Nebenmetaboliten: 20'-Hydroxyvinorelbin und Vinorelbin-6'-oxid.
  • Therapeutische Dosen von Vinorelbin (30 mg/m2) führen zu sehr geringen, wenn überhaupt, quantifizierbaren Konzentrationen der beiden Metaboliten im Blut oder Urin.
  • Der Metabolismus von Vinorelbin wird durch hepatische Cytochrom-P450-Isoenzyme der CYP3A-Unterfamilie vermittelt.
  • Da die Leber den Hauptweg für die Metabolisierung des Arzneimittels darstellt, können Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion bei Standarddosierung eine erhöhte Toxizität aufweisen, es liegen jedoch keine Daten dazu vor.

Elimination

  • Vinorelbin wird beim Menschen in erheblichem Umfang über die Leber eliminiert, wobei nach intravenöser Verabreichung beim Menschen große Mengen im Stuhl wiedergefunden werden.
  • Die Urinausscheidung des unveränderten Arzneimittels macht weniger als 20% einer intravenösen Dosis aus, wobei die fäkale Ausscheidung weitere 30% bis 60% ausmacht.
  • Nach intravenöser Applikation von radioaktivem Vinorelbin wurden etwa 18% bzw. 46% der verabreichten Radioaktivität im Urin bzw. im Stuhl wiedergefunden.
  • Die Halbwertszeit der terminalen Phase betrug durchschnittlich 27,7 bis 43,6 Stunden; die mittlere Plasma-Clearance lag im Bereich von 0,97 bis 1,26 l/h/kg.
  • Die Plasmaclearance von Vinorelbin ist hoch und nähert sich dem hepatischen Blutfluss beim Menschen an.
  • Die Clearance lag in vier klinischen Studien mit Patienten, die 30 mg/m2 Vinorelbin erhielten, im Bereich von 0,29-1,/26 l/kg.

Dosierung

Bei Monotherapie beträgt die normale Dosis 25 bis 30 mg/m2 Körperoberfläche (KOF) Vinorelbin einmal wöchentlich.

Nebenwirkungen

Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen von Vinorelbin sind:

  • Knochenmarkdepression mit Neutropenie und Anämie
  • neurologische Störungen
  • gastrointestinale Toxizität mit Übelkeit, Erbrechen, Stomatitis und Obstipation
  • vorübergehende Anstiege von Leberwerten
  • Alopezie
  • lokale Phlebitis (Venenentzündung)

Wechselwirkungen

Folgende Wechselwirkungen sind bei der Anwendung von Vinorelbin zu beachten.

  • Blutgerinnungshemmer: Da das Risiko für eine Thrombose bei Tumorerkrankungen ansteigt, werden häufig Blutgerinnungshemmer zur Behandlung eingesetzt. Aufgrund der hohen intraindividuellen Variabilität der Blutgerinnung während des Krankheitsverlaufs und aufgrund einer möglichen Wechselwirkung von oralen Antikoagulanzien mit der Chemotherapie muss die Häufigkeit der Kontrolle des INR-Werts (International Normalized Ratio) erhöht werden.
  • Gelbfieber-Impfstoff: Die gleichzeitige Anwendung von Gelbfieber-Impfstoff ist kontraindiziert, da das Risiko einer tödlich verlaufenden Impfkrankheit besteht.
  • Attenuierte Lebendimpfstoffe: Die gleichzeitige Anwendung von attenuierten Lebendimpfstoffenist nicht empfehlenswert, da das Risiko einer möglicherweise tödlich verlaufenden Impfkrankheit besteht. Bei Patienten, die aufgrund der Grunderkrankung immungeschwächt sind, ist dieses Risiko erhöht.
  • Phenytoin: Es besteht das Risiko einer erneuten Verschlimmerung der Konvulsionen, da die Absorption des Phenytoins durch das zytotoxische Arzneimittel vermindertwird. Zudem besteht das Risiko eines Wirksamkeitsverlustes des zytotoxischen Arzneimittels, da der hepatische Metabolismus durch Phenytoin gesteigert wird.
  • Ciclosporin sowie Tacrolimus: Eine gleichzeitige Anwendung muss sorgfältig abgewogen werden, da es zu einer exzessiven Immundepression mit dem Risiko einer Lymphoproliferation kommen kann.
  • Itraconazol: Nicht empfehlenswert ist die gleichzeitige Anwendung von Itraconazol, da die Neurotoxizität der Vinca-Alkaloide aufgrund ihres erlangsamten hepatischen Metabolismus ansteigt.
  • Mitomycin C: Die gleichzeitige Verwendung von Mitomycin C muss sorgfältig abgewogen werden, da das Risiko des Auftretens von Dyspnoe und Bronchospasmen steigt. In seltenen Fällen wurde das Auftreten einer interstitiellen Pneumonie beobachtet.
  • Starke P-Glycoprotein (P-gp)-Modulatoren: Da Vinca-Alkaloide Substrate des P-gp sind, sollten starke Modulatoren dieses Membrantransporters (z. B. Ritonavir, Clarithromycin, Ciclosporin, Verapamil, Chinidin) nur unter Vorsicht angewendet werden.
  • Substanzen mit bekannter Knochenmarktoxizität: Verstärkung der myelosuppressiven Wirkung
  • CYP3A4-Induktoren oder -Inhibitoren: Da CYP3A4 das wichtigste am Abbau von Vinorelbin beteiligte Enzym ist, kann die Konzentration von Vinorelbin durch  induziert (wie Phenytoin, Phenobarbital, Rifampicin, Carbamazepin, Hypericum perforatum) oder -Inhibitoren (wie Itraconazol, Ketoconazol, HIV-Protease-Inhibitoren, Erythromycin, Clarithromycin, Telithromycin, Nefazodon) kann die Konzentration von Vinorelbin beeinflusst werden.
  • Cisplatin: Inzidenz einer Granulozytopenie ist bei kombinierter Anwendung von Cisplatin und Vinorelbin höher als bei einer Monotherapie mit Vinorelbin.
  • Lapatinib: In einer klinischen Phase-I-Studie mit intravenösem Vinorelbin in Verbindung mit Lapatinib zeigte sich eine erhöhte Inzidenz für Grad 3/4 Neutropenie. In dieser Studie war die empfohlene Dosis der intravenösen Form von Vinorelbin in einem 3-Wochenplan an Tag 1 und Tag 8 22,5 mg/m2 , wenn sie mit täglich 1000 mg Lapatinib kombiniert wurde. Diese Art der Kombination sollte mit Vorsicht verabreicht werden.
  • 5-Fluorouracil: Induzierte Mukosatoxizität kann durch Vinorelbin verstärkt werden; insbesondere, wenn 5-Fluorouracil in hohen Dosen und als Dauerinfusion in Kombination mit Folinsäure angewendet wird.

Kontraindikationen

Vinorelbin darf nicht angewendet werden bei:

  • bekannter Überempfindlichkeit gegen Vinorelbin oder andere Vinca-Alkaloide
  • Frauen im gebärfähigen Alter, die keine sicheren Verhütungsmaßnahmen anwenden
  • Frauen die stillen
  • schweren Infektionen (akut oder innerhalb der letzten 14 Tage)
  • Neutropenie (< 1500/mm3) oder Thrombozytopenie (< 100.000/mm3)
  • Anwendung von Gelbfieberimpfstoffen

Schwangerschaft

In Reproduktionsstudien an Tieren erwies sich Vinorelbin als embryo- und fetoletal sowie als teratogen, weshalb auch beim Menschen ein Risiko von embryonalen- und fetalen Missbildungen bei Anwendung in der Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden kann. Vinorelbin sollte daher nicht während der Schwangerschaft angewendet werden, es sei denn, der individuell erwartete Nutzen überwiegt das mögliche Risiko.

Stillzeit

Es ist nicht bekannt, ob Vinorelbin beim Menschen in die Muttermilch übergeht. In tierexperimentellen Studien wurde der Übergang von Vinorelbin in die Muttermilch nicht untersucht. Da ein Risiko für den Säugling nicht ausgeschlossen werden kann, muss vor Beginn der Behandlung mit Vinorelbin abgestillt werden.

Verkehrstüchtigkeit

Aufgrund des Nebenwirkungsprofils von Vinorelbin wird empfohlen, unter der Behandlung entsprechende Vorsicht im Straßenverkehr und beim Bedienen von Maschinen walten zu lassen.

Anwendungshinweise

Myelotoxizität

Die Anwendung von Vinorelbin ist mit dem Hauptrisiko einer Knochenmarkdepression assoziiert, weshalb bei der Behandlung engmaschige hämatologische Kontrollen notwendig sind. Der dosisbegrenzende toxische Effekt ist meistens eine Neutropenie. Dieser Effekt ist nicht kumulativ, hat seine stärkste Ausprägung zwischen dem 7. und 14. Tag nach Anwendung und ist schnell reversibel innerhalb von 5 – 7 Tagen. Bei einer Neutropenie (< 1500/mm3) und/oder einer Thrombozytopenie (< 100.000/mm3) ist mit der Behandlung bis zur Erholung zu warten (Anzahl der Neutrophilen > 1500/mm3 und der Thrombozyten > 100.000/mm3).

Ischämische Herzerkrankungen

Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten mit ischämischen Herzerkrankungen in der Vorgeschichte. Zur Vermeidung des Risikos von Bronchospasmen und Dyspnoe ist, speziell bei der Kombinationsbehandlung mit Mitomycin C, eine entsprechende Prophylaxe in Betracht zu ziehen. Ambulant therapierte Patienten müssen dahingehend unterrichtet werden, bei Atemnot einen Arzt zu rufen.

Strahlentherapie

Eine Behandlung mit Vinorelbin soll nicht gleichzeitig mit einer Strahlentherapie durchgeführt werden, wenn die Leber im bestrahlten Feld liegt.

Lebendimpfstoffe

Unter der Therapie mit Vinorelbin ist die Anwendung von Gelbfieber-Impfstoffen kontraindiziert. Die gleichzeitige Anwendung mit anderen attenuierten Lebendimpfstoffen wird nicht empfohlen.

Antiemese

Aufgrund des sehr häufigen Auftretens von Übelkeit und Erbrechen wird eine antiemetische Therapie vor der Anwendung von Vinorelbin empfohlen.

Alternativen

Weitere Vinca-Alkaloide sind:

Wirkstoff-Informationen

Molare Masse:
778.93 g·mol-1
Mittlere Halbwertszeit:
ca. 40.0 H
Q0-Wert:
0.7
Autor:
Stand:
14.06.2022
Quelle:
  1. Fachinformation Vinorelbin-ratiopharm
  2. DrugBank: Vinorelbine https://go.drugbank.com/drugs/DB00361, abgerufen am 12.06.2022
  3. Zhang, Y., Yang, S. H., & Guo, X. L. (2017). New insights into Vinca alkaloids resistance mechanism and circumvention in lung cancer. Biomedicine & Pharmacotherapy, 96, 659-666.
  4. Kruczynski, A., & Hill, B. T. (2001). Vinflunine, the latest Vinca alkaloid in clinical development: a review of its preclinical anticancer properties. Critical reviews in oncology/hematology, 40(2), 159-173.
  5. Bast Jr, R. C., & Holland, J. F. (2010). Holland-Frei cancer medicine 8. PMPH-USA.
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