
Ein niedrigerer HbA1c-Wert ist langfristig mit einem geringeren Risiko für diabetesbedingte Folgeerkrankungen verbunden. Bei besonders vulnerablen Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes (T1D) ist die Versorgung mit halbautomatischen Systemen aus Insulinpumpen und Glukosesensoren (kontinuierliche Glukosemessung [continuous glucose monitoring, CGM]) Standard.
Auch ein als „closed loop“ (geschlossenes Kreislaufsystem) oder „artifical pancreas“ (künstliche Bauchspeicheldrüse) bezeichnetes System ist inzwischen als „automated insulin delivery“ (AID, automatische Insulinabgabe) verfügbar. Dabei ermöglicht eine Software die Kommunikation zwischen CGM und Insulinpumpe und steuert die Insulinabgabe basierend auf der Entwicklung des Blutglukosespiegels.
Fachgesellschaften fordern Verordnungsfähigkeit von AID-Systemen
Die technischen Hilfsmittel verbessern nicht nur die glykämische Kontrolle, sondern verringern auch schwerwiegende Komplikationen, wie zum Beispiel eine Überdosierung von Insulin, verbessern den Nachtschlaf von Eltern und Kindern und sind mit einer hohen Patienten- und Elternzufriedenheit verbunden. Die derzeit auf dem Markt verfügbaren Systeme sind allerdings erst ab dem Vorschulalter zugelassen oder werden von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht übernommen.
Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) und die Deutsche Gesellschaft für Kinderendokrinologie und -Diabetologie (DGKED) forderten zur Versorgung von Kindern und Jugendlichen die Verordnungsfähigkeit aller AID-Systeme.
Nun stützen Daten einer aktuellen Studie, die zum ersten Mal die Vorteile der hybriden Closed-Loop-Therapie gegenüber der sensorgestützten Pumpentherapie bei sehr jungen Kindern mit T1D belegen, die Forderung.
Zielsetzung
Dr. Julia Ware vom »Wellcome Trust–Medical Research Council (MRC) Institute of Metabolic Science« und dem »Department of Paediatrics« der University of Cambridge, Großbritannien, untersuchte mit Kollegen des KidsAP-Konsortiums die Verwendung eines Closed-Loop-Systems im Vergleich zur sensorgestützten Pumpentherapie (ohne die Gerätekommunikation als Steuerung) bei Kindern mit T1D im Alter von ein bis sieben Jahren.
Das Ziel der Wissenschaftler war es, im Rahmen einer klinischen Studie festzustellen, ob eine automatisierte 24/7-Glukosekontrolle mit Closed-Loop-System die Glukosekontrolle, gemessen anhand der Zeit innerhalb des Zielbereichs, im Vergleich zur sensorgestützten Pumpentherapie verbessert.
In einer Verlängerungsphase sollten die Auswirkungen der langfristigen 24/7-Anwendung der automatisierten Insulinabgabe mittels Closed-Loop-System auf die Glukosekontrolle im häuslichen Umfeld bewertet werden.
Weitere Studienziele waren die Bewertung der Therapiesicherheit, des Nutzens in Form von Akzeptanz und Anwendungsdauer des Closed-Loop-Systems in dieser Population, der emotionalen Reaktionen und Veränderungen im Verhalten von Teilnehmern und Eltern/ Erziehungsberechtigten sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse, um die Entscheidungsfindung bei der Erstattung zu unterstützen.
Die Ergebnisse der Studie veröffentlichte die Studiengruppe im Fachblatt »New England Journal of Medicine« [1].
Methodik
Die Wissenschaftler führten die offene, randomisierte Crossover-Studie KidsAP02 (NCT03784027) an sieben Zentren in Österreich, Deutschland, Luxemburg und Großbritannien durch. An der Studie konnten Kinder im Alter von ein bis sieben Jahren mit T1D, die eine Insulinpumpentherapie erhielten, teilnehmen.
Die Studie umfasste zwei jeweils 16-wöchige Behandlungsphasen, in denen zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels das CamAPS FX Hybrid-Closed-Loop-System oder eine sensorgestützte Pumpentherapie als Kontrolle zum Einsatz kamen. Die Reihenfolge der Behandlungen wurde nach dem Zufallsprinzip bestimmt. Abgesehen von den Mahlzeiten arbeitete das Closed-Loop-System vollautomatisch, sodass die Eltern den Blutzuckerspiegel ihres Kindes nicht ständig überwachen mussten.
Der primäre Endpunkt war der Unterschied im Anteil der Zeit, in der die Sensorglukosemessung während des 16-wöchigen Beobachtungszeitraums im Zielbereich (70 bis 180 mg/dL [3,9 und 10,0 mmol/L]) lag. Für die Analyse verwendeten die Wissenschaftler die Daten der Intention-to-Treat-Population.
Zu den wichtigsten sekundären Endpunkten gehörten der Prozentsatz der Zeit, in dem sich die Kinder in einem hyperglykämischen Zustand befanden (Glukosespiegel >180 mg/dL), der Anteil an glykiertem Hämoglobin (HbA1c), der mittlere Sensorglukosespiegel und der Prozentsatz der Zeit, in dem sich die Kinder in einem hypoglykämischen Zustand befanden (Glukosespiegel <70 mg/dL).
Außerdem wurden Aspekte der Therapiesicherheit, wie die Häufigkeit des Auftretens und die Schwere von hypoglykämischen Episoden und diabetischer Ketoazidose bewertet.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 74 Kinder nach dem Zufallsprinzip einer Studiengruppe zugeordnet. Das mittlere Alter (± SD) der Teilnehmer betrug 5,6 ± 1,6 Jahre. Der Anteil an glykiertem Hämoglobin betrug 7,3 ± 0,7%.
Während der Closed-Loop-Periode lagen die Blutglukosewerte der Kinder um 8,7 Prozentpunkte (95%-Konfidenzintervall [KI] 7,4 bis 9,9) der Zeit öfter im Zielglukosebereich als während der Kontrollperiode (p<0,001). Die mittlere adjustierte Differenz (Closed-Loop minus Kontrolle) im Prozentsatz der Zeit, die die Kinder in einem hyperglykämischen Zustand verbrachten, betrug −8,5 Prozentpunkte (95%-KI −9,9 bis −7,1), die Differenz im glykierten Hämoglobinspiegel −0,4 Prozentpunkte (95%-KI −0,5 bis −0,3) und die Differenz im mittleren Sensorglukosespiegel −12,3 mg/dL (95%-KI −14,8 bis −9,8) (p<0,001 für alle Vergleiche).
Die Zeit, die die Kinder in einem hypoglykämischen Zustand verbrachten, war bei den beiden Behandlungen ähnlich (p=0,74). Innerhalb des 16-wöchigen Closed-Loop-Zeitraums arbeitete das System im Median 95% (Interquartilsbereich 92 bis 97) der Zeit im Closed-Loop-Modus.
Ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis, eine schwere Hypoglykämie, trat während der Closed-Loop-Periode auf. Die Wissenschaftler beobachteten ein weiteres schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis, das als nicht mit der Behandlung zusammenhängend angesehen wurde. Es gab keine Episoden von diabetischer Ketoazidose. Die Raten anderer unerwünschter Ereignisse unterschieden sich zwischen den beiden Gruppen nicht.
Fazit
Die Verwendung eines hybriden Closed-Loop-Systems verbesserte signifikant die glykämische Kontrolle bei sehr jungen Kindern mit T1D, ohne die Zeit in einer Hypoglykämie zu verlängern, fassten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse zusammen. Der Unterschied bedeutet klinisch bedeutsame 125 Minuten pro Tag und die Blutglukosewerte der Kinder lagen damit rund drei Viertel des Tages (71,6%) im Zielbereich, betonten die Studienautoren.
Die bessere Kontrolle des Blutzuckerspiegels kann für die Kinder das Risiko für neurokognitive Defizite minimieren. Außerdem meinen die Forscher, dass sich durch die Einhaltung der Zielwerte über Nacht die Schlafqualität sowohl für die Kinder als auch für ihre Eltern verbessern könnte. Insgesamt beschrieben Eltern die Nutzung des Closed-Loop-Systems als „lebensverändernd“, die Lebensqualität habe sich deutlich verbessert [2].
Die Studie wurde von der Europäischen Kommission (Horizon 2020-Rahmenprogramm), dem NIHR Cambridge Biomedical Research Centre und der Juvenile Diabetes Research Foundation (JDRF) finanziert. CamAPS FX ist über eine Reihe von NHS-Trusts in ganz Großbritannien erhältlich.