Im Jahr 2019 veröffentlichte die »EAT-Lancet Kommission für gesunde Ernährung durch nachhaltige Lebensmittelsysteme« einen Bericht, in dem sie eine rasche globale Umgestaltung des Ernährungssystems (Great Food Transformation) auf Basis wissenschaftlicher Vorgaben fordert. Das Ziel der Wissenschaftler ist die Etablierung einer universellen gesunden Ernährung, um die durch die Lebensmittelproduktion verursachte Umweltzerstörung zu verringern und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung sowie die des Pariser Abkommens zu erreichen.
Ernährungssystem belastet Umwelt
Die Nahrungsmittelproduktion ist die Hauptursache für globale Umweltveränderungen, bis zu 30% der weltweiten Treibhausgasemissionen und 70% des Süßwasserverbrauchs fallen darauf zurück. Die Landwirtschaft ist einer der größten Faktoren, der zum Verlust der Artenvielfalt beiträgt. Da die Bevölkerung bis 2050 schätzungsweise auf 10 Millionen Menschen weltweit ansteigen wird, droht eine zunehmende Überlastung der Umwelt [2].
Auf dem XXXII. Internationalen Fortbildungskurs in praktisch-klinischer Diabetologie des Diabeteszentrums Thüringen e.V. (DZT) stellte Prof. Dr. Peter Kronsbein von der Hochschule Niederrein, Mönchengladbach, die Forderungen der EAT-Lancet Kommission vor und ging auf die Praxisrelevanz des Themas ein.
Gesunde Ernährung & nachhaltige Produktion
Die EAT-Lancet Kommission bestehend aus 37 Wissenschaftlern der Bereiche menschliche Gesundheit, Landwirtschaft, Politikwissenschaften und ökologischer Nachhaltigkeit, befasst sich insbesondere mit gesunder Ernährung und nachhaltiger Lebensmittelproduktion.
Gesundheitsvorteile durch entsprechende Ernährung
Gesunde Ernährung soll insbesondere für ein physisches, mentales und soziales Wohlergehen sorgen. Dies resultiere in Gesundheitsvorteilen wie einer Senkung der Mortalitätsraten. Hierzu entwickelten die Wissenschaftler die sogenannte Planetary Health Diet, die Vorgaben zu Art und Menge der zu nutzenden Lebensmittel gibt.
Planetary Boundaries
Um eine nachhaltige Lebensmittelproduktion sicherzustellen, wurden Grenzen (Planetary Boundaries) ermittelt, deren Überschreitung die Stabilität des Ökosystems und die Lebensgrundlage der Menschheit gefährden würde.
Hierbei behandelte Aspekte sind der Klimawandel (Dekarbonisierung), die Änderung der Landnutzung, Verbesserte Nährstoff- und Süßwasserverwertung, Recycling von Stickstoff und Phosphor sowie die Vermeidung eines weiteren Verlustes von Biodiversität. Außerdem soll die Lebensmittelverschwendung um 50% reduziert werden. Der Bericht zeigt zum Schluss Strategien zur nachhaltigen Transformation von Lebensmittelsystemen auf.
Planetary Health Diet
Ziel der Planetary Health Diet ist die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung mit gesunder Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen. Die Planetary Health Diet besteht aus einem Hauptanteil pflanzlicher Lebensmittel, geringen Mengen an Lebensmitteln tierischen Ursprungs, ungesättigten statt gesättigten Fetten und geringen Mengen an raffiniertem Getreide, stark verarbeiteten Lebensmitteln und zugesetztem Zucker. Die Vorgaben basieren auf umfangreicher Literatur zu Lebensmitteln, Ernährungsmustern und Gesundheitsergebnissen [2].
Die folgende Tabelle zeigt exemplarisch die Referenznahrung der Planetary Health Diet für eine Aufnahme von 2.500 kcal pro Tag im Vergleich mit den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für eine vollwertigen Ernährung [2,3].
Nahrungsmittel | Zufuhr pro Tag nach Planetary Health Diet (2.500 kcal/Tag) | Vollwertige Ernährung nach DGE (1.600-2.400 kcal/Tag) |
Hülsenfrüchte | 75 g | ≥400 g |
Gemüse | 300 g |
Nüsse | 50 g | ≥250 g |
Obst | 200 g |
Fisch | 28 g | |
Vollkornprodukte (Reis, Weizen etc.) | 230 g | |
Stärkehaltiges Gemüse (Kartoffeln etc.) | 50 g | |
Rind-, Lamm-, Schweinefleisch | 14 g | 43 g (niedriger Energiebedarf) 86 g (hoher Energiebedarf) |
Geflügel | 29 g |
Eier | 13 g | |
Milch oder deren Äquivalente (z.B. Käse) | 250 g | 596-728 g |
Öle | 50 g | |
Schmalz | 5 g | |
Süßungsmittel | 31 g | |
Die Empfehlungen sollen Raum für Flexibilität lassen in Bezug auf die Lebensmittelvielfalt, landwirtschaftliche Systeme, kulturelle Traditionen und individuelle Präferenzen. Aufgrund der inhärenten Komplexität der Erdsystemdynamik ist der Unsicherheitsbereich für die genannten Nahrungsmittelgrenzen laut der Autoren jedoch nach wie vor hoch.
Limitationen
Die Mitglieder der EAT-Lancet Kommission legen den Fokus ihres Berichts insbesondere auf die Endpunkte Verbrauch (gesunde Ernährung) und nachhaltige Lebensmittelproduktion. Dass dies nicht die einzigen Faktoren sind, die das Ernährungssystem beeinträchtigen, ist den Autoren bewusst [2].
Viele Lösungen & Innovationen nötig
Der Umfang der angestrebten Global Food Transformation ist immens und nicht leicht umzusetzen. Zwar bietet der Bericht einen Rahmen, jedoch keinen genauen Plan für die Umsetzung der globalen Ziele auf nationaler und subnationaler Ebene. Die Autoren erklären selbst, dass der sichere und nachhaltige Betrieb der Lebensmittelsysteme die Umsetzung einer Vielzahl von Lösungen und Innovationen erfordern werde.
Limit bei 10 Milliarden Menschen
Eine gesunde Ernährung aus nachhaltigen Lebensmittelsystemen funktioniere in dieser Form für bis zu 10 Milliarden Menschen, jenseits dieser Bevölkerungsgrenze jedoch immer weniger. Diese Anzahl wird voraussichtlich im Jahr 2050 erreicht sein. Daher sei eine Reduktion des Bevölkerungswachstums essenziell beispielsweise durch universellen Zugang zu Verhütungsmitteln und Gesundheitsinformationen, um eine gesunde und nachhaltige Ernährung der Weltbevölkerung gewährleisten zu können [2].
Nachhaltige Ernährung für Gesundheit und Umweltschutz
Das Thema gesunde Ernährung und Umweltschutz rückt derzeit immer mehr in den Vordergrund. Im Positionspapier zur nachhaltigen Ernährung der DGE vom Juli 2021 heißt es beispielsweise: „Gesundheit ist ein zentrales Ziel einer nachhaltigeren Ernährung (…). Essen und Trinken gehen jedoch über die Bedeutung der gesundheitlichen Dimension hinaus.“ Die DGE fügt der „Zieldimension Gesundheit“ daher explizit auch die Dimensionen Umwelt, Tierwohl und Soziales (soziale Mindeststandards) hinzu [3].
Planetary Health Diet zur Diabetesprävention
Im Zuge einer Pressemitteilung der Deutschen Diabetologischen Gesellschaft (DDG) von September 2021 empfiehlt die Vorsitzende des DDG-Ausschusses Ernährung, Professor Dr. med. Diana Rubin, eine Ernährungsweise, die sich an der Planetary Health Diet orientiert. „Eine gesunde Lebensführung mit körperlicher Bewegung und frischen heimischen Nahrungsmitteln ist die beste Vorbeugung gegen Diabetes Typ 2 – und schützt gleichzeitig das Klima“, heißt es in der Mitteilung. „Unser Nahrungsmittelsystem verleitet zum Überkonsum von verarbeiteten, hochkalorischen und tierischen Produkten mit viel Salz, Zucker und gesättigten Fetten“, erläutert Rubin weiter. Dies trage nicht nur zur Entstehung von Typ-2-Diabetes, sondern auch Übergewicht, Krebs und Herzkreislauferkrankungen bei [4].
Ernährungsform mit Patienten besprechen
Auch Kronsbein erklärt, dass die Planetary Health Diet eine Rolle beim Gewichtsmanagement, der Diabetesprävention und -Therapie sowie weiteren Indikationsgebieten eine Rolle spielen kann. Den Patienten könnte durch aktive Intervention mittels strukturierter und materialunterstützter Hinweise diese Ernährungsform nähergebracht werden. Kommen Patienten von sich aus darauf zu sprechen, sollte ein strukturiertes Feedback dazu gegeben werden können. Zu beachten sei dabei der Kohlehydratanteil von etwa 48%.
Politische Verantwortung
Die DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer kommt in der Pressemitteilung der DDG auf einen weiteren Aspekt zu sprechen. Sie ergänzt, dass auch die politisch Verantwortlichen gesundheitsfördernde Lebensverhältnisse schaffen müssten. Dazu zählten neben einer Mehrwertsteuersenkung für gesunde Lebensmittel, eine Erhöhung für ungesunde sowie ein erweitertes Sportangebot an Kitas und Schulen und ein Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel für Kinder [4].