Nutzung des CRC-Screenings muss zunehmen

Der Anteil der älteren Bevölkerung in Deutschland wird in den kommenden Jahrzehnten immer weiter zunehmen. Diese Altersgruppe ist die Hochrisikogruppe für die Entstehung von Darmkrebs. Um in der Zukunft steigende Mortalitätsraten aufgrund einer Darmkrebserkrankung zu verhindern, sind enorme Bemühungen nötig, damit verstärkt Koloskopie-Angebote wahrgenommen werden.

Koloskopie Darm

Kolorektale Karzinome sind die dritthäufigste Krebserkrankung in Deutschland, von der vor allem die ältere Bevölkerung betroffen ist. Das Screening auf Darmkrebs reduziert die Inzidenz und somit die Mortalität stark, weshalb der durchschnittlichen Bevölkerung von der Deutschen Krebsgesellschaft empfohlen wird, ab 50 Jahren (Männer) bzw. 55 Jahren (Frauen) eine Koloskopie durchführen zu lassen. Die Koloskopie wurde 2002 etabliert, wodurch die Inzidenzraten in den letzten zwei Jahrzehnten um 20% abgenommen haben. Allerdings nutzen weniger als 20% der deutschen Bevölkerung dieses Screening-Angebot. Zudem wird eine Erhöhung des Anteils der mindestens 67-Jährigen, der mit am meisten gefährdeten älteren Bevölkerung, auf 28% im Jahr 2060 im Vergleich zu 19% in 2019 antizipiert. Subsequent ist anzunehmen, dass es durch den demografischen Wandel zu einer starken Zunahme der Darmkrebsinzidenz kommen wird.

Zielsetzung

Von einem Team des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg wurden daher in einer exemplarischen Fallstudie die anzunehmenden Auswirkungen der demografischen Alterung auf die Darmkrebserkrankungen in Deutschland untersucht und der mögliche Effekt quantifiziert, welcher durch eine Zunahme der Nutzung von Screening-Koloskopie-Angeboten erreicht werden kann.

Methodik

Die Studie inkludiert alle männlichen und weiblichen Personen, die zwischen 2008 und 2017 kontinuierlich bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) krankenversichert waren, was ungefähr einem Drittel der deutschen Bevölkerung entspricht. Hierbei wurden anonymisiert geschlechts- und altersspezifische Daten zum Koloskopie-Screening und zu diagnostischen Koloskopien erhoben und mit den aktuellen Inzidenzraten und der prognostizierten demographischen Entwicklung verknüpft. Ergänzend wurden von 2015 bis 2019 Daten des traditionellen Guajak-basierten Stuhltest und des modernen fäkalen immunchemischen Tests (FIT), der den traditionellen Test 2017 ablöste, analysiert. Personen, die in dem Studienzeitraum an Darmkrebs erkrankten, wurden exkludiert.

Es wurde die Anzahl der Darmkrebsfälle in den Jahren 2030, 2040, 2050 und 2060 berechnet, indem die vorhandenen geschlechts- und altersspezifischen Inzidenzraten von 2018 mit der antizipierten Anzahl lebender Personen in dem jeweiligen Jahr multipliziert wurden. Auch die Anzahl der Darmkrebsfälle von 2020 wurde nach diesem Muster berechnet, da diese vom Deutschen Zentrum für Krebsregister noch nicht verfügbar waren. Die Raten der Screening-Anwendung wurden stratifiziert nach der Verwendung (diagnostisch; Screening; kombiniert), Geschlecht und Alter (50-54; 55-59; ab dann in 10er Schritten).

Ergebnisse

Kumulativer Einsatz der Koloskopie 2008-2017

Diagnostische Koloskopien (Koloskopien zur Überwachung, Aufarbeitung von Symptomen oder anderen Screening-Tests) machten im Vergleich zum Screening im untersuchten Zeitraum in allen Altersgruppen (in Jahrzehnte unterteilt) den größeren Anteil an der Anzahl der Gesamtkoloskopien aus. In den ersten Jahren der Anspruchsberechtigung (ab 50 bzw. 55) haben nur 8% das Angebot einer Screening-Koloskopie wahrgenommen. Die höchste Wahrnehmung des Screening-Angebotes war bei Männern und Frauen in der Altersklasse von 60 bis 69 und betrug 17% bei den Männern und 19% bei den Frauen.

Die Anwendung von Stuhltests zwischen 2015 und 2019 war konsistent über die Altersgruppen hinweg und variierte je nach Beobachtungszeitraum zwischen 13-16% (2018-2019) und 17-21% (2015-2016).

Prognose der Inzidenzrate bis zum Jahr 2060

Unter der Annahme, dass sich die Beteiligungsquoten des Screening-Angebotes und die geschlechts- und altersspezifischen Risiken nicht ändern, werden die Fälle der Darmkrebserkrankungen mit dem prognostizierten demografischen Wandel deutlich ansteigen. Basierend auf den aktuellen Inzidenzraten von 2018 werden durch Hochrechnungen Inzidenzen von 35.000 Erkrankungen bei Männern und 27.400 bei Frauen für 2020 und 44.500 bzw. 32.400 Fälle für 2060 erwartet. Folglich resultiert daraus eine Erhöhung der Fallzahl um 27% bei Männern und um 21% bei Frauen von 2020 bis 2060.

Wirkung einer Zunahme der Koloskopie-Nutzung

Die Studie prognostizierte die erwartete Anzahl diagnostizierter Darmkrebsfälle unter der Annahme, dass sich die Nutzung des Screenings um 50%, 100% und 200% steigert. Die Abschätzungen ergeben, dass jeder 100%ige Anstieg der Koloskopie-Nutzung die zusätzlich erwarteten Fälle bei beiden Geschlechtern um ungefähr 8% (variiert je nach Altersgruppe) reduzieren würde im Vergleich zu den erwarteten Fällen, wenn es keine Änderung in der Screening-Nutzung gäbe.

Trotz einer relativen Zunahme um 200% würden, der Studie nach, die Fallzahlen von 2020 bis 2060 um 6% bei Männern und 1% bei Frauen ansteigen. Gleichzeitig würden durch diese Zunahme in demselben Zeitraum aber etwa 11.200 Männer und 7.000 Frauen präventiv vor einem kolorektalen Karzinom protektiert werden, welches einer Expansion auf 279% bzw. 241% an verhinderten Fällen im Vergleich zu 2020 entspricht.

Limitationen

  • Es wurden mehrere vereinfachende Annahmen bei den Berechnungen der zukünftigen kolorektalen Karzinom-Inzidenzen getroffen:
  • Die geschlechts- und altersspezifische Darmkrebsinzidenz bleibt über die Zeit konstant
  • Die Daten beschränken sich auf die Versicherten der AOK, welches aufgrund sozioökonomischer Unterschiede möglicherweise nicht vollständig repräsentativ für die Gesamtbevölkerung Deutschlands ist
  • Es wird ein identisches relatives Risiko für die gesamte Studienpopulation angenommen, auch wenn sich dieses in verschiedenen Subgruppen unterscheidet (z.B. durch gesunde Lebensweise, familiären Hintergrund, vorangegangene Screening Tests, Geschlecht, Alter…)
  • Die Koloskopie Nutzungsraten könnten unterschätzt worden sein, da Patienten, die im Studienzeitraum an Darmkrebs erkrankten, ausgeschlossen wurden (Der Effekt scheint vernachlässigbar, da bei <1% der durchgeführten Koloskopien Karzinome gefunden werden)
  • Die Prognose basiert auf Inzidenzraten (nicht auf Mortalität) und bezieht sich nur auf das Koloskopie Screening (nicht auf das FIT Screening - wessen Potenzial in weiteren Studien untersucht werden sollte)

Maßnahmen für die Zukunft

Unter 20% der berechtigen deutschen Bevölkerung nutzen aktuell das Angebot der Screening-Untersuchungen. Unter der Annahme konstanter Beteiligungsquoten wird die Inzidenz des kolorektalen Karzinoms in den kommenden Jahrzehnten enorm steigen. Infolgedessen sind erhebliche Verstärkungen der primären und sekundären Präventionsbemühungen erforderlich, um den starken Auswirkungen des demografischen Wandels entgegenzuwirken und somit zumindest die aktuellen Inzidenzraten beizubehalten. Dafür ist eine Verdreifachung der Teilnehmerrate der berechtigten Bevölkerung an Koloskopien auf 60% nötig. Um dies zu erreichen, empfiehlt diese Studie folgende Maßnahmen.

  • Eine Screening-Berechtigung auch für Frauen ab 50 Jahren bzw. vorzugsweise generell ab 45 Jahren
  • Erweiterung des Anspruches von aktuell maximal zwei Koloskopien auf mindestens drei Untersuchungen pro Person
  • Eine Überarbeitung des Einladungsverfahrens, um alle sozialen Schichten zu erreichen
  • Verstärkung der Screening-Akzeptanz der Koloskopie, sowie des FIT, bei dem auch angenommen wird, dass dadurch die Prävalenz gesenkt werden kann
  • Die Anregung eines gesunden Lebensstils (u.a. Nichtraucher, moderater Alkoholkonsum und körperliche Aktivität – denn die Hälfte der Fälle kann hierdurch verhindert werden)

Diese Studie erhielt finanzielle Unterstützung unter anderem durch eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Den Autoren wurde bei der Gestaltung, der Interpretation, dem Verfassen und Veröffentlichen des Berichts Unabhängigkeit gewährleistet. 

Autor:
Stand:
04.11.2022
Quelle:

Thomas Heisser et al. (2022): Impact of demographic changes and screening colonoscopy on long-term projection of incident colorectal cancer cases in Germany: A modelling study. The Lancet of Regional Health – Europe, DOI: 10.1016/j.lanepe.2022.100451

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