
Hintergrund
Es besteht zunehmende Evidenz für Zusammenhänge zwischen der SARS-CoV-2-assozierten Pneumonie und einer Hyperkoagulabilität des Blutes bei intensivpflichtigen COVID-19 Patienten. In einer Studie aus den Niederlanden kam es bei fast der Hälfte (49%) der COVID-19-Patienten auf der Intensivstation zu einem thromboembolischen Ereignis. Die Hyperkoagulabilität bei COVID-19 unterscheidet sich dabei von anderen Gerinnungsstörungen, die bei schweren Infektionen auftreten können. Sie führt in der Regel auch nicht zur disseminierten intravaskulären Koagulation (DIC). Nur bei sehr schweren COVID-19 Verläufen beobachtet man eine DIC [1,2].
Thrombozyten-Veränderungen bei COVID-19
Wissenschaftler um Dr. Karina Althaus haben an der Universität Tübingen anhand von Blutproben von intensivpflichtigen COVID-19-Patienten sowie verschiedenen Kontrollgruppen untersucht, welche spezifischen Thrombozyten-Veränderungen mit der Hyperkoagulabilität verbunden sind. In einem zweiten Schritt prüften sie, ob Sera und Antikörper von COVID-19-Patienten diese Veränderungen auch bei Thrombozyten hervorrufen, die von Gesunden stammen. Ihre Ergebnisse haben die Tübinger Forscher in dem Fachjournal Blood der American Society of Hematology veröffentlicht [3].
Zielsetzung
In der Studie wurde die Hypothese geprüft, ob das erhöhte Thrombosevorkommen durch eine verstärkte Apoptose der Thrombozyten verursacht wird. Darüber hinaus untersuchten die Wissenschaftler, ob Anti-SARS-CoV-2- Antikörper die Thrombozyten-Apoptose auslösen.
Methoden
Die Wissenschaftler untersuchten das Blut von 21 COVID-19-Patienten, die in Tübingen auf Intensivstationen behandelt werden mussten. Als Kontrolle dienten Blutproben von 18 Gesunden, 4 nicht-intensivpflichtigen COVID-19-Patienten und 5 Sepsis-Patienten. Nach der Isolierung der Thrombozyten wurden folgende Apoptose-Marker gemessen:
- Depolarisation an der inneren Mitochondrienmembran
- Konzentration des zytosolischen Calciums
- Externalisierung von Phosphatidylserin
Als Kontrolle für die Thromboseneigung wurden die D-Dimer-Konzentrationen der Probanden im Serum bestimmt.
Überprüfung der Antikörper-Hypothese
Die Hypothese, dass SARS-CoV-2 Antikörper einen apoptotischen Prozess auslösen, untersuchten die Forscher, indem sie zu den Proben mit den Thrombozyten gesunder Personen Seren und IgG-Fraktionen intensivpflichtiger COVID-19-Patienten zugaben. Zur Gegenkontrolle prüften sie, ob sich die Apoptose durch die Zugabe eines spezifischen gegen Fcg-Rezeptor IIA (FcgRIIA) gerichteten Antikörper stoppen ließ.
Ergebnisse
Gegenüber den Kontrollgruppen wiesen die Thrombozyten der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten Anzeichen von apoptotischen Vorgängen auf: Die Depolarisation an der inneren Mitochondrienmembran war verstärkt, die Konzentration von Calcium im Zytosol erhöht und eine vermehrte Externalisierung von Phosphatidylserin (PS) messbar. Die Veränderungen der Thrombozyten korrelierten dabei mit den D-Dimer-Konzentrationen der intensivpflichtigen COVID-19-Patienten und mit der Inzidenz thromboembolischer Ereignisse. Auch die Hypothese der Apoptose-Auslösung durch spezifische Antikörper konnte erhärtet werden: Bei den Thrombozyten der Gesunden ließ sich eine Apoptose durch die Seren und IgG-Fraktionen intensivpflichtiger Patienten hervorrufen und durch die Zugabe gegen FcgRIIA gerichteter Antikörper auch wieder stoppen.
Fazit
Die Ergebnisse der Studie lassen auf die entscheidende Rolle spezifischer Antikörper bei der Entstehung von Thrombosen bei COVID-19-Patienten schließen. Möglicherweise ergeben sich daraus neue therapeutische Optionen. Die Autoren meinen, dass die Blockierung des FcgRIIA-Rezeptor-Signalwegs durch Tyrosinkinase-Inhibitoren ein potenzieller Therapieansatz sein könnte. In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass Wissenschaftler der Universität Greifswald herausgefunden haben, dass die sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, die im Zusammenhang mit AstraZeneca-Impfungen auftraten, möglicherweise auch auf Antikörper zurückzuführen sein könnten [4].