Kontrolle von Risikofaktoren & Lebenserwartung
Trotz dieser deutlich verschlechterten Lebenserwartung bei T2DM tut sich in der Kontrolle von Risikofaktoren wenig. In den USA beispielsweise stagniert diese Verbesserung laut eines amerikanischen Forschungsteams. Dabei würde bereits eine bessere Kontrolle des Blutdrucks, der Glukose- und Cholesterinwerte sowie des Körpergewichts diabetesassoziierte Komplikationen und die Mortalität reduzieren. Gleichzeitig stiege die Lebenserwartung der Betroffenen. In früheren Studien zeigte sich beispielsweise, dass Frauen im Alter von 55 Jahren eine um 1,2 Jahre erhöhte Lebenserwartung hatten, wenn der HbA1c von 8% auf 6% sank. Wichtig dabei ist, dass die Vorsorge und Senkung der Risikofaktoren möglichst früh beginnen. Wird erst in höherem Alter damit begonnen, ist der Effekt deutlich geringer. Frauen in ihren 70ern beispielsweise haben, wenn der HbA1c von 8% auf 6% sinkt, nur noch eine um 0,8 Jahre erhöhte Lebenserwartung im Vergleich zu gesunden Gleichaltrige.
Studien, die diese Effekte untersuchen, zeigen vor allem Momentaufnahmen. Evaluationen der Vorteile von kontinuierlich verbesserten Werten und dauerhaft erreichten Zielwerten sind selten. Das amerikanisch-englische Forscherteam um Hamed Kianmehr von der University of Florida in den USA hat sich nun näher mit dem Thema befasst. Die Daten wurden im »JAMA Network« veröffentlicht.
Zielsetzung
Mit der Studie wollte das Team evaluieren, wie eine Kontrolle modifizierbarer Biomarker wie der HbA1c, der systolische Blutdruck, das LDL-Cholesterin und der Body-Mass-Index (BMI) mit der Lebenserwartung bei Diabetes mellitus Typ 2 assoziiert sind.
Methodik
Die Studie basiert auf einem Decision Analytical Model. Dafür wurde das bereits evaluierte BRAVO-Diabetesmikrosimulationsmodel (Building, Relating, Assessing, and Validating Outcomes) neu kalibriert. Das Modell wurde ursprünglich basierend auf den Daten der ACCORD-Studie (2001-2009) entwickelt.
Für die Kalibrierung nutzte das Team Daten des National Health and Nutrition Examination Survey (2015-2016) und die darin enthaltenen Angaben zum Risikoprofil der Patientinnen und Patienten, um vorherzusagen, wie das Gesundheitsoutcome langfristig sein könnte. Dazu zählten unter anderem diabetesassoziierte Komplikationen, Hypoglykämien, Mortalität und Progression von modifizierbaren Biomarkern. Zusätzlich verlinkten sie die Daten mit Short-Term-Mortalitätsdaten aus dem National Death Index.
Die eingeschlossenen Patientinnen und Patienten waren zwischen 51 und 80 Jahre alt. Neben demographischen Daten wie Alter, Ethnizität, Geschlecht, Dauer der Diabeteserkrankung, etc. wurden vor allem vier messbare Biomarker analysiert: der HbA1c, der systolische Blutdruck (SBP), das LDL-Cholesterin (LDL-C) und der BMI.
Biomarker und Subgruppeneinteilung
Die gesamte Studienpopulation wurde in sechs Subgruppen eingeteilt, basierend auf dem Alter und dem Geschlecht: 51 bis 60 Jahre, 61 bis 70 Jahre und 71 bis 80 Jahre sowie männlich und weiblich.
Die jeweiligen Biomarker wurden in vier Quartile unterteilt mit dem 1. Quartil als normwertig und den anderen drei Quartilen als unterschiedlich stark erhöht. Dadurch ergaben sich für den HbA1c-Wert die zusätzlichen Quartile von 7%, 8% und 10%, für den SBP 140 mmHg, 160 mmHg und 180 mmHg, für das LDL-C 70 mg/dL, 100 mg/dL und 130 mg/dL und für den BMI 25 kg/m², 30 kg/m² und 35 kg/m² - die genaue Einteilung findet sich in den Ergebnissen.
Ein Zugewinn an Lebenserwartung, der mit einer verbesserten Kontrolle der Biomarker assoziiert war, wurde als solcher gewertet, wenn Betroffene mit einem T2DM von der jeweils aktuellen Quartile des Biomarkers aufgrund der Werte in eine niedrigere Quartile wechselten. Das Hauptoutcome der Studie war die Lebenserwartung.
Ergebnisse
Die Studie zeigte eindrücklich, dass die gemessenen Biomarker sich auf die Lebenserwartung auswirken können. Wurden sie modifiziert, stieg die Lebenserwartung. Der Effekt wurde jedoch schwächer, je älter die Teilnehmenden waren.
Die Studienpopulation
Eingeschlossen in die Studie wurden 421 Teilnehmende, von denen 194 (46%) weiblich waren. Das durchschnittliche Alter lag bei 65,6 Jahren (± 8,9 Jahre). Alle hatten einen Diabetes mellitus Typ 2.
Die HbA1c-Werte wurden mit <6,4% in der ersten Quartile, 6,4-7,2% in der zweiten Quartile, 7,3-8,2% in der dritten Quartile und >8,2% in der vierten Quartile eingeteilt. Die Durchschnittswerte der jeweiligen Quartile lagen bei 5,9%, 6,8%, 7,7% und 9,9%. Für den Blutdruck wurden die Quartile <122 mmHg (Durchschnittswert: 114,1 mmHg), 122-132 mmHg (128,2 mmHg), 133-144 mmHg (139,1 mmHg) und >144 mmHg (160,4 mmHg) gewählt. Das LDL-C wurde in <73 mg/dL (59 mg/dL), 73-96 mg/dL (84 mg/dL), 97-122 mg/dL (107 mg/dL) und >122 mg/dL (146,2 mg/dL) unterteilt. Der BMI lag in den jeweiligen Quartilen bei <27 kg/m² (24,3 kg/m²), 27-31 kg/m² (28,6 kg/m²), 32-36 kg/m² (33,0 kg/m²) und >36 kg/m² (41,4 kg/m²).
Mehr Lebenszeit bei besserer Kontrolle
Alle gemessenen Biomarker wirkten sich auf die Lebenserwartung aus. Wurden die Quartilen miteinander verglichen, so stieg die Lebenserwartung an, je näher die Betroffenen an den Zielwerten waren.
Im Vergleich zur vierten Quartile (41,4 kg/m²) war ein BMI in der dritten Quartile mit 33,0 kg/m² mit einem Zugewinn von 2,0 Lebensjahren assoziiert. In der dritten Quartile lag er bereits bei 2,9 Lebensjahren und in der zweiten Quartile bei 3,9 Lebensjahren.
Ähnliches wurde für den systolischen Blutdruck beobachtet: Im Vergleich zur vierten Quartile lag die Lebenserwartung in der dritten um 1,1, in der zweiten um 1,5 und in der ersten um 1,9 Lebensjahre höher.
Beim LDL-Cholesterin war der Effekt mit 0,5 Jahren, 0,7 Jahren und 0,9 Jahren zwar geringer, aber immer noch messbar.
Beim HbA1c reichte eine Reduktion von 9,9% (4. Quartile) auf 7,7% (3. Quartile) aus, um zusätzliche 3,4 Jahre an Lebenserwartung zu erreichen. Im Gegensatz zu den anderen Biomarkern waren die Effekte von weiteren Senkungen des HbA1c allerdings nur noch gering. Konnte er auf Werte der zweiten Quartile mit 6,8% abgesenkt werden, wurde nur noch ein assoziierter Zugewinn von 0,5 Jahren Lebenserwartung gemessen. Sank der HbA1c noch weiter und erreichte die erste Quartile, stieg die Lebenserwartung gar nicht weiter an. Insgesamt konnte aber durch eine HbA1c-Reduktion von der vierten auf die erste Quartile ein Zuwachs an 3,8 Lebensjahren gemessen werden.
Altersabhängigkeit des Effektes
Den größten Effekt erzielten verbesserte Biomarker bei Menschen zwischen 50 und 60 Jahren. Konnten Frauen beispielsweise mit einem BMI von 30 kg/m², einem SBP von 160 mmHg und einem HbA1c von 10% ihre Werte auf einen SBP von 120 mmHg reduzieren, stieg die Lebenserwartung um 3,0 Jahre. Senkten sie zusätzlich den BMI auf 25 kg/m2, kamen weitere 1,2 Jahre dazu. Über alle Altersgruppen betrachtet, war besonders ein niedrigerer BMI vielversprechend. Im Vergleich zum systolischen Blutdruck war hier ein Wechsel von der vierten in die erste Quartile mit mehr Lebenserwartung verbunden als eine Blutdrucknormalisierung.
Fazit
Bereits seit längerem werden messbare Biomarker wie der HbA1c eingesetzt, um den Stand einer Typ-2-Diabetes-Erkrankung einzuschätzen und den Erfolg einer Therapie zu bewerten. Besonders bei jüngeren Menschen zeigte sich im vorliegenden Modell, dass eine gute Biomarkerkontrolle die Lebenserwartung erhöhten kann, denn der Effekt auf die Lebenserwartung sinkt mit dem Alter. Die gut eingestellten Werte müssen jedoch langfristig gehalten werden.
Die Ergebnisse der Studie, so schreibt das Wissenschaftsteam, könnten helfen, Patientinnen und Patienten zu motivieren, ihre empfohlenen Behandlungsziele zu erreichen. Gleichzeitig könnten sie genutzt werden, um Interventionen und Programme zur Verbesserung der Diabetesversorgung zu priorisieren.