
Am 06. Mai 2022 wurden in England bei einem Mann, der kurz zuvor nach Nigeria gereist war, Affenpocken diagnostiziert. Eine Woche später erkrankten zwei weitere Personen an der Infektionserkrankung, ohne dass ein Zusammenhang mit dem ersten Patienten bestand. Bis zum 12. September 2022 wurden im Vereinigten Königreich 3.552 Affenpocken-Diagnosen bestätigt.Die internationale Ausbreitung des Virus hat zum größten gemeldeten Ausbruch von Affenpocken außerhalb von Afrika geführt. Im Juli 2022 erklärte die WHO den Ausbruch zum internationalen Gesundheitsnotfall.
Zielsetzung
Um die Übertragungsdynamik des Affenpockenvirus zu verstehen, sind genaue Schätzungen der Zeit zwischen aufeinander folgenden Infektionen (Generationszeit) und der Zeit von der Ansteckung bis zur Symptomentwicklung (Inkubationszeit) erforderlich.
Da die Infektionszeit nur selten direkt beobachtet werden kann, wird die Generationszeit im Allgemeinen anhand des seriellen Intervalls geschätzt. Das ist die Zeit zwischen dem Auftreten der Symptome bei einem Primärfall (einer Person mit der Indexinfektion) und dem Auftreten von Beschwerden bei einem Sekundärfall (einer Person, die durch den Primärfall infiziert wird).
Die Transmissionsdynamik des Affenpockenvirus (Monkeypox virus, MPV) wurde von WissenschaftlerInnen um Thomas Ward von der britischen Gesundheitsbehörde in London untersucht.
Schätzungen des Serienintervalls und der Inkubationszeit helfen neben dem Verständnis der Dynamik der Virusübertragung auch bei Entscheidungen über Quarantänezeiten nach der Infektion bzw. Isolationszeiten nach dem Kontakt.
Methodik
Um das Serienintervall und die Inkubationszeit bei Affenpocken zu schätzen, analysierte das Team um Ward eine große Stichprobe aus den Überwachungs- und Kontaktverfolgungsdaten der UK Health Security Agency (UKHSA). Für Angaben zur Inkubationszeit wurden ausgefüllte Fragebögen ausgewertet und infizierte Personen mit wahrscheinlichen Expositionsdaten in Verbindung gebracht. Erkenntnisse über das serielle Intervall lieferten die von den Betroffenen selbst angegebenen Daten über das Auftreten der Symptome sowie verknüpfte Fall-Kontakt-Paare (verknüpfte Paare von Primär- und Sekundärfällen).
Die Inkubationszeit und das serielle Intervall einer Affenpockeninfektion wurden mittels zwei Zeitverzögerungsmodellen bestimmt (intervallzensiert korrigiert [ICC] und rechtszensiert korrigiert [ICC]), die Wachstumsraten der Fälle nach dem Meldedatum der Affenpockenvirus-Infektion mit Hilfe verallgemeinerter additiver Modelle geschätzt.
Insgesamt werteten die Forschenden Daten von 2.746 Personen mit einer durch Polymerase-Kettenreaktion bestätigten Affenpockenvirus-Infektion im Vereinigten Königreich zwischen dem 06. Mai und 01. August 2022 aus. Das Durchschnittsalter lag bei 37,8 Jahren; 95% waren Männer, die Sex mit Männern hatten (MSM).
Ergebnisse
Mit dem ICC-Modell wurde die mittlere Inkubationszeit auf 7,6 Tage (95%-KI: 6,5 bis 9,9) und mit dem ICRTC-Modell auf 7,8 Tage (95%-KI: 6,6 bis 9,2) geschätzt. Das geschätzte mittlere Serienintervall betrug 8,0 Tage (95%-KI: 6,5 bis 9,8) bei Verwendung des ICC-Modells und 9,5 Tage (95%-KI: 7,4 bis 12,3) bei Verwendung des ICRTC-Modells. Obwohl das mittlere Serienintervall bei beiden Modellen länger war als die Inkubationszeit, waren kurze Serienintervalle häufiger als kurze Inkubationszeiten.
Die Forschenden schlussfolgerten, dass eine beträchtliche Zahl an Ansteckungen in der präsymptomatischen Phase stattgefunden haben musste. Eine weiterführende Berechnung zeigte tatsächlich bei 10 von 13 Indexpatient-Kontaktperson-Paaren eine präsymptomatische Übertragung. Die früheste Ansteckung wurde vier Tage vor Symptombeginn festgestellt.
Fazit
Die Analyse der momentanen Wachstumsrate der Affenpocken-Inzidenz zeigt, dass die Epidemie im Vereinigten Königreich am 09. Juli 2022 ihren Höhepunkt erreichte und dann abnahm. Kurze Serienintervalle waren häufiger als kurze Inkubationszeiten, was auf eine beträchtliche präsymptomatische Übertragung hindeutet. Diese konnte durch verknüpfte Fall-Kontakt-Paar-Daten bestätigt werden.
Bei Patienten, die anhand von personenbezogenen Daten zugeordnet werden konnten, wurde eine Übertragung von maximal vier Tagen vor dem Auftreten von Symptomen identifiziert. Aufgrund der Studienergebnisse wäre eine Isolationsdauer von 16 bis 23 Tagen erforderlich, um 95% der Personen mit einer potenziellen Affenpockenvirus-Infektion zu detektieren, so die Studienautoren.