
Wenn Patienten mit chronischem Pruritus gefragt werden, was sie gegen die Juckreizattacken unternehmen, steht, nach Kratzen und Cremen, Kühlen ganz oben auf der Liste [2]. Die Methoden reichten von der kalten Dusche, über kalte Umschläge, Cool-Packs, die Kühlfunktion des Föns sowie Ventilatoren bis hin zu Ausziehen und nach draußen gehen, wie Dr. Simon Müller vom Universitätsspital Basel berichtete.
Wirkweise der Kälte
Der Reiz auf Kälte-sensitive C-Fasern regt die im Hinterhorn des Rückenmarks befindlichen Interneurone an, die sich auf die Juckreiz-leitenden Nervenfasern dämpfend auswirken. Zudem wird der Juckreiz durch einen Kältereiz überlagert.
Auch Menthol kühlt
Die Kälte-Rezeptoren, genauer gesagt TRMP8 (Transient receptor potential cation channel subfamily melastatinmember 8) der Haut werden nicht nur durch die Kälte selbst anregt, das funktioniert auch mit den TRMP8-Agonisten Menthol. Allerdings hält der Kühleffekt nur wenige Minuten an, eine Konzentration über 5% ist aufgrund der Löslichkeit und der Hautreizung nicht möglich. Neue TRPM8-Agonisten mit einer stärkeren bzw. längeren Aktivierung von TRPM8 sind in der Entwicklung.
Blau senkt Pruritus
Die Alltagsbeobachtung, dass es auch gesunde Personen juckt, wenn sie jemanden sehen, der sich heftig kratz, nennt sich „Visuelle Juckreizübertragung“ oder „contagious itch“. Dieses Phänomen lässt sich in Verbindung mit der Kälte-Physiologie therapeutisch nutzen. Müller berichtete von einem Experiment mit Farben, wobei gemeinhin blau mit Kälte und rot mit Hitze assoziiert wird. Juckreizpatienten ließ man 10 min auf einen blauen Bildschirm blicken. Dabei ging der Juckreiz tatsächlich etwas zurück. Blickten die Probanden allerdings auf einen roten Bildschirm, stieg der Juckreiz an [3].
Warum es im Bett besonders juckt
Fast jeder hat es schon einmal erlebt: Im warmen Bett juckt es stärker. Hauptgrund dafür ist, dass der Wärme-Rezeptor TRPV1 (transient receptor potential cation channel subfamily V member 1) normalerweise erst bei einer Temperatur von 42 °C angeregt wird. Diese Schwelle liege allerdings bei entzündeter Haut deutlich niedriger, eben bei Temperaturen wie sie auch im warmen Bett herrschten, so Müller. Dazu kommt, dass im Bett keine Ablenkung besteht und die Patienten sich auf den Juckreiz konzentrieren können. Des Weiteren entwickelt sich bei vielen Betroffenen eine Alloknesis: Normalerweise harmlose taktile Stimuli, wie der Schlafanzug oder die Bettdecke auf der Haut, lösen Juckreiz aus.
Wärme verstärkt, Hitze senkt den Juckreiz
Auch die Wärme-Rezeptoren lassen sich austricksen: Capsaicin (der „Scharfmacher“ im Chili) wirkt als TRPV1-Agonist und induziert zunächst ein Brennen. Durch die permanente Aktivierung wird jedoch der Rezeptor desensibilisiert − die Folge: das Jucken verringert sich. Auch ein Schmerzreiz, ähnlich wie er beim schmerzhaften Kratzen entsteht, lässt den Pruritus zurückgehen. Ein Beispiel dafür ist der „Bite-Away Stift“, entwickelt für die Behandlung von juckenden Insektenstichen. Dieser erzeugt elektrisch für 3 bis6 Sekunden eine Hitze von 51°C. Diese aktiviert über den TRPV1 eine schmerzhafte Hitzesensation, die im Hinterhorn wiederum die Interneurone aktiviert, die ihrerseits hemmend auf die Juckreiz-leidenden Fasern wirken. Das Resultat: es schmerzt kurz, aber der Juckreiz vergeht für längere Zeit [3].