
Der technologische Fortschritt schreitet auch in der Diabetologie voran. Sensoren zur kontinuierlichen Glukosemessung, Insulinpumpen und Hybrid-Systeme sollen die Blutzuckerkontrolle weiter verbessern.
Menschen mit einem Insulinmangel haben ein deutlich erhöhtes Hypoglykämie-Risiko als Menschen mit Insulinresistenz. Auch die Art der Therapie spielt eine Rolle. Insulin ist das Antidiabetikum mit dem höchsten Hypoglykämie-Risiko, danach folgen in einigem Abstand insulinotrope Arzneimittel. Leichte Hypoglykämien (Plasmaglukose <4 mmol/l bzw. <72 mg/dl) sind selten gefährlich, Betroffene können sich in der Regel selbst helfen. Schwere Hypoglykämien stellen jedoch eine vitale Gefährdung dar, die Fremdhilfe nötig machen, um die Stoffwechselentgleisung zu bewältigen [2].
Bei dem XXXII. Internationalen Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V. (DZT) referierte Prof. Dr. med. Julia Mader von der medizinischen Universität Graz über die Prävention von Hypoglykämien mithilfe von Diabetestechnologien.
CGM-Systeme
Systeme zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) messen den Blutzucker im Unterhautfettgewebe. Sie zeigen einige Vorteile gegenüber der kapillären Messung. Die Systeme warnen vor Hypoglykämien, zeichnen auch nächtliche Phasen auf und sind einfacher zu handhaben. Einen Nachteil stellt allerdings die Ungenauigkeit der Sensoren gerade in den unteren Blutzuckerbereichen (<70 mg/dl) dar [3].
Ungenauigkeit im hypoglykämischen Bereich
Dies zeigt beispielsweise eine Studie an 37 Kindern mit Typ-1-Diabets, die an einem zweiwöchigen Sommercamp der Österreichischen Diabetikervereinigung teilnahmen. Es wurde die mittlere absolute relative Differenz (MARD) für gleichzeitig verfügbare Datenpaare aus Kapillarglukose- und Sensorwerten bestimmt. Während die Sensorgenauigkeit im Bereich der Normo- und Hyperglykämie recht hoch war, zeigten alle drei untersuchten CGM-Systeme ein MARD über 15% (Abbott FSL 17,7%, 95%-Konfidenzintervall [KI] 9,0-27,7; Dexcom G6 18,7%, 95%-KI 10,1-23,5; Medtronic Enlite 15,0%, 95%-KI 9,9-30,0) im hypoglykämischen Bereich [4].
Die ungenauen Werte im hypoglykämischen Bereich bergen sowohl ein Risiko für eine Unter-, als auch Überschätzung der Blutzuckerspiegel, so Mader. Eine Studie, die beim EASD 2020 vorgestellt wurde, bestätigte dies ebenfalls. Die 15 teilnehmenden Typ-1-Diabetiker erhielten 48 Stunden vor Studienbeginn ein CGM-Gerät und wurden später künstlich in den hypoglykämischen Bereich gebracht. Die CGM-Systeme zeigten im Vergleich zur Plasmaglukose um 8% erhöhte Werte im normo- und um 19% erhöhte Werte im hypoglykämischen Bereich an (p<0,05) [5].
Reduktion der Hypoglykämie-Ereignisse?
Eine Längsschnittanalyse von Real-world-Daten 3.553 pädiatrischer Patienten mit Typ-1-Diabetes aus dem deutsch-österreichisch-schweizerisch-luxemburgischen »Diabetes Prospective Follow-up (DPV)-Register« betrachtete die glykämische Kontrolle im Verlauf eines Jahres nach Einführung eines CGM-Systems. Das mittlere Alter der Teilnehmenden lag bei 12,1 Jahren und die Diabetesdauer bei 4,2 Jahren, 53% waren männlich. Es verwendeten 62% der Patienten eine Insulinpumpe. Es wurden neben HbA1c-Werten und diabetischer Ketoazidosen auch schwere Hypoglykämien detektiert.
Sowohl 6 Monate als auch 12 Monate nach Beginn der CGM-Behandlung erlitten signifikant weniger Patienten mindestens eine schwere Hypoglykämie, die Fremdhilfe erforderte (6 Monate: 3,4 vs. 1,8 Ereignisse, p<0,0001; 12 Monate: 3,4 vs. 2,6 Ereignisse; p=0,0366). Zudem sank die Anzahl von Patienten mit einer oder mehreren Episoden von durch schwere Hypoglykämie bedingtem Koma (6 Monate: 1,4 vs. 0,5 Ereignisse, p<0,0001; 12 Monate: 1,4 vs. 0,8 Ereignisse, p=0,0153). Die jeweiligen Ereignisraten waren zwar nach CGM-Nutzung ebenfalls niedriger, sanken aber nicht statistisch signifikant [6].
Vergleich isCGM und rtCGM
Zum Vergleich der kontinuierliche Glukosemessung in Echtzeit mit Alarmsystemen (real-time CGM, rtCGM) mit einer Intervall-Messung (intermittently scanned CGM, isCGM) liegen bisher wenige Daten vor. In der prospektiven, multizentrischen, randomisierten und kontrollierten ALERTT1-Studie wurden die beiden Methoden in Bezug auf den HbA1c sowie schwere Hypoglykämien anhand der Daten von 254 Typ-1-Diabetikern über 6 Monate untersucht.
Zum Ende der Studiendauer war die Zeit im Normbereich mit rtCGM höher als mit isCGM (59,6% vs. 51,9%; mittlere Differenz 6,85%; 95%-KI 4,36-9,34; p<0,0001). Es traten unter rtCGM weniger schwere Hypoglykämien auf (n=3 vs. n=13; p=0-0082) und auch die Zeit mit einem Plasmaglukosewert <3,0 mmol/L war verkürzt (0,47% vs. 0,84%; p=0,0070). Es wurde zudem anhand einer Skala die Angst der Patienten vor einer Hypoglykämie ausgewertet. Der Hypoglykämie-Angst-Score war in der rtCGM-Gruppe mit 15,4 Punkten signifikant geringer als in der siCGM-Gruppe mit 18,0 Punkten (p=0,0071). Nach 6 Monaten war zudem der HbA1c-Wert in der rtCGM-Gruppe niedriger als in der isCGM-Gruppe (7,1% vs. 7,4%; p<0,0001) [7]. Es sei daher davon auszugehen, dass Personen mit Hypoglykämie-Neigung von Systemen mit Alarmen profitieren, so Mader.
Insulinpumpentherapie
Die beste derzeit verfügbare Studie zu den Effekten einer Insulinpumpentherapie auf Hypoglykämien im Vergleich zu traditionellen mehrfach täglichen Insulininjektionen ist laut Mader eine Metaanalyse aus dem Jahr 2008. Dabei wurden randomisierte, kontrollierte Studien sowie Vorher/Nachher-Studien der Jahre 1996 bis 2006 untersucht. Einschlusskriterien waren eine Nutzung der Insulinpumpe von mindestens 6 Monaten und eine Häufigkeit schwerer Hypoglykämien von mehr als 10 Episoden pro 100 Patientenjahren unter traditioneller Insulininjektion.
Ältere Daten zeigen verringertes Hypoglykämierisiko
Die 22 gefundenen Datensätze zeigten, dass die Häufigkeit der Hypoglykämien bei traditionellen Insulininjektionen von der Diabetesdauer abhängig war (p=0,038). Durch die Anwendung einer Insulinpumpe wurde die Ereignisrate schwerer Hypoglykämien um 75% reduziert (Rate Ratio 4,19, 95%-KI 2,86-6,13). Diese Verringerung war bei Patienten mit den höchsten anfänglichen Raten schwerer Hypoglykämien am stärksten ausgeprägt (p<0,001) [8]. Da die Studiendaten bereits älter sind und somit einige Patienten unter NPH- und Human-Insulin eingeschlossen waren, sei die Übertragbarkeit auf moderne Insulinformen nicht genau abschätzbar, gab Mader zu bedenken.
Keine Signifikanz bei neueren Daten
Eine neuere Metaanalyse aus dem Jahr 2019 betrachteten 40 Studien bis 2018 im ambulanten Setting mit einer Studiendauer von mindestens 12 Wochen. Von den 40 Studien berichteten 24 von Hypoglykämien, davon allerdings nicht alle zu schweren Hypoglykämien. Die Analyse zeigte keine signifikante Verringerung des Risikos für schwere Hypoglykämien durch Insulinpumpen im Vergleich zu traditionellen Insulininjektionen [9]. Allerdings seien die Ergebnisse unter anderem aufgrund der kürzeren Studiendauer kritisch zu betrachten.
Smarte Bolusrechner
Smarte Bolusrechner passen die prandiale Insulindosierung automatisch an die Stoffwechsellage einer Person an und sollen so das Blutzuckermanagement verbessern.
In einer Studie mit 15 erwachsenen Typ-1-Diabetikern mit Insulinpumpe und CGM-System wurde der Einfluss eines smarten Bolusrechners auf den Blutzucker untersucht. Die Probanden führten zwei gleich gestaltete 24-stündige Hotelaufenthalte durch, bei denen sie am frühen Nachmittag eine 45-minütige Trainingseinheit absolvierten und anschließend eine standardisierte Abendmahlzeit erhielten. Der Abendbrotbolus wurde mit Hilfe eines Standard- oder eines smarten Bolusrechners bestimmt. In den vier Stunden nach dem Abendessen erfolgte die Glucosekontrolle mit Hilfe von CGM-Systemen.
Es zeigte sich eine Verringerung des Low-Blood-Glucose-Index (2,02 vs. 3,31, p=0,006) sowie eine verkürzte prozentuale Zeit im hypoglykämischen Bereich (8,48% vs. 15,18%, p=0,049) [10]. Diese Daten geben folglich einen Hinweis darauf, dass smarte Bolusrechner das Hypoglykämie-Risiko verringern könnten.
Connected Pens
Connected oder Smart Insulinpens sind verbunden mit einer intuitiven Smartphone-App und können Insulindosen berechnen und dokumentieren.
Eine schwedische Beobachtungsstudie untersuchte die Auswirkungen der Verwendung eines Connected Pens (NovoPen 6) auf das Insulinregime und die Blutzuckerkontrolle bei 94 Personen mit Typ-1-Diabetes, die ein Basal-Bolus-Insulinregime und ein CGM-System verwendeten.
Die Zeit im Zielbereich (Time in Range, TIR) erhöhte sich signifikant (TIR +1,9 h/Tag, 95%-KI 0,8-3,0; p<0,001) unter der Anwendung eines Connected Pens, dementsprechend war die Hypoglykämie-Zeit verkürzt (-1,8 h/Tag, 95%-KI -3,0 bis -0,6; p=0,003) [11].
Hybrid-Closed-Loop-Systeme
Hybrid-Closed-Loop-Systeme vernetzten den Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung mit der Insulinpumpe. Der Sensor wird automatisch kalibriert und die Menge des abgegebenen Insulins über ein Computerprogramm gesteuert. In neueren Systemen ist der Zielbereich individuell anpassbar.
Eine Studie mit 39 Jugendlichen und 118 Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes untersuchte den Einfluss eines Hybrid-Closed-Loop-Systems auf die Zeit im Blutzucker-Zielbereich von 5,6 mmol/l im Vergleich mit sensorgesteuerter Insulintherapie. Es konnte gezeigt werden, dass die Blutzuckerkontrolle mit den Hybrid-Closed-Loop-Systemen weiter verbessert werden konnte. Die TIR wurde erhöht und die Zeit außerhalb des Zielbereichs verringert [12].
Duale Hormonsysteme
Einen weiteren Ansatz zur verbesserten Blutzuckerkontrolle stellen Hybrid-Closed-Loop-Systeme dar, die neben Insulin auch Glukagon enthalten.
Eine randomisierte ambulante Studie untersuchte Systeme mit Einzel- und Doppel-Hormonregelkreisen. Es waren 20 Erwachsene mit Typ-1-Diabetes in die Studie eingeschlossen. Sie wurden in vier verschiedene Gruppen randomisiert und durchliefen über je vier Tage alle Studienarme (Zwei-Hormon-Gruppe, Einzel-Hormon-Gruppe, vorausschauende Suspendierung bei niedrigem Glukosegehalt und Fortführung der derzeitigen Behandlung). Jede Gruppe umfasste drei Aerobic-Kurse mit moderater Intensität.
Die durchschnittliche Hypoglykämie-Dauer während der Übungsphase sowie die Zeit, in der eine Hypoglykämie auftrat, war unter den Systemen mit zwei Hormonen am geringsten (3,4% vs. 8,3% in der Einzelhormon-Gruppe; p=0,009 sowie 1,3% vs. 2,8% in der Einzelhormon-Gruppe; p<0,001). Die Zeit im Zielbereich der Einzelhormon- und Doppelhormonbehandlung waren vergleichbar (74,3% vs. 72,0%), sodass die Studie darauf hindeutet, dass duale Systeme ein geringes Hypoglykämie-Risiko bei annähernd gleicher Zeit im Zielbereich erreichen können [13].
Vergleich der Einzel- und Doppelhormonsysteme mit Insulinpumpen
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 betrachtete 24 randomisierte, kontrollierte Studien mit Parallel- oder Crossover-Design zum Vergleich einer Intervention mit Insulinpumpentherapie und Einzelhormon- und dualen Insulin/Glucagon-Systemen im ambulanten Bereich.
Die Ergebnisse zeigten eine verkürzte Zeit im Zielbereich um 12,59% (95%-KI 9,02-16,16; p<0,0001) bei Hybrid-Closed-Loop-Systemen gegenüber 58,21% einer konventionellen Insulinpumpentherapie. Dabei waren Dualhormonsysteme mit einer größeren Verbesserung verbunden als Einzelhormonsysteme (19,52%, 95-% KI 15,12-23,91 vs. 11,06 %, 95%-KI 6,94-15,18; p=0,006). Bei Dualhormonsystemen traten tendenziell weniger Hypoglykämien auf als bei Einzelhormonsystemen [14].
Mader weist jedoch darauf hin, dass die 2018 bzw. 2017 veröffentlichten Studien die derzeitigen Technologien nicht zwingend widerspiegeln.
Fazit
Generell können Diabetestechnologien das Hypoglykämie-Risiko reduzieren. Die Datenlage zu schweren Hypoglykämien ist bisher nicht ausreichend, um eine eindeutige Aussage zu treffen. Das Grundwissen der Anwender über die Funktionsweise der Systeme ist dabei essenziell für eine sinnvolle Behandlung. Außerdem ist die Patientenselektion nach individuellen Wünschen und Fähigkeiten wichtig, um eine geeignete Anwendung und Therapieform zu finden, deren Kosten sich lohnen.