Keine Online-Versorgung bei diabetischem Fußsyndrom

Dem Versuch der BARMER und TK eine Online-Versorgung mit Einlagen anzubieten, stellten sich verschiedene Fachgesellschaften entgegen. Insbesondere bei Hochrisikopatienten wie Menschen mit diabetischem Fußsyndrom können nicht fachgerecht hergestellte orthopädische Hilfsmittel Gesundheitsschäden verursachen.

Orthopädischer Fußabdruck

Die Deutsche Diabetesgesellschaft (DDG) weist in einer Pressemitteilung ausdrücklich darauf hin, dass die Online-Bestellung von orthopädischen Einlagen insbesondere bei Hochrisikogruppen die nötigen Qualitätsstandards nicht erfüllen kann. Hintergrund sind Versorgungsverträge der Techniker Krankenkasse (TK) und BARMER mit einem industriellen Anbieter zur kontaktlosen Versorgung mit medizinischen Einlagen im Internet. Neben der DDG wiesen auch verschiedene orthopädische Fachgesellschaften darauf hin, dass die sogenannte eVersorgung mit erheblichen Gesundheitsrisiken behaftet sei.

Hochrisikogruppe diabetisches Fußsyndrom

Menschen mit einem Diabetes mellitus erkranken in bis zu 34% der Fälle im Laufe ihres Lebens an einem diabetischen Fußsyndrom. Hauptursache ist eine diabetische sensomotorische Neuropathie, die das Schmerz-, Druck- und Temperaturempfinden beeinträchtigt. So bemerken Betroffene Druckstellen oder kleine Wunden gar nicht oder erst spät. Da sich unter einer unzureichenden Blutzuckerkontrolle nicht nur Nerven, sondern auch Blutgefäße krankhaft verändern, kommt es außerdem zu einer schlechteren Wundheilung. Rund zwei Drittel der in Deutschland durchgeführten Amputationen im Bereich von Füßen und Beinen betreffen Diabetiker.

Fachliche Kompetenz nötig

Die Anfertigung orthopädischer Einlagen umfasst das Maßnehmen und Anfertigen eines Abdrucks, die Einpassung in die Schuhe sowie die Überprüfung der Einheit aus Einlage und Schuh im Hinblick auf die Indikation. Dies könne nicht von dem Patienten mit hinreichender Sicherheit erfolgen, so die Fachgesellschaften. Telefonische Beratungen oder Videoübertragungen böten dafür keinen Ersatz.

Eingeschränktes Urteilsvermögen bei diabetischem Fußsyndrom

„Menschen mit einem diabetischen Fußsyndrom kaufen sich häufig zu kleine oder zu enge Schuhe, weil nur diese ihnen das Gefühl von ausreichendem Halt vermitteln“, erklärt Dr. med. Michael Eckhard, Chefarzt der GZW Diabetes-Klinik Bad Nauheim und Vorsitzender der AG Diabetischer Fuß der DDG. Aus diesem Grund können die Patienten nicht beurteilen, ob eine Einlage passend und für ihre Füße geeignet ist. Daher kommt der der individuellen Versorgung dieser Hochrisikogruppe durch fachlich kompetente, thematisch versierte Ärzte und Leistungserbringer eine besondere Bedeutung zu.

Online-Geschäft führt zu Fehlversorgung

Die Online-Versorgung führe folglich zu einer wesentlichen Verschlechterung der bisherigen Versorgungspraxis, schlussfolgert die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC) zusammen mit weiteren orthopädischen Fachgesellschaften in einer Stellungnahme. Auch die DDG erklärt, dass die Online-Bestellungen zwangsläufig zu einer Fehlversorgung führten und weder zweckmäßig noch ausreichend seien.

Gefahr für Gesundheitsschäden

Bei der Online-Versorgung entfällt zudem die Möglichkeit einer direkten Korrektur der orthopädischen Einlage durch den Techniker bei der individuellen Abgabe an den Patienten. Ein nicht fachgerecht hergestelltes und angewendetes Hilfsmittel kann jedoch Gesundheitsschäden verursachen. Das Online-Versorgungskonzept ohne fachmännische Begleitung entspreche folglich nicht den im Hilfsmittelverzeichnis festgeschriebenen Mindestanforderungen.

Keine Online-Versorgung für Hochrisikogruppen

Die Fachgesellschaften fordern daher, Hochrisikopatienten mit diabetischem, respektive neuropathischem Fußsyndrom aus der Online-Versorgung mit Einlagen auszunehmen. Alles andere sei völlig inakzeptabel und widerspräche jeder nationalen und internationalen Leitlinie, heißt es in der Stellungnahme der Orthopäden. Die DDG verlangt zudem für die anderen Indikationen mindestens eine Versorgungsstudie, welche die Qualität und Langzeit-Auswirkungen einer Online-Einlagen-Versorgung im Vergleich zu einer vor-Ort-Versorgung über wenigstens 6 bis 12 Monate untersucht sowie eine unabhängige Evaluation.

BARMER setzt Versorgungskonzept aus

Über zwei Monate bestand das Online-Versorgungsangebot der BARMER-Krankenkasse. Im Oktober 2021 wurde es nun aufgrund einer Beanstandung der höchsten Aufsichtsbehörde, des Bundesamts für Soziale Sicherung, sowie des rechtlichen Drucks zahlreicher Abmahnungen bis auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Alf Reuter, der Präsident des Bundesinuungsverbands Orthopädie Technik (BIV-OT) urteilt scharf über die Online-Einlagen: „Bei dieser laienhaften Versorgung per Versand und mit Selbstvermessung durch die Versicherten ging es nicht um innovative Versorgungskonzepte, schon gar nicht um digitalen Fortschritt. Es ging nur um eines: Kostensenkung um jeden Preis“.

Autor:
Stand:
19.11.2021
Quelle:
  1. DDG: Pressemitteilung: Online-Bestellung von Einlagen kann Qualitätsstandards nicht erfüllen (16.11.2021)
  2. DDG: Stellungnahme zur Vereinbarung über die Online-Versorgung von Einlagen (Produktgruppe 08) (13.10.2021)
  3. DGOOC, DGOU, BVOU, DGIHV, ZVOS: Gemeinsame Stellungnahme zur Vereinbarung über die Online-Versorgung von Einlagen (Produktgruppe 08)
  4. BIV-OT: Online-Einlagenversorgung auf Kassenrezept vorerst ausgesetzt (19.10.2021)
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