DGIM 2022: Reizdarm oder Kohlenhydrat-Unverträglichkeit?

Das Reizdarm-Syndrom ist durch verschiedene unspezifischer Symptome gekennzeichnet. Es wird empfohlen, gleich zu Beginn alle relevanten Differenzialdiagnosen auszuschließen. Dazu gehören unter anderem auch Kohlenhydratunverträglichkeiten.

Reizdarmsyndrom

Es gibt eine physiologische „Malabsorption“ der Nahrungsstärke, erläuterte Privatdozentin Dr. Viola Andresen, leitende Ärztin des Ikaneums am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg anlässlich des Internistenkongresses 2022 [1]. Das Resultat nach Genuss von Bohnen kennt jeder, aber auch ein Teil der Kohlenhydrate von Getreide oder Kartoffeln wird nicht absorbiert [2, 3]. Ein Großteil der Menschen haben wegen dieser Malabsorption keine belastenden Symptome. Geben die Personen typische Beschwerden eines Reizdarmsyndroms an wie Blähungen, Flatulenz, Bauchkrämpfe oder Durchfall, kann eine Kohlenhydrat-Unverträglichkeit als Differenzialdiagnose, aber auch als Kodiagnose eines Reizdarm-Syndroms vorliegen.

Keine Allergie!

Kohlenhydrat-Unverträglichkeiten sind nicht-immunologischer Genese. Andresen warnte vor der häufigen Verwechslung der Allergie gegen Milcheiweiß (z.B. bei Kleinkindern) und einer Laktose-Intoleranz. Zu unterscheiden ist auch die nicht-immunologische Gluten-Sensitivität von der IgE-vermittelte Weizen-Allergie und der zellulär immunologisch vermittelten Zöliakie.

Ursachen der Kohlenhydrat-Unverträglichkeit

Pathophysiologisch steht hinter der Laktose-Malabsorption ein Mangel des abbauenden Enzyms Laktase. Die Enzymexpression nimmt im Erwachsenenalter stark ab, allerdings in einigen nordischen und europäischen Ländern deutlich weniger als in der übrigen Welt. Als Folge des Laktasemangels wird Laktose nicht ausreichend in resorbierbare Glukose und Galaktose gespalten. Der Malabsorption von Fruktose und Sorbitol liegt dagegen ein Mangel an dem Transporterprotein GLUT5 zugrunde. In beiden Fällen werden die im Dünndarm nicht resorbierten Kohlenhydrate im Kolon vom Mikrobiom fermentiert. Dadurch entstehen unter anderem Gase und osmotisch wirksame Metaboliten.

Laktose-Intoleranz und Reizdarm

Die von einem Reizdarm-Syndrom Betroffenen berichten sehr viel häufiger als Gesunde von einer Laktose-Intoleranz. Möglicherweise sind Menschen mit Reizdarm-Syndrom sensitiver für die Malabsorptionsfolgen, meinte Andresen. Nach einer Metaanalyse lässt sich aber auch eine größere Häufigkeit einer Laktose-Intoleranz bei Patientinnen und Patienten mit Reizdarmsyndrom mit Laktose-Atemtest, Laktose-Toleranztest oder genetischer Testung objektivieren bestätigte [4].

Laktose-Intoleranz verifizieren

Anamnestische Angaben zur Laktose-Intoleranz sind wenig hilfreich. Es findet sich kein Zusammenhang zwischen der selbst wahrgenommenen Milchunverträglichkeit und dem Vorliegen einer Laktose-Unverträglichkeit [5]. Andresen empfahl bei typischen Symptomen mit einer Assoziation zum Konsum von Milch und Milchprodukten den Wasserstoff(H2)-Atemtest. Ein Laktase-Mangel kann mit der genetischen Testung, einem Laktase-Schnelltest oder einem Laktose-Test mit Blutzuckermessung diagnostiziert werden. Es muss bei positivem Befund aber immer die klinische Relevanz überprüft werden, betonte Andresen. Die ist erst gegeben, wenn es ein eindeutiges, langfristiges Ansprechen auf die jeweilige Zucker-arme Kost gibt. Wenn sich bei einer solchen Auslassdiät keine Veränderung zeigt, ist eine Laktose-Intoleranz nicht die Ursache der Beschwerden, betonte Andresen. Dann sollte diese Einschränkung der Ernährung nicht fortgeführt werden.

Individuelle Toleranzschwelle

Es gibt keine Grenzwerte für die Laktose-Intoleranz. Die Schwelle, was noch vertragen wird, ist sehr individuell. Zudem ist im Gegensatz zu manchen Nahrungsmittelallergien keine starke Reaktion bei etwas höherem Konsum des entsprechenden Zuckers zu befürchten. Es kann zu Symptomen kommen, mehr nicht, betonte Andresen. Patientinnen oder Patienten, die sehr auf die Laktose-Intoleranz fixiert sind, schränken sich dennoch extrem ein.

Therapie der Kohlenhydrat-Unverträglichkeit

Die Ernährung mit Reduktion des jeweiligen Zuckers sollte nur bei eindeutiger Symptom-Linderung dauerhaft fortgeführt werden, sagte Andresen. Weitere Therapiemöglichkeiten sind eine ergänzende Laktase-Einnahme oder die Einnahme von Probiotika mit β-Galaktosidase-Aktivität. Bei Fruktose-Unverträglichkeit ist auch die Einnahme von Xylose-Isomerase möglich. Wichtig ist, auf keinen Fall grundsätzlich Obst und Gemüse zu meiden, betonte Andresen.

Autor:
Stand:
06.05.2022
Quelle:
  1. PD Dr. Viola Andresen: „FODMAP und andere Lebensmittelunverträglichkeiten“, 128. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2022, 30. April 2022.
  2. Levitt MS, Hirsh P, Fetzer CA et al. (1987). H2 excretion after ingestion of complex carbohydrate. Gastroenterology. DOI: 10.1016/0016-5085(87)90132-6.
  3. Stephen AM, Haddad AC, Phillips SF (1983). Passage of carbohydrate into the colon. Direct measurements in humans. Gastroenterology. Gastroenterology. PMID: 6873605.
  4. Varjú P, Gede N, Szakács et al. (2019). Lactose intolerance but not lactose maldigestion is more frequent in patients with irritable bowel syndrome than in healthy controls: A meta-analysis. Neurogastroenterology & Motility. DOI: 10.1111/nmo.13527
  5. Vernia P, Marinaro V, Argnani F et al. (2004). Self-reported milk intolerance in irritable bowel syndrome: what should we believe? Clinical Nutrition. DOI: 10.1016/j.clnu.2003.12.005.

 

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