
Hintergrund
Die europäischen ESC-Leitlinien zum Management von Dyslipidämien von 2019 empfehlen für Patienten mit sehr hohem kardiovaskulärem Risiko eine drastische Senkung des LDL-C (Low-density lipoprotein cholesterol) auf <55 mg/dl (<1,4 mmol/l) und um mindestens 50 % im Verhältnis zum Ausgangswert. Dieses Ziel lässt sich in der Regel nur in Kombination von Statinen mit anderen Lipidsenkern, wie beispielsweise Ezetimib, Bempedoinsäure oder PCSK9-Inhibitoren erreichen. Auf dem diesjährigen Kongress der European Atherosclerosis Society (EAS) stellte Prof. Dr. Kausik Ray, Direktor des Imperial Centre for CVD Prevention am Imperial College London den Wirkstoff Obicetrapib als neuen, vielversprechenden Kombinationspartner für hochwirksame Statine vor [1,2].
Kandidat aus einer abgeschriebenen Wirkstoffklasse
Allein schon das Obicetrapib als zusätzlicher Lipidsenker in Kombination mit Statinen in einer Studie geprüft wurde, ist eine Überraschung, denn der Wirkstoff gehört zu den Cholesterinester-Transferprotein-(CETP-) Inhibitoren, einer Stoffklasse, die in vorangegangenen Studien enttäuschte und als abgeschrieben galt. So musste die ILLUMINATE-Studie mit dem CETP-Hemmer Torcetrapib vorzeitig abgebrochen werden, weil Torcetrapib das Sterberisiko der Patienten erhöhte. In REVEAL reduzierte Anacetrapib in Kombination mit Statinen das Risiko für schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse nur mäßig und in ACCELERATE zeigte Evacetrapib gar keinen positiven Affekt auf die klinischen Ergebnisse [3,4].
Warum ein erneuter Versuch mit Obicetrapib?
Warum Obicetrapib überhaupt noch weiter getestet wurde, erklärte Ray gegenüber TCTMD, der Online Kardiologie Plattform der Cardiovascular Research Foundation (CRF), so: “Obicetrapib ist im Vergleich zu den injizierbaren Lipidsenker, der potenteste orale Wirkstoff. Er erhöht die LDL-Clearance über die LDL-Rezeptoren und alle Medikamente, die das tun, reduzieren effektiv kardiovaskuläre Erkrankungen.“ In vorangegangen Studien senkte die Obicetrapib die LDL-C um 45 % bei Patienten mit einer niedrigdosierten Statintherapie oder gar keiner Statin-Behandlung. In der ROSE-Studie wurde Obicetrapib nun in Kombination mit einer optimierten lipidsenkenden Therapie getestet.
Die ROSE-Studie
In der Randomized Study of Obicetrapib as an Adjunct to Statin Therapy (ROSE-Studie/Phase-II-Studie) randomisierten die Wissenschaftler 120 Patienten unter einer bestehenden intensiven Statintherapie in drei Gruppen: Obicetrapib 5 mg, Obicetrapib 10 mg und Placebo. Vor der Randomisierung waren alle Patienten mindestens 8 Wochen mit Atorvastatin 40/80 mg oder Rosuvastatin 20/40 mg behandelt worden. Die Ausgangswerte für das LDL-Cholesterin in den drei Gruppen lagen im Schnitt zwischen 88 mg/dl und 95 mg/dl. Zur Bestimmung der Veränderung des LDL-C wurden die Kombinationstherapien mit Obicetrapib und Placebo über 8 Wochen durchgeführt und für ein Sicherheits-Follow up weitere 4 Wochen fortgeführt.
Deutliche Reduktion von LDL-C
Nach 8wöchiger Kombinationstherapie mit Obicetrapib 5 mg sank der LDL-C Wert im Durchschnitt um 42 %, in der Dosierung 10 mg sogar um 51 % (p<0,001) vom Ausgangswert. Dieser Behandlungseffekt war bei allen Ausgangswerten konsistent. Darüber hinaus konnte eine dosisabhängige Reduktion von Apolipoprotein B (bis zu 30 %) und Non-HDL-Cholesterin (bis zu 44 %) beobachtet werden. Das schützende HDL-Cholesterin hingegen stieg unter Obicetrapib (um bis zu 165 %), ebenso das günstige Apolipoprotein A1 (um bis zu 48 %). Mit der höheren Obicetrapib-Dosis erreichten 82,5 % der Patienten den LDL-C Zielwert von <70 mg/dl und 90 % das Non-HDL-C Ziel von <100 mg/dl. Insgesamt wurde Obicetrapib gut vertragen, es kam weder zu einem Anstieg der Nebenwirkungsrate noch zu ernsten adversen Ereignissen.
Fazit
Diese Studienergebnisse zeigen, dass Obicetrapib ein Kombinationspartner für Statine zur weiteren Senkung der Lipidwerte sein könnte. Derzeit wird Obicetrapib in einer großangelegten Phase-III-Studie namens PREVAIL hinsichtlich seines Lipidsenkungspotentials und der klinischen kardiovaskulären Ergebnisse evaluiert. In PREVAIL sollen ungefähr 9.000 Hochrisiko-Patienten eingeschlossen werden, die trotz einer lipidsenkenden Therapie die von Leitlinien empfohlenen Zielwerte nicht erreichen.