Alemtuzumab
Der intravenös zu verabreichende monoklonale Antikörper Altemtuzumab wird bei Patienten mit hochaktiver Multipler Sklerose angewendet. Er richtet sich gegen das Oberflächenprotein CD52 vor allem auf B-und T-Lymphozyten und wirkt immunmodulatorisch über zell- und komplementvermittelte Zytolyse.
Alemtuzumab: Übersicht
Anwendung
Alemtuzumab ist ein krankheitsmodifizierender Arzneistoff, der als Monotherapie verabreicht wird. Angewendet wird Alemtuzumab bei Patienten mit hochaktiver schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (relapsing remitting multiple sclerosis, RRMS), die folgenden Kriterien entsprechen
- Hochaktive Erkrankung trotz umfassender und andauernder Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie (disease modifying therapy, DMT)
- Rasch fortschreitende Erkrankung (zwei oder mehr Schübe mit Behinderungsprogression pro Jahr), einer oder mehr Gadolinium-anreichernden Läsionen in der MRT (Magnetresonanztomographie) des Gehirns oder mit einer signifikanten Erhöhung der T2-Läsionen im Vergleich zu einer kürzlich durchgeführten MRT.
Anwendungsart
Alemtuzumab ist in Form eines Konzentrates zur Herstellung einer Infusionslösung auf dem deutschen Markt verfügbar. Nach Verdünnung in 0,9%iger Natriumchlorid- oder 5%iger Glukose-Lösung, ist die Infusionslösung unmittelbar zu verabreichen.
Wirkmechanismus
Alemtuzumab ist ein rekombinanter, aus DNA abgeleiteter, humanisierter monoklonaler IgG1-Antikörper, der sich gegen das CD52-Antigen auf der Zelloberfläche von T-Lymphozyten (CD3+), B-Lymphozyten (CD19+) sowie NK-Zellen (natürlichen Killerzellen), Monozyten und Makrophagen richtet. Nach der Bindung an CD25 werden die Immunzellen durch antikörperabhängige, zellvermittelte Zytolyse und komplementvermittelte Lyse eliminiert.
Der genaue Wirkmechanismus bei Multipler Sklerose ist noch nicht geklärt. Die Depletion von B- und T-Zellen durch Alemtuzumab und die darauffolgende Repopulation können das Potenzial für einen Schub verkleinern. Dies führt zu einer Verzögerung der Progression der Multiplen Sklerose. Der niedrigste Wert der B- und T-Zellen ist etwa einen Monat nach der Behandlung zu erwarten.
Pharmakokinetik
Resorption und Verteilung
Alemtuzumab wird als intravenöse Infusion verabreicht. Bei der Behandlung steigen die Serumspiegel mit jeder Dosis, wobei cmax nach der letzten Infusion einer Behandlungsphase erreicht wird (bei 12 mg/Tag 3014 ng/ml bzw. 2275 ng/ml an Tag drei der zweiten Behandlungsphase).
Metabolismus und Elimination
Klassische Studien zur Biotransformation von Alemtuzumab wurden nicht durchgeführt. Durch den strukturellen Aufbau von Antikörpern (Proteine) wird erwartet, dass der Abbau durch proteolytische Enzyme in kleine Peptide und einzelne Aminosäuren erfolgt. Die Halbwertszeit von Alemtuzumab beträgt in der ersten Behandlungsphase etwa 4 bis 5 Tage und ist in den weiteren Phasen vergleichbar.
Dosierung
Die empfohlene Dosis Alemtuzumab beträgt 12 mg/Tag als intravenöse Infusion initial in zwei Behandlungsphasen (optional zwei weitere Behandlungsphasen nach Bedarf)
- 12 mg/Tag an fünf aufeinander folgenden Tagen (insgesamt 60 mg)
- 12mg/Tag an drei aufeinander folgenden Tagen (insgesamt 35 mg) verabreicht 12 Monate nach der ersten Behandlungsphase
- Optional können nach abermals 12 (bzw. 24) Monaten erneut 12 mg/Tag an drei aufeinander folgenden Tagen verabreicht werden
Nebenwirkungen
Die folgenden Nebenwirkungen treten unter der Behandlung mit Alemtuzumab sehr häufig (≥1/10) auf.
- Infektionen der oberen Atemwege, Harnwegsinfektion, Herpesvirus-Infektion
- Lymphopenie, Leukopenie einschließlich Neutropenie
- Basedow-Krankheit, Hyperthyreose, Hypothyreose
- Kopfschmerzen
- Tachykardie
- Hitzegefühl
- Übelkeit
- Urtikaria, Ausschlag, Pruritus, generalisierter Ausschlag
- Pyrexie, Ermüdung, Schüttelfrost
Es kann durch die Behandlung mit Alemtuzumab zu einer Autoimmunität und einem erhöhten Risiko für autoimmun vermittelte Erkrankungen (z.B. Idiopathische thrombozytopenische Purpura, Schilddrüsenerkrankungen, Nephropathien, Zytopenien) kommen. Diese können potenziell lebensbedrohlich oder tödlich sein.
Wechselwirkungen
Es wurden keine formalen Wechselwirkungsstudien mit Alemtuzumab unter Anwendung der empfohlenen Dosis für Patienten mit Multipler Sklerose durchgeführt.
Kontraindikation
Folgende Gegenanzeigen für die Gabe von Alemtuzumab sind bekannt.
- Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff
- HIV-Infektion
- Schwere aktive Infektion, bis diese vollständig abgeklungen ist
- Unkontrollierte Hypertonie
- Dissektionen zervikozephaler Arterien in der Anamnese
- Schlaganfall in der Anamnese
- Angina pectoris oder Myokardinfarkt in der Anamnese
- Bekannte Koagulopathie, unter Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern oder Antikoagulanzien
- Bbestehende Autoimmunerkrankung (außer Multiple Sklerose)
Schwangerschaft
Bei Alemtuzumab handelt es sich um einen IgG1-Antikörper, der wie alle Antikörper die Plazenta passieren kann. Aufgrund dessen kann Alemtuzumab ein potenzielles Risiko für das ungeborene Kind darstellen. Im Tierversuch wurde Reproduktionstoxitität nachgewiesen, ob es auch beim Menschen zu Fruchtschädigung kommen kann, ist nicht bekannt.
Stillzeit
Ein Risiko für den Säugling kann nicht ausgeschlossen werden, weshalb Frauen, die Alemtuzumab verabreicht bekommen, ihre Säuglinge nicht stillen sollten. Bei Tierversuchen an Mäusen konnte Alemtuzumab in der Milch und bei den Jungen der Mäuse nachgewiesen werden.
Verkehrstüchtigkeit
Alemtuzumab hat einen geringen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen. Es können jedoch infusionsassoziierte Reaktionen auftreten (beispielsweise Schwindelgefühl), die zu einer Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit und der Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen führen können.
Anwendungshinweise
Die Therapie mit Alemtuzumab (inklusive Einleitung und Überwachung) sollte durch einen in der Behandlung von Patienten mit Multipler Sklerose erfahrenen Mediziner durchgeführt werden. Die Anwendung ist im Krankenhaus mit einer Möglichkeit der sofortigen intensivmedizinischen Behandlung durchzuführen.
Alemtuzumab ist nur Patienten zu verabreichen, deren aktuelle Therapie nicht ausreichend wirksam ist. Patienten müssen vor der Behandlung über Risiken und Nutzen der Behandlung aufgeklärt werden und sich verpflichten, sich zu einer Sicherheitsnachbehandlung ab Beginn bis 48 Monate nach der letzten Behandlung zur Verfügung zu halten.
Prävention
Es wird empfohlen, dass Patienten mindestens sechs Wochen vor Behandlungsbeginn alle empfohlenen Impfungen bekommen haben sollten. Es sollte ein Varizella-Zoster-Virus-Antikörper Titer bestimmt werden, insofern keine Windpockenerkrankung in der Anamnese vorliegt. Eine Prophylaxe mit oralen Antiherpetika wird bei jedem Patienten durchgeführt.
Um infusionsassoziierte Reaktionen abzumildern, wird eine entsprechende Vorbehandlung der Patienten empfohlen.
Überwachung
Vor der Infusion von Alemtuzumab sollte ein EKG (Elektrokardiogramm), eine Vitalparameterbestimmung und eine Laboruntersuchung durchgeführt werden.
Während der Infusion sollten die Vitalparameter mindestens stündlich überwacht werden. Weiterhin sollten ein großes Blutbild mit Differentialblutbild erstellt, Serumtransaminase- und Serumkreatininspiegel bestimmt werden sowie eine Urinanalyse mit Mikroskopie und ein Schilddrüsenfunktionstest durchgeführt werden.
Nach Abschluss der Behandlung sollte der Patient mindestens zwei Stunden überwacht werden. Die Thrombozytenzahl sollte unmittelbar nach der Infusion, an Tag drei und an Tag fünf bestimmt werden.
Alternativen
Die Immuntherapie der RRMS sollte sich nach der Aktivität der Erkrankung (Schubfrequenz, Schubschwere, Ansprechen auf Schubtherapie, Krankheitsprogression und MRT-Befunden) richten. Eine Alternative zu Alemtuzumab sollte unter patientenindividuellen Aspekten (u.a. Schubrate, Nebenwirkungen, Art der Applikation, Monitoring, Wirkdauer, Alter, Komorbiditäten) erwogen werden. Mögliche Alternativen einer ähnlichen Wirksamkeit sind CD20-Antikörper (Ocrelizumab, Rituximab) und dem Alpha-4-Integrin-Antikörper Natalizumab.
Wird ein Medikament dieser Wirksamkeit benötigt, sollte Alemtuzumab nur noch zum Einsatz kommen, wenn eine Therapie mit Natalizumab oder CD20-Antikörpern unmöglich ist oder diese Behandlungen wegen Nebenwirkungen oder mangelnder Wirksamkeit beendet werden mussten.
Weitere Informationen sind der jeweiligen Fachinformation zu entnehmen.
Wirkstoff-Informationen
- EMA: Fachinformation Lemtrada
- DGN: S2k-Leitlinie zur Diagnose und Therapie der MS, NMOSD und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen in der Konsultationsfassung, Stand 18. August 2020
- Rote-Hand-Brief LEMTRADA (Alemtuzumab): Einschränkung der Indikation, zusätzliche Gegenanzeigen und risikominimierende Maßnahmen, Januar 2020
- Geisslinger, Menzel, Gundermann, Hinz, Ruth (2020) Mutschler Arzneimittelwirkungen, 11. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart