
Hintergrund
Nach Schätzungen ist jeder zehnte Führerscheininhaber von einer Diabetes mellitus Erkrankung betroffen. Sowohl im privaten als auch im sozialen Umfeld stoßen die Patienten häufig auf Unsicherheiten bezüglich ihrer Fahrtauglichkeit. Oft besteht die Annahme, dass Diabetiker mehr Unfälle verursachen als Gesunde. Die Patienten haben Sorge, dass sie ihre Fahrerlaubnis aufgrund der Erkrankung verlieren.
Kürzlich ist daher die erste Patientenleitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) erschienen. Diese basiert auf der wissenschaftlichen S2e AWMF-Leitlinie „Diabetes und Straßenverkehr“ und gibt patientenverständlich Empfehlungen zur sicheren Teilnahme von Diabetikern am Straßenverkehr. „Untersuchungen zeigen jedoch, dass eine Diabeteserkrankung per se nicht die Unfallhäufigkeit erhöht“, verdeutlicht diesbezüglich Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Mediensprecher der DDG. „Auch ein hoher Langzeitblutzuckerwert, der sogenannte HbA1c-Wert, oder eine Insulintherapie an sich, stellen erst einmal kein Sicherheitsrisiko dar.“
Entscheidend für die Sicherheit von Diabetikern im Straßenverkehr ist eine gute therapeutische Einstellung des Blutzuckers und die vorausschauende Versorgung des Diabetes.
Erhöhtes Unfallrisiko durch Hypoglykämie
Das Unfallrisiko der Patienten steigt an, wenn wiederholt Hypoglykämien auftreten. „Allgemein gilt es, Hypoglykämien zu vermeiden“, erklärt die Diabetes-Fachpsychologin und Leitlinienautorin Eva Küstner. „Denn eine Unterzuckerung bedeutet konkret, dass die Fahrerin oder der Fahrer in der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und im Sehvermögen sehr eingeschränkt ist.“ Bei einer schweren Hypoglykämie können Bewusstseinseinschränkungen oder gar Bewusstlosigkeit auftreten. Diese führen zu einem Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit. Die Leitlinie erklärt, wodurch Hypoglykämien auftreten und wie diesen entgegengesteuert werden kann. Sie liefert den Patienten sowohl Informationen zu akuten Maßnahmen zur Verhinderung/Behandlung von Hypoglykämien als auch Verhaltensempfehlungen, das Hypoglykämierisiko beispielsweise durch häufigere Blutzuckermessungen zu reduzieren. „Bei längeren Fahrten empfehlen wir mindestens eine dreistündliche Blutzuckermessung“, erklärt Frau Küstner diesbezüglich. Zudem sollten das Blutzuckermesssystem sowie ausreichend Kohlenhydrate stets griffbereit sein.
Weitere mögliche Sicherheitseinschränkungen
Weitere Sicherheitseinschränkungen für Diabetespatienten können sich aus Folge- und Nebenerkrankungen des Diabetes mellitus ergeben. Hierzu zählen beispielsweise Sehstörungen durch eine diabetische Netzhauterkrankung oder sensorische Wahrnehmungsprobleme durch ein diabetisches Fußsyndrom. Die Leitlinie gibt hierzu praktische Empfehlungen, wann eine augenärztliche Untersuchung stattfinden soll und wann keine Fahrtüchtigkeit vorhanden ist.
Auch zum Krankheitsbild des diabetischen Fußsyndroms erklärt die Leitlinie, wann eine Fahreinschränkung vorhanden ist und wie lange diese voraussichtlich anhält. Zudem werden eventuelle Ausgleichsmöglichkeiten dieser Problematik in der Leitlinie beschrieben. Hierzu zählt unter anderem die Verwendung von Automatik-Fahrzeugen, die zum Einsatz kommen kann, wenn Patienten ihr linkes Bein nicht belasten dürfen. Auch die Möglichkeit zur Umrüstung auf fußpedalunabhängige Systeme wird aufgeführt. „Patienten müssen hier sehr genau über Einschränkungen ihrer Fahrtauglichkeit aufgeklärt werden, aber auch darüber, ob diese Einschränkungen mit technischen Maßnahmen kompensiert werden können. Patienten sollen wissen, wo sie sich über diesbezügliche Leistungen – wie der Rentenversicherungsträger – informieren können.“ erklärt hierzu Dr. med. Peter Hübner, REHA-Mediziner.
Ein weiteres Kapitel der Leitlinie geht auf mögliche Folgeerkrankungen des Diabetes wie das Schlaf-Apnoe-Syndrom oder demenzielle Erkrankungen ein. Die Experten beschreiben detailliert mögliche Probleme, die sich in Bezug auf die Fahrsicherheit ergeben können, und geben Verhaltensratschläge für die Patienten.
Diabetesschulungen wirken sich positiv auf Fahrsicherheit aus
Als hilfreich schätzen die Leitlinienautoren auch Diabetesschulungen ein. In diesen können Kenntnisse und Fertigkeiten erlernt werden, sicher mit Diabetes mellitus umzugehen. „Studien zeigen, dass sich eine solche Schulung positiv auf die Fahrsicherheit auswirkt“, erklärt Diplom-Sozialpädagoge Wolfgang Schütt. „Hier lernen die Patienten unter anderem allgemeine, aber auch individuelle Strategien zur Vermeidung, Erkennung und zum richtigen Verhalten bei Hypoglykämien.“
Gutachten bei Diabetes mellitus
Das vorletzte Kapitel der Leitlinie beschäftigt sich mit Gutachten, insbesondere verkehrsmedizinischen und betriebsärztlichen Gutachten. Die Patienten finden hier praktische Empfehlungen, was z. B. zu tun ist, wenn von ihnen ein Gutachten gefordert wird. Die Leitlinie erklärt unter anderem, durch wen ein Gutachten angefordert wird, wer begutachtet und welche Rechte der Patient hat. „Gutachten werden häufig nicht mit der gebotenen Sorgfalt oder nicht unter Berücksichtigung der Vorgaben erstellt. Patienten verlieren dann unnötigerweise ihre Fahrerlaubnis“, kritisiert der Rechtsanwalt Oliver Ebert, der Koordinator und Mitautor der Leitlinie ist. Durch die Leitlinie wird der Patient auf seine Rechte und Pflichten aufmerksam gemacht und erhält Ratschläge, wie man gegen ein fehlerhaftes Gutachten vorgehen kann, um einen drohenden Verlust der Fahrerlaubnis abzuwenden.
Im letzten Abschnitt geht die Leitlinie auf weitere rechtliche Gesichtspunkte in Bezug auf Diabetes und Straßenverkehr ein. Hier erhalten die Patienten juristische Informationen zu einem ärztlich ausgesprochenen Fahrverbot. Zudem finden die Betroffenen Verhaltensempfehlungen, falls es doch zu einem Unfall kommt.
Im Anhang finden sich die wichtigsten praktischen Punkte der Leitlinie als Schlagwörter zusammengefasst sowie hilfreiche Kontaktadressen.
Fazit
Durch die neue Patientenleitlinie Diabetes und Straßenverkehr erhalten Betroffene Informationen und Empfehlungen, wie krankheitsbezogene Probleme im Straßenverkehr zu vermeiden sind und wie sie ihre diesbezüglichen Rechte wahrnehmen können.