Alopezie

Als Alopezie wird der Zustand der Haarlosigkeit bezeichnet. Grob werden die diffuse (z.B. Alopecia androgenetica) und die zirkumskripte Alopezie unterschieden, deren bekanntester Vertreter die Alopecia areata ist.

Alopecia areata

Definition

Der Mensch besitzt etwa 80.000-120.000 Terminalhaare am Kopf. In der Regel verliert der Mensch 70-100 Kopfhaare pro Tag, welche wieder nachwachsen. Haare schützen die Kopfhaut vor der UV-Strahlung und symbolisieren in der westlichen Welt Jugend und Schönheit.

Die Alopezie bezeichnet den Zustand der Haarlosigkeit. Der gesteigerte Haarausfall wird als Effluvium bezeichnet.

Alopezie-Arten

Es werden verschiedene Arten der Alopezie unterschieden.

Zirkumskripte Alopezie

Die zirkumskripte Alopezie wird unterteilt in:

  • Nicht vernarbende zikumskripte Alopezie: Alopecia areata
  • Vernarbende zirkumskripte Alopezie, z.B. durch Verbrennungen, Mykosen, Verätzungen

Diffuse Alopezie

Die diffuse Alopezie wird unterteilt in:

  • Androgenetische Alopezie
  • Alopezie aufgrund von Zytostatika und Radiatio

Epidemiologie

Die Alopecia androgenetica ist die häufigste Alopezie und betrifft bis zu 70% der Männer und 40% der Frauen. Obwohl die Prävalenz und auch der Schweregrad mit dem Lebensalter steigen, beginnt diese Alopezieform bereits in der Pubertät. Zusätzlich kann sie auch durch die Behandlung hormonabhängiger Tumore entstehen. Bei Frauen beginnt die Alopezie meist im dritten Lebensjahrzehnt, häufig auch erst im Klimakterium.

Die Alopecia areata ist die dritthäufigste Form des Haarausfalls. Bei der Alopecia areata finden sich familiäre Häufungen in bis zu 20% der Fälle. Männer sind bevorzugt betroffen. Sie kann in jedem Alter auftreten, zeigt aber ein gehäuftes Vorkommen zwischen dem 5. Lebensjahr und dem 3. Lebensjahrzehnt.

Ursachen

Ursachen der androgenetischen Alopezie

Die androgenetische Alopezie ist gekennzeichnet durch eine Hypersensitivität der Haarfollikel gegenüber Androgenen. Es kommt zu einer Verkürzung der Wachstumsphase der Haare und zu einer Verkleinerung der Haarfollikel, die in der Folge anstatt der dicken Terminalhaare dünne Vellushaare bilden. Am Schluss dieses Prozesses steht der Stillstand des Haarwachstums. Die Ätiologie selbst ist multifaktoriell und zeigt eine genetische Komponente. Vor allem bei Männern konnte eine familiäre Häufung nachgewiesen werden.

Ursachen der Alopecia areata

Bei der Alopecia areata hingegen steht eine autoimmune Reaktion im Fokus. Oft liegt eine familiäre Disposition vor. Zudem liegen häufig weitere Autoimmunerkrankungen, z.B. Lupus erythematodes, Vitiligo oder Morbus Basedow, vor. Stressreiche Lebensereignisse, Infektionen und Umwelteinflüsse werden zudem als Auslöser diskutiert.

Andere Formen des diffusen Haarausfalls können zudem durch verschiedene Einflussfaktoren stimuliert werden. Hierzu zählen vor allem Hormone, Wachstumsfaktoren, Medikamente (z.B. Heparin, hormonelle Kontrazeptiva, Chemotherapeutika), Eisenmangel und Fehlernährung.

Pathogenese

Haarzyklus

Der Haarzyklus besteht aus drei Phasen:

  • Anagenphase
  • Katagenphase
  • Telogenphase

In der Anagenphase, der Wachstumsphase, welche 2-6 Jahre andauert, bildet sich ein Haarfollikel, welcher ein neues Haar bildet. 80% der Kopfhaare befinden sich in dieser Phase.
Hieran schließt sich die 1-2-wöchige andauernde Katagenphase (Übergangsphase) an. Die Stoffwechselaktivität der Matrix ist nicht mehr vorhanden. In der Telogenphase, der Ruhephase, erneuert sich die Haarpapille und der Haarfollikel regeneriert. Diese Phase dauert etwa 2-3 Monate. Es folgt nun die Bildung einer neuen Matrix und damit die Produktion eines neuen Haares. Das neue Anagenhaar in der Tiefe stößt das Telogenhaar aus.

Pathogenese der Alopecia androgenetica

Im Zentrum der Pathogenese der Alopecia androgenetica steht eine Hypersensitivität von prädisponierten Haarfollikeln in den Prädilektionsstellen der Alopezie (v.a. Schläfen – und Vertexregion) gegenüber Androgenen. Es konnten erhöhte intrafollikuläre 5-alpha-Reduktase-Aktivitäten gezeigt werden. Dieses Enzym bildet aus Testosteron das Effektorhormon Dihydrotestosteron. Bei der Frau hingegen steht weniger die Aktivität der 5-alpha-Reduktase im Vordergrund, als die reduzierte Aktivität der Aromatase, die die anfallenden Androgene nicht in ausreichendem Maße in Östrogene umwandeln kann.

Bei der Alopecia androgenetica kommt es letztendlich zu einer Verkürzung der Anagenphase und zu einer teilweisen Umwandlung der Terminalhaare in Vellushaar. Dieser Prozess wird auch als Miniaturisierung bezeichnet.
Interessanterweise scheint der Androgenspiegel im Blut die Alopezie nicht zu beeinflussen und die Patienten weisen meist normale Androgenspiegel im Blut auf. Darüber hinaus wird ein Zusammenhang mit unterschiedlichen genetischen Varianten des Androgen-Rezeptors vermutet. Es konnte zudem eine genetische Komponente gezeigt werden. Die Vererbung ist multifaktoriell.

Pathogenese der Alopecia areata

Bei der Alopecia areata wird eine Autoimmunreaktion angenommen. In Kopfhautbiopsien konnte gezeigt werden, dass es zu einer Infiltration der Bulbusregion der Haarfollikel durch CD4+, CD8+ T-Lymphozyten und andere Immunzellen kommt. Der Haarfollikel wird reversibel geschädigt und in der Folge fällt das Haar aus.

Symptome

Symptome bei Alopecia androgenetica

Die androgenetische Alopezie beginnt meist mit Einsetzen der Pubertät. Am Anfang steht meist das Zurücktreten der Stirn-Haar-Grenze und die Lichtung des behaarten Kopfes der Temporalregion. Dies mündet in der Bildung von sogenannten Geheimratsecken. Die Alopezie geht dann über in fehlendes Haar in der Scheitelregion am Hinterkopf (Tonsurbereich) (Norwood-Hamilton Klassifikation).  Als letzte Stufe der androgenetischen Alopezie findet sich noch ein hufeisenförmiges Haarband bei ansonsten haarlosem Kopf. Bei Frauen findet sich vorzugsweise eine Lichtung der Kopfhaare im Mittelscheitelbereich anstelle der Geheimratsecken (Klassifikation nach Ludwig).

Symptome bei Alopecia areata

Die Alopecia areata setzt in der Regel plötzlich ein. Die Patienten leiden an einem scharf begrenzten kreisrunden Haarausfall, der sich zentrifugal oder multilokulär ausbreiten kann.

Je nach Ausprägung der Alopezie unterscheidet man vier Schweregrade:

  • Grad I: Vorliegen eines einzelnen Herdes oder multipler Herde, <30% des Kapilitiums betroffen
  • Grad II: Multiple Alopezieherde, >30% des Kapilitiums betroffen
  • Grad III (Alopecia areata totalis): Die Alopezie betrifft das gesamte Kapilitium
  • Grad IV (Alopecia areata universalis): Die Alopezie betrifft die komplette Körperbehaarung inklusive Wimpern, Augenbrauen und Pubesbehaarung

Klinisch findet man im Randbereich der Läsionen häufig sogenannte „Ausrufezeichenhaare“. Hierunter versteht man kurze abgebrochene Haare, die sich zu ihrem Ende hin verjüngen, also schmaler werden. Man findet sie vor allem im Temporal- und Okzipitalbereich.

Bei 20% der Patienten finden sich zusätzlich zu dem Haarausfall noch Nagelveränderungen (Tüpfel- oder Grübchennägel). Ferner ist die Alopecia areata häufig mit anderen Komorbiditäten vergesellschaftet. Hierzu zählen entzündliche und autoimmune Erkrankungen wie z.B. das atopische Ekzem oder Vitiligo.

Patienten, die an einer Alopezie leiden, weisen häufig eine reduzierte Lebensqualität auf.

Diagnostik

Diagnostik der Alopecia androgenetica

Die Alopecia androgenetica ist in der Regel eine klinische Diagnose. Nach der Anamnese des Patienten erfolgt die körperliche Untersuchung des Patienten. Entsprechend eines europäischen Konsensus ist bei typischer Klinik beim Mann keine weiterführende Diagnostik erforderlich. Bei der Frau sollte bei Hinweisen auf eine hormonelle Dysfunktion eine gynäkologisch/endokrinologische Abklärung erfolgen.

Diagnostik der Alopecia areata

Bei Verdacht auf eine Alopecia areata erfolgt als erstes die Anamnese des Patienten, gefolgt von der körperlichen Untersuchung. Zur Diagnosesicherung sollte eine histologische Untersuchung sowie ein Tricho(rhizo)gramm erfolgen.

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung beim Vorliegen einer Alopezie sollte den Fokus auf die Inspektion des behaarten Kopfes legen. Hierdurch können bereits bestimmte Haarlichtungsmuster erkannt werden. Beachtet werden sollte zudem, ob Entzündungszeichen wie Rötungen und Schuppungen vorliegen.

Tricho(rhizo)gramm

Bei dieser Untersuchung werden 20-50 Haare epiliert und anschließend mikroskopisch untersucht. Es werden dann die sich in den verschiedenen Wachstumsphasen unterschiedlich geformten Haarwurzeln ausgezählt. Befinden sich mehr als 20% der Haare in der Telogenphase, der Ruhephase, deutet dies auf einen verstärkten Haarausfall hin.

Histologie

Bei der histologischen Untersuchung werden u.a. die Terminalhaarfollikel und die Haarschaftdicken untersucht.

Therapie

Therapie der Alopecia androgenetica

Das Hauptziel der Therapie ist es, den Haarausfall zu stoppen und wenn möglich das Haarwachstum wieder anzuregen. Die Therapie der Alopecia androgenetica kann medikamentös mittels oralem Finasterid, einem Inhibitor der 5-alpha-Reduktase (nur bei Männern) oder mittels topischem Minoxidil, einem Kaliumkanalöffner (bei Männern und Frauen), erfolgen. Bei ausbleibendem Therapieerfolg und fortgeschrittener Alopezie besteht die Möglichkeit zur Verwendung von Haarersatzteilen oder einer Perücke. Alternativ kann eine operative Haartransplantation durchgeführt werden. Hierbei werden Haare mitsamt der Haarfollikel aus dem okzipitalen, nicht androgensensitiven Bereich entnommen und in die entsprechend betroffenen Areale transplantiert.

Therapie der Alopecia areata

Die Therapie der Alopecia areata sollte stadienadaptiert erfolgen. Bei gering ausgeprägten Formen sollte aufgrund der hohen Spontanremissionsrate die Möglichkeit des Abwartens mit dem Patienten besprochen werden. Bei Kindern kann eine Therapie mit Zink evaluiert werden. Bei der Alopecia areata kann ferner eine Behandlung mittels lokaler und ggf. systemischer Kortikosteroide erfolgen. Die Wirksamkeit von topischen Steroiden konnte vor allem bei sehr starken Steroiden mit Okklusionsbehandlung gezeigt werden. Die wirksamste Therapiemethode ist eine topische Immuntherapie mittels Diphenylcyclopropen oder Quadratsäure-Dibutylester. Durch diese Medikamente wird eine allergische Dermatitis induziert, mit der Hoffnung des Wiederwachstums der Haare nach drei bis sechs Monaten.

Ferner gibt es die Möglichkeit z.B. eine Psoralen-UV A-Therapie durchzuführen.

Prognose

Prognose der Alopecia androgenetica

Der Verlauf der Alopecia androgenetica ist schwer vorauszusagen. Generell lässt sich aber festhalten, je früher die Alopecia androgenetica einsetzt, desto schwerer ist meist der Verlauf. Ein Therapieversuch sollte erfolgen, da sich die Alopezie sonst ausbreitet und überwiegend bei Männern zu einer kompletten Haarlosigkeit führen kann.

Prognose der Alopecia areata

Die Prognose der Alopecia areata ist sehr variabel. Die Dynamik kann von einem einmal auftretenden kleinen Herd über multiple größere Herde bis hin zu einer über viele Jahre bestehenden Haarlosigkeit führen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es bei einem Drittel der Patienten innerhalb von sechs Monaten nach Erstmanifestation zu einer Spontanremission kommt und 50-80% der betroffenen Patienten nach einem Jahr beschwerdefrei sind. In 20% der Fälle ist die Alopezie hingegen permanent. Ferner treten in bis zu 70% der Fälle Rezidive nach erfolgter Therapie auf.

Prophylaxe

Es ist nach derzeitigem Wissensstand nicht möglich das Entstehen der androgenetischen Alopezie oder der Alopecia areata durch prophylaktische Maßnahmen zu verhindern.

Autor:
Stand:
21.02.2019
Quelle:
  1. Blume-Peytavi et al (2011): S1 guideline for diagnostic evaluation in androgenetic alopecia in men, women and adolescents. Br J Dermatol; 164: 5–15. DOI: 10.1111/j.1365-2133.2010.10011.x
  2. Blume-Peytavi et al (2011) Current standards in the diagnostics and therapy of hair diseases—hair consultation. J Dtsch Dermatol Ges; 9: 394–410. DOI: 10.1111/j.1610-0387.2011.07609.x
  3. Blumeyer et al (2011): Evidence-based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men. J Dtsch Dermatol Ges; 9 (Suppl 6): 1–57. DOI: 10.1111/j.1610-0379.2011.07802.x
  4. Cash (1999): The psychosocial consequences of androgenetic alopecia: a review of the research literature. Br J Dermatol; 141: 398–405
  5. Courtois et al (1996): Periodicity in the growth and shedding of hair. Br J Dermatol; 134: 47–54.
  6. The Finasteride Male Pattern Hair Loss Study Group (2002): Long-term (5-year) multinational experience with finasteride 1 mg in the treatment of men with androgenetic alopecia. Eur J Dermatol; 12: 38–49.
  7. Gilhar et al (2012): Alopecia areata. N Engl J Med; 366: 1515–25. DOI: 10.1056/NEJMra1103442
  8. Heilmann et al (2013): Evidence for a polygenic contribution to androgenetic alopecia. Br J Dermatol 2013; 169: 927–30. DOI: 10.1111/bjd.12443
  9. Le Cleach et al (2012): Clinical practice. Lichen planus. N Engl J Med; 366: 723–32
  10. Messenger et al (2012): British Association of Dermatologists’ guidelines for the manage- ment of alopecia areata 2012. Br J Dermatol; 166: 916–26
  11. Paus et al (1999) : The biology of hair follicles. N Engl J Med; 341: 491–7.
  12. Peter et al (1996): Therapie der Alopecia areata mit Zinksulfat– eine placebo kontrollierte Studie an 307 Patienten. Z Hautkr 1996; 71: 175–89.
  13. Smith et al (1964) Male‐type alopecia, alopecia areata, and normal hair in women; family histories. Arch Dermatol ; 89: 95–8
  14. Tosti et al (2006): Efficacy and safety of a new clobetasol propionate 0.05% foam in alopecia areata: a randomized, double-blind placebo-controlled trial. J Eur Acad Dermatol Venereol; 20: 1243–7.
  15. Whiting (1996): Chronic telogen effluvium: increased scalp hair shedding in middle-aged women. J Am Acad Dermatol; 35: 899–906.
  16. Wolff et al (2016) The diagnosis and treatment of hair and scalp diseases (Diagnostik und Therapie von Haar- und Kopfhauterkrankungen). Dtsch Arztebl Int 113:377-86. DOI: 10.3238/arztebl.2016.0377
  • Teilen
  • Teilen
  • Teilen
  • Drucken
  • Senden

Anzeige

Orphan Disease Finder

Orphan Disease Finder

Hier können Sie seltene Erkrankungen nach Symptomen suchen:

 

Seltene Krankheiten von A-Z
Schwerpunkt Seltene Erkrankungen